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03/20/2025 17:27

Von der Natur lernen: Unsicherheit und heterogene Gruppen machen kluge Entscheidungen möglich

Kathrin Anna Kirstein Kommunikation, Marketing und Veranstaltungsmanagement
Humboldt-Universität zu Berlin

    Forschungsteam entwickelt Modell zur Untersuchung der Konsensbildung in Gruppen und liefert wertvolle Erkenntnisse für die Entwicklung von KI und Robotersystemen

    Wenn Gruppen Entscheidungen treffen – seien es Menschen, die sich auf eine Idee einigen, Roboter, die ihre Aufgaben koordinieren, oder Fische, die ihre Schwimmrichtung bestimmen – nicht jedes Individuum nimmt den gleichen Einfluss darauf. Manche haben verlässlichere Informationen, andere sind besser vernetzt und genießen höhere soziale Anerkennung.

    Eine neue Studie von Forschenden des Exzellenzclusters „Science of Intelligence“ (SCIoI) zeigt, dass die Kombination aus Unsicherheit und Vielfalt entscheidend dafür ist, wie Gruppen zu einem Konsens kommen. Die in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlichte Arbeit von Mohsen Raoufi, Humboldt-Universität zu Berlin (HU), und Vito Mengers, Technische Universität Berlin (TU), sowie weiteren Kollegen belegt, dass Gruppen schneller und präziser entscheiden, wenn Individuen nicht nur die Meinungen ihres unmittelbaren Gegenübers berücksichtigen, sondern auch deren Selbstsicherheit und Vernetzung innerhalb der Gruppe nutzen. Doch starkes Selbstvertrauen allein führt nicht immer zu besseren Entscheidungen. Übermäßig selbstsichere Gruppenmitglieder können, wenn sie falsche Informationen nutzen, den Entscheidungsprozess sogar in die Irre leiten.

    Warum manche Gruppen bessere Entscheidungen treffen als andere: Vielfalt trifft auf Unsicherheit

    Klassische Entscheidungsmodelle gehen davon aus, dass alle Individuen gleich stark zum Gruppenkonsens beitragen. In Wirklichkeit sind Gruppen aber vielfältig, sowohl in ihrem Wissen als auch in ihrem Einfluss. So wie einige Menschen Expert*innen für bestimmte Themen sind oder einzelne Fische im Schwarm einen genaueren Blick auf Raubtiere haben, verfügen manche Individuen über präzisere und verlässlichere Informationen als der Rest der Gruppe. Andere wiederum sind stärker vernetzt in der Gruppe, wodurch sich ihre Meinungen schneller und weiter verbreiten. Wissen und Vernetzung, diese beiden Formen der Vielfalt, sind eng miteinander verknüpft. Wer von Anfang an über mehr Wissen verfügt, wird tendenziell auch einflussreicher und hilft anderen, Unsicherheit zu reduzieren. Gleichzeitig sammeln stark vernetzte Individuen durch ihre zahlreichen Interaktionen immer mehr Informationen und werden so mit der Zeit sicherer in ihren Entscheidungen. Dieser dynamische Prozess ermöglicht es Gruppen, schwache oder verzerrte Informationen herauszufiltern und zu verlässlichen Schlussfolgerungen zu gelangen – vorausgesetzt, zentrale Individuen überschätzen ihre Sicherheit nicht.

    „Ob bei Tierschwärmen, menschlichen Gesellschaften oder Roboterkollektiven – Gruppen sind auf natürliche Weise heterogen, denn jedes Individuum bringt seine eigene Perspektive und Erfahrung mit“, erklärt Mohsen Raoufi, einer der Hauptautoren der Studie. „Das wirklich Faszinierende ist, dass Gruppen diese Vielfalt nutzen können – ganz ohne zentrale Steuerung – allein dadurch, dass sie Unsicherheit gezielt in ihren Entscheidungsprozess einfließen lassen.“

    Wie Gruppenentscheidungen untersucht wurden

    Um diese Effekte zu untersuchen, entwickelten die Forschenden ein Modell, in dem Individuen – ob Roboter, Fische oder Menschen – ihre Überzeugungen und die Sicherheit über diese dynamisch anpassen, sobald neue Informationen hinzukommen. Die Ergebnisse zeigen, dass eine bloße Vielfalt an Perspektiven nicht ausreicht, um bessere Entscheidungen zu fördern. Gruppen trafen schnellere und präzisere Entscheidungen, wenn Unsicherheit als Leitfaktor berücksichtigt wurde. Hatten alle Individuen gleich viel Sicherheit und waren gleich gut vernetz, verlief die Konsensfindung langsam und unzuverlässig. In heterogenen Gruppen hingegen führte die Berücksichtigung von Unsicherheit dazu, dass Meinungen besser abgewogen wurden, was zu effizienteren und besseren Entscheidungen führte.

    Eine der größten Überraschungen: Wenn besonders gut vernetzte Individuen zu früh zu sicher wurden und damit übermäßig selbstbewusst agierten, begannen sie, die Gruppe zu dominieren – auch wenn sie im Unrecht waren. „Oft nehmen wir an, dass einflussreiche Individuen selbstsicher auftreten sollten", sagt Vito Mengers, ein weiterer Hauptautor der Studie. „Unsere Forschung zeigt jedoch, dass übermäßiges Selbstvertrauen schnell schädlich wird. Wenn zentrale Akteure oder Algorithmen zu früh absolute Sicherheit beanspruchen, kann dies das gesamte System in die Irre führen – sei es eine Menschengruppe oder ein Roboternetzwerk."

    Warum das wichtig ist: KI, soziale Netzwerke und Erkenntnisse aus der Natur
    Die Ergebnisse dieser Studie bieten wertvolle Erkenntnisse für die Entwicklung von KI und von Robotersystemen. Selbstfahrende Autos könnten nicht nur Sensordaten auswerten, sondern auch die Zuverlässigkeit der Informationen anderer Fahrzeuge berücksichtigen und so die Sicherheit im Straßenverkehr verbessern.

    Viele natürliche Systeme nutzen bereits das Prinzip, sich an Unsicherheit anzupassen. Fischschwärme, Vogelschwärme und Ameisenkolonien behandeln nicht alle Informationen gleichwertig, sondern passen sich dynamisch an. Durch das Studium dieser Mechanismen können wir nicht nur die Natur besser verstehen, sondern auch menschliche Zusammenarbeit und künstliche Intelligenz optimieren.

    Weitere Informationen

    Fachartikel in Scientific Reports: Leveraging uncertainty in collective opinion dynamics with heterogeneity”, Vito Mengers, Mohsen Raoufi, Oliver Brock, Heiko Hamann & Pawel Romanczuk: https://www.nature.com/articles/s41598-024-78856-8

    Bild zum Download: https://www.hu-berlin.de/de/pr/medien/pressemitteilungen-pdf-datei/bildmaterial/...


    Contact for scientific information:

    Mohsen Raoufi
    Institut für Biologie der Humboldt-Universität zu Berlin / Exzellenzcluster Science of Intelligence (SCIoI)

    E-Mail: mohsen.raoufi@hu-berlin.de

    Vito Mengers
    Robotics and Biology Laboratory der Technischen Universität zu Berlin /Exzellenzcluster Science of Intelligence (SCIoI)

    E-Mail: v.mengers@tu-berlin.de


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Biology, Cultural sciences, Information technology
    transregional, national
    Cooperation agreements, Research projects
    German


     

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