Junge Geflüchtete verbessern ihre Sprachkenntnisse in Deutschland am ehesten, wenn sie möglichst schnell in reguläre Schulklassen kommen. Das zeigt eine neue Studie von Forschenden der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), für die sie Daten von mehr als 1.000 Jugendlichen auswerteten. Die Analyse zeigt auch: Willkommensklassen scheinen unzureichende Deutschkenntnisse nicht wie erhofft ausgleichen zu können. Die Arbeit wurde im Fachmagazin „Acta Sociologica“ veröffentlicht.
Damit Schülerinnen und Schüler aus eingewanderten Familien dem Unterricht folgen und gute Leistungen bringen können, müssen sie die Sprache des Aufnahmelandes beherrschen. „Über den Stand der Deutschkenntnisse existieren auch zehn Jahre nach der großen Fluchtmigrationsbewegung nach Deutschland wenig Zahlen. Untersuchungen zeigen jedoch, dass geflüchtete Grundschulkinder beim Leseverständnis durchschnittlich zwei Schuljahre im Vergleich zu ihren nicht eingewanderten Mitschülerinnen und Mitschülern zurückliegen“, sagt PD Dr. Oliver Winkler vom Institut für Soziologie der MLU.
Gemeinsam mit Anne-Kathrin Carwehl vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge untersuchte Winkler, ob rechtliche und institutionelle Bedingungen einen Einfluss auf den Erwerb von deutschen Sprachkompetenzen junger Geflüchteter haben. Die Forschenden haben dabei drei Faktoren in den Blick genommen: die Wartezeit bis zur Einschulung, den Asylstatus und die Frage, ob die Geflüchteten vor dem Besuch der regulären Klasse eine sogenannte Neuzuwanderer- oder Willkommensklasse besucht hatten. In die Analyse wurden 1.097 Jugendliche einbezogen, die zum Befragungszeitpunkt zwischen 14 und 16 Jahre alt waren und eine Regelklasse in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Sachsen besuchten. Datengrundlage ist das Panel „Refugees in the German Educational System“ (ReGES), das von 2016 bis 2021 vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe durchgeführt wurde und bei dem auch Deutschkenntnisse geprüft worden sind.
Die Ergebnisse der MLU-Auswertung zeigen, dass längere Wartezeiten bis zur Einschulung auch Jahre später noch mit schlechteren Deutschkenntnissen einhergehen. „In vielen Bundesländern beginnt die Einschulung erst dann, wenn die Zuweisung der Flüchtlingsfamilie zu einer Kommune erfolgt ist. Damit sollen häufige Schulwechsel vermieden werden“, erklärt Winkler. Folge dieser Politik ist, dass schulpflichtige Flüchtlingskinder oft deutlich länger als ein halbes Jahr auf ihre Einschulung warten und in dieser Zeit keinen Kontakt zu deutschsprachigen Mitschülerinnen und Mitschülern haben.
Dieser mangelnde Kontakt zu gleichaltrigen Nichtgeflüchteten ist offenbar auch ein Grund dafür, dass Willkommensklassen kaum zu einer Angleichung der Zweitsprachkenntnisse führen. Solche Klassen sind in vielen Bundesländern eingerichtet worden, um junge Geflüchtete mit geringen Deutschkenntnissen auf den Besuch einer Regelklasse vorzubereiten. „Wir haben festgestellt, dass ehemalige Schülerinnen und Schüler von Willkommensklassen auch Jahre später noch geringere Sprachkenntnisse als jene Flüchtlinge haben, die von Anfang an Regelklassen besuchten. In den Vorbereitungsklassen gelingt es offenbar nicht ausreichend, Anfangsunterschiede beim Sprachniveau auszugleichen“, sagt Winkler.
Tendenziell hängen die Sprachkenntnisse offenbar auch vom Asylstatus ab. Die Daten des ReGES-Panels zeigen: Geflüchtete, die mit dem latenten Risiko leben, abgeschoben zu werden, haben schlechtere Deutschkenntnisse. Winkler: „Offenbar setzen unterschiedliche Bleibeperspektiven unterschiedlich starke Anreize zum Erlernen der Zielsprache. Wer nicht weiß, ob er bleiben darf, investiert womöglich weniger in seine Deutschkompetenzen."
Auch wenn der Bildungserfolg von Geflüchteten von vielen weiteren Faktoren abhängt, lassen sich nach Ansicht der Forschenden anhand der Daten des ReGES-Panels dennoch Empfehlungen für die Politik ableiten. „Die Tendenz ist eindeutig: Eine möglichst schnelle Einschulung, eine rasche Integration in den Fachunterricht und ein sicherer Asylstatus sind gute Voraussetzungen für das Erlernen der deutschen Sprache. Insbesondere in den Grundschulen sollte auf separierende Vorbereitungsklassen verzichtet werden“, sagt Winkler. Als Einwanderungsland sei Deutschland gefordert, an dieser Stelle gute Rahmenbedingungen und kontinuierliche Unterstützung für eine gelingende Integration zu schaffen.
Die Studie wurde vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt gefördert.
Studie: Winkler O. & Carwehl A.-K. Institutional conditions and acquisition of language skills among young refugees: Investigating the German context. Acta Sociologica (2025). doi: 10.1177/00016993251351531
https://doi.org/10.1177/00016993251351531
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