Zwischen Anpassung und Individualität: Wer kommt rein, wer bleibt draußen?
Das Anstehen vor Berlins legendären Clubs ist ein Ritual voller Geheimnisse und Spekulationen. Ein Forschungsteam der Freien Universität Berlin, der University of Bath, des King’s College London und der Karlstad University hat untersucht, nach welchen Kriterien Selekteure oder Selekteurinnen – wie die Personen, die die Entscheidungen treffen, in der Szene genannt werden – auswählen, wer hineindarf und wer draußen bleiben muss.
Die neue Studie mit dem Titel „Curating the Crowd: How firms manage social fit to stage social atmospheres” ist gerade im international führenden Fachmagazin „Journal of Marketing” erschienen und abrufbar unter: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/00222429251328277
Die Studie basiert auf 38 Interviews mit Berliner Selekteuren, Clubbesitzern, Veranstaltern, DJs, Sicherheitskräften und Gästen sowie der Analyse von umfangreichem Presse- und Archivmaterial, wie etwa der auf der Berlinale 2019 vorgestellten Dokumentation „Berlin Bouncer“. Zudem hatten die Forschenden die Möglichkeit, in einer Nacht einen Selektionsprozess mit etwa 500 Entscheidungen an der Tür eines renommierten Clubs zu beobachten. Fazit: Der Einlass folgt demnach einem Paradoxon. Man muss sich als potenzieller Clubgast „einfügen“ – aber auch „herausstechen“. Wichtige Faktoren sind dabei neben der Kleidung, Kenntnissen der Szene und der Interaktion in der Schlange insbesondere Ausstrahlung und Charisma.
„Selekteure bewerten, inwieweit jemand sich ‚anpasst‘, aber paradoxerweise auch, ob er oder sie ‚heraussticht‘. Ein individueller, stilisierter Kleidungsstil, Kenntnisse der Berliner Techno-Kultur, die Art und Weise, wie man sich mit anderen in der Warteschlange unterhält, sowie sichtbare ‚Energie‘ und ‚Charisma‘ spielen dabei eine entscheidende Rolle“, erklärt Dr. Tim Hill, Senior Lecturer in Marketing an der School of Management der University of Bath.
Gleichzeitig wird das „Herausstechen“ einer Person daran gemessen, ob sie zur Diversität des Publikums an diesem Abend beiträgt. Unterrepräsentierte Identitätsmerkmale – etwa Hautfarbe, Alter, Sexualität oder Geschlechtsidentität – werden laut der Studie in dem Maße geschätzt, wie sie zu einem „kosmopolitischen“ und „diversen“ Publikum beitragen.
Die bewusste Auswahl der Gäste wird von Clubbetreibern als notwendig erachtet, um einen „sicheren Raum“ für marginalisierte Gruppen zu schaffen. Diese Selektion fördere ein gemeinsames Erleben und starke soziale Verbindungen, so Hill.
Niemand kann eine hundertprozentige Erfolgsquote beim Einlass erwarten, da die Selekteure und Selekteurinnen ständig auf die Dynamik und die „Vibes“ der bereits anwesenden „Crowd“ reagieren. Eindeutige Ausschlussgründe waren übermäßiger Alkoholkonsum, Aggression und unsoziales Verhalten. Viele Clubs nutzten zudem Überwachungskameras, um das Verhalten der Wartenden zu analysieren, heißt es in der Studie weiter.
„Berlins einzigartige Clubräume sind Orte des Experimentierens und der Flucht aus dem Alltag. Das sorgfältige und nachhaltige Kuratieren der Atmosphäre in den Clubs hat nicht zuletzt dazu beigetragen, dass sie in die Liste des UNESCO-Kulturerbes aufgenommen wurden. Sie lockt Techno-Touristen aus aller Welt an. Die Clubszene trägt laut einer Studie der Clubcommission Berlin mit insgesamt 1,48 Milliarden Euro zum Berlin Tourismus bei“, betont Professor Michael Kleinaltenkamp von der Freien Universität Berlin, der Initiator der Studie.
Die Studie zeigt, dass der optimale Publikums-Mix durch einen dreistufigen Marketing- und Filterprozess erreicht wird: Die gezielte Ansprache bestimmter Gästegruppen, die kuratierte Auswahl an der Tür und die Mystifizierung des Auswahlprozesses, um Exklusivität zu wahren.
So definieren Clubbetreiber bereits im Vorfeld ihre Erwartungen an das Publikum – das Konzept des Abends und die Menschen, die dazu passen. Die Namen der Events, spezifische Bildsprache und Dresscodes werden strategisch in bestimmten Kreisen und durch gezielte Mundpropaganda sowie kryptische Social-Media-Posts kommuniziert.
Am herausstechenden Beispiel der Berliner Clubs haben die Forschenden so wichtige Erkenntnisse gewonnen, die ebenso für andere Bereiche, gelten, in denen die Schaffung gemeinsamer Erlebnisse den Kern eines Dienstleistungsangebots ausmacht. Hierzu zählen etwa Live-Sport-Events, Musik- und andere Festivals, religiöse Versammlungen, Privat-Clubs oder Veranstaltungen, zu denen nur geladene Gäste zugelassen sind.
„Wir schlagen nicht vor, dass alle Organisationen Gäste an der Tür abweisen sollten, aber die Berliner Clubszene liefert wertvolle Erkenntnisse über die Kunst der selektiven Inklusion und Exklusion, um besondere Atmosphären zu schaffen“, resümiert Dr. Tim Hill.
Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kleinaltenkamp, Freie Universität Berlin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, Marketing-Department, E-Mail: michael.kleinaltenkamp@fu-berlin.de
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/00222429251328277
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, all interested persons
Economics / business administration, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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