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10/09/2025 17:01

Behandlung eines Patienten: Hirnschrittmacher hilft bei Stottern

Dr. Markus Bernards Public Relations und Kommunikation
Goethe-Universität Frankfurt am Main

    Die tiefe Hirnstimulation, bei der bestimmte Hirnregionen durch eingepflanzte Elektroden angeregt werden, ist eine vielfach erprobte Methode zur Behandlung von Bewegungserkrankungen wie Morbus Parkinson. Forschende um Christian Kell von der Universitätsmedizin Frankfurt und Nils Warneke und Katrin Neumann vom Universitätsklinikum Münster haben jetzt erstmals mit dieser Methode das starke Stottern eines Menschen mit Entwicklungsstottern erfolgreich lindern können. Die Wissenschaftler*innen bereiten jetzt eine Studie vor, in der die Therapie an weiteren Menschen, die stark stottern, getestet werden soll.

    Während als Ursache für das Stottern bis vor rund 30 Jahren noch rein psychische Ursachen vermutet wurden, gehen Wissenschaftler*innen heute von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren aus, die Stottern begünstigen. So wurden zum Beispiel eine Reihe von Genen identifiziert, die das Risiko für Stottern erhöhen, und anatomisch lassen sich im Gehirn von Menschen mit Redeflussstörungen Verschaltungen der Nervenbahnen und Hirnaktivitäten erkennen, die anders sind als bei Menschen, die flüssig sprechen können.

    PD Dr. Christian Kell, Neurologe und Direktor des Cooperative Brain Imaging Center an der Goethe-Universität, erläutert: „Die linke Hirnhälfte kann Signale verarbeiten, die schnell aufeinander folgen. Bei stotternden Menschen allerdings interagiert in der linken Hirnhälfte die Hörrinde nicht so viel mit der motorischen Hirnrinde, die die Muskeln des Sprechapparates steuert. Das Gehirn lagert möglicherweise deshalb die Aufgaben an die rechte Hirnhälfte aus. Diese kommt allerdings mit den schnellen Signalen, wie sie der Sprache eigen sind, nicht so gut zurecht.“ Die Folge: Obwohl die betroffenen Menschen genau wissen, was sie sagen wollen, bleiben sie an einzelnen Wörtern hängen.

    Stottern sieht Kell nicht zwingend als Krankheit, die geheilt werden muss. „Ich fände es richtig, wenn die Gesellschaft akzeptieren würde, dass ein Mensch stottert“, so der Neurologe. Andererseits sei er davon überzeugt, dass die Medizin Angebote machen sollte, wenn die Betroffenen unter ihrer Redeflussstörung leiden und Hilfe suchen.

    Die Teams aus Frankfurt und Münster haben jetzt – nach intensiver wissenschaftlicher Vorbereitung und auf nachdrückliche Bitte des Patienten – einem stotternden Mann einen haarfeinen Draht in den linken Thalamus einpflanzen lassen, einer zentralen Schaltstelle im Innern des Gehirns. Über diesen Draht konnte die Hirnpartie durch leichte elektrische Ströme angeregt werden. Anschließend wurde über standardisierte Tests erfasst, wie sich das Stottern des Mannes veränderte.

    Von dem Ergebnis ist Kell begeistert: „In den Monaten nach Beginn der Stimulation nahm die Häufigkeit des Stotterns langsam um 46 Prozent ab, und das Stottern war deutlich weniger gravierend. Wenn wir die tiefe Hirnstimulation ausschalteten, ohne dass der Patient den Zeitpunkt kannte, war das Stottern wieder stärker, wir konnten also einen echten biologischen Effekt in Abhängigkeit von der Stärke der Hirnstimulation erzielen.“ Anders als etwa bei Parkinsonpatient:innen, deren Zittern typischerweise unmittelbar nach Start der Hirnstimulation vermindert wird und sofort nach dem Abschalten der Stimulation wieder zurückkehrt, nahm das Stottern nach dem Abschalten der Stimulation sehr verzögert wieder zu – aber nicht so stark, wie es vorher war. Kell macht für einen Teil dieses Effekts den Patienten selbst verantwortlich: „Dadurch, dass er durch die Stimulation die Erfahrung gemacht hat, weniger zu stottern, haben er und sein Gehirn wahrscheinlich Wege gefunden, dass Stottern zu verringern.“

    Jetzt bereitet das Wissenschaftsteam eine Studie vor, um herauszufinden, ob die tiefe Hirnstimulation auch anderen Menschen, die stark stottern, helfen kann. Kell dämpft jedoch zu große Erwartungen: „Die tiefe Hirnstimulation ist ein aufwändiger körperlicher Eingriff und birgt wie jede Operation Risiken. Die gilt es sorgfältig abzuwägen gegen den Leidensdruck, den ein stotternder Mensch verspürt. Zudem wollen wir auch untersuchen, ob wir das Gehirn von außen – ohne Operation – mit ähnlichen Effekten stimulieren können.“

    Bilder zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/178840084

    Bildtext:
    Die Lage der implantierten Elektroden in den Basalganglien des Patienten. (1)
    Die Intensität des Stotterns hat durch die tiefe Hirnstimulation deutlich angenommen. Das Diagramm zeigt die Stärke des Stotterns in der Zeit von bis zu neun Jahren vor und ab drei Monaten nach der Operation. (2)
    Bildquelle beider Bilder: Kell et al., J Fluency Dis 2025, doi: https://doi.org/10.1016/j.jfludis.2025.106147

    Hintergrundinformationen
    „Die Entstehung des Worts: Wie das Gehirn aus Schallwellen Sprache macht“, in: Forschung Frankfurt 1/2025
    https://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/176317635/forschung-frankfurt-a...


    Contact for scientific information:

    PD Dr. Christian Kell
    Cooperative Brain Imaging Center (CoBIC), Direktor
    Goethe-Universität Frankfurt
    Tel +49 (0)69 6301-6395
    c.kell@em.uni-frankfurt.de
    https://www.izn-frankfurt.de/mitglied/kell/


    Original publication:

    Christian A. Kell, Nils Warneke, Verena Zentsch, Johannes Kasper, Melanie Vauth-Weidig, Tobias Warnecke, Katrin Neumann: Left thalamic deep brain stimulation for persistent developmental stuttering. Journal of Fluency Disorders (2025) https://doi.org/10.1016/j.jfludis.2025.106147


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Biology, Language / literature, Medicine, Psychology
    transregional, national
    Cooperation agreements, Research results
    German


     

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