Wie kann die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen wachgehalten werden? Viele Gedenkstätten, Museen und Archive setzen auf partizipative und digitale Formate, um mehr und vor allem jüngere Menschen zu erreichen. Doch bislang fehlten wissenschaftliche Erkenntnisse über deren Wirkung. Erstmals zeigt eine neue Untersuchung von Forschenden des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und der Hertie School in Zusammenarbeit mit den Arolsen Archives: Aktive Erinnerungsarbeit motiviert die Teilnehmenden, sich über das konkrete Projekt hinaus für Gedenkarbeit und eine offene Gesellschaft zu engagieren.
In zwei randomisierten Studien mit rund 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verglichen die Forschenden die Wirkung aktiver Erinnerungsarbeit mit reiner Informationsvermittlung. Im Zentrum der Untersuchung stand das Projekt #everynamecounts, ein digitales Crowdsourcing-Projekt der Arolsen Archives, bei dem Freiwillige historische Dokumente zur Verfolgung verschiedener Gruppen in der NS-Zeit digitalisieren. Eine Hälfte der Teilnehmenden nahm aktiv an diesem Projekt teil und digitalisierte Karten von Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald. Die andere Gruppe erhielt lediglich Informationen über die NS-Verfolgung und die archivierten Dokumente (Studie 1) oder gar keine Informationen (Studie 2). Anschließend wurden die Gruppen befragt.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Teilnehmer*innen der aktiven Gruppe waren nach dem Projekt stärker motiviert, sich für Gedenkprojekte zu engagieren, und im Schnitt auch bereit, mehr dafür zu spenden. Sie gaben außerdem an, sich gegen Diskriminierung und für Menschenrechte einsetzen zu wollen – besonders hoch war ihre Bereitschaft, einer Initiative beizutreten oder eine Petition zu unterschreiben, die sich gegen Antisemitismus richtet.
Die Studie verdeutlicht, dass partizipative Erinnerungsarbeit das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit stärkt – möglicherweise der entscheidende Unterschied zwischen partizipativer Erinnerungsarbeit und reiner Informationsvermittlung. So stimmten Teilnehmer*innen aus der aktiven Gruppe nach Projektende eher den Aussagen zu, dass sie dazu beitragen können, die NS-Verbrechen in Erinnerung zu halten, und damit einen wichtigen Beitrag zu einer Zukunft ohne Hass und Ausgrenzung leisten.
„Unsere Ergebnisse belegen das Potenzial partizipativer Ansätze im Vergleich zu traditionellen Methoden, die sich auf reine Informationsvermittlung konzentrieren“, sagt Studienkoordinatorin Ruth Ditlmann von der Hertie School. „Sie stärken das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit – ein zentraler Motor für bürgerschaftliches Engagement.“
Darüber hinaus zeigt die Studie, dass die aktive Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen auch das Bewusstsein für andere historische Ungerechtigkeiten – etwa Kolonialverbrechen – fördern kann. Teilnehmende waren anschließend stärker motiviert, der Opfer des deutschen Kolonialismus zu gedenken oder Archive zu unterstützen, die dieses Unrecht dokumentieren. „Dies steht, zumindest auf der individuellen Ebene, im Gegensatz zur Annahme, Erinnerungsarbeit sei ein Nullsummenspiel, bei dem unterschiedliche Gedenkanlässe um Aufmerksamkeit konkurrieren“, sagt WZB-Forscherin Berenike Firestone.
Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, betont: „Die aktive und niedrigschwellige Einbindung von Menschen in digitale Erinnerungsprojekte ist uns extrem wichtig. Die Studie zeigt nun sogar: Wenn Menschen sich bei #everynamecounts engagieren, entsteht eine kollektive und wirkungsvolle Gedenkarbeit, die in dieser Form bisher nicht möglich war – persönlich und gleichzeitig global verbunden und mit anderen im Austausch.“
Die Studie „Participating in a Digital-History Project Mobilizes People for Symbolic Justice and Better Intergroup Relations Today“ von Ruth Ditlmann, Berenike Firestone und Oguzhan Turkoglu ist in der Zeitschrift Psychological Science erschienen.
Gefördert wurde die Untersuchung von der VolkswagenStiftung.
Dr. Berenike Firestone, Abteilung Transformationen der Demokratie
berenike.firestone@wzb.eu
Claudia Roth, Stellvertretende Leiterin Kommunikation
Tel.: 030 – 25491 510
claudia.roth@wzb.eu
https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/09567976251331040
https://arolsen-archives.org/
https://everynamecounts.arolsen-archives.org/ (Mehr Informationen zu den Arolsen Archives und dem Projekt #everynamecounts)
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Teachers and pupils, all interested persons
History / archaeology, Media and communication sciences, Politics, Social studies, Teaching / education
transregional, national
Research results
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).