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10/21/2025 10:00

Exotische Kristalle aus Rotoren

Dr.rer.nat. Arne Claussen Stabsstelle Presse und Kommunikation
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

    Physik: Veröffentlichung in PNAS

    Es klingt kurios, aber es gibt sie: Kristalle, die aus rotierenden Objekten bestehen. Physiker aus Aachen, Düsseldorf, Mainz und von der Wayne State University (Detroit, USA) haben zusammen diese exotischen Objekte und ihre Eigenschaften untersucht. Sie können leicht in einzelne Bruchstücke zerfallen. Sie besitzen seltsame Korngrenzen und Fehlstellen, die gezielt gesteuert werden können. In der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erläutern die Forscher, wie mit einer umfassenden Theorie eine Vielzahl neuer Eigenschaften solcher sogenannten transversal wechselwirkenden Systeme vorhergesagt werden können.

    „Transversale Kräfte“ können in synthetischen Systemen auftreten, beispielsweise in bestimmten magnetischen Festkörpern. Es gibt sie aber auch in Systemen aus lebenden Organismen: In einem Experiment am MIT in den USA mit sehr vielen schwimmenden Seestern-Embryonen wurde beobachtet, dass sich diese Embryonen durch ihre Schwimmbewegungen gegenseitig beeinflussen und dadurch umeinander rotieren. Die biologische Funktion dieses Effekts ist bislang nicht verstanden. Gemeinsam ist all diesen Systemen, dass sie sich aus rotierenden Objekten zusammensetzen.

    Prof. Dr. Hartmut Löwen vom Institut für Theoretische Physik II der HHU: „Ein System aus vielen rotierenden Bausteinen weist ein qualitativ neues Verhalten auf, das der normalen Intuition widerspricht: Bei hoher Konzentration bilden diese Objekte einen Festkörper aus Rotoren, der ‚schräge‘ Materialeigenschaften besitzt.“

    An einem Beispiel für „schräge Elastizität“ wird klarer, was mit „schräg“ gemeint ist: Wird an einem herkömmlichen Material gezogen, dann verformt es sich in Richtung des Zugs; ein schräg-elastisches Material verformt sich dagegen nicht, sondern es verdreht sich.

    Auch kann ein „schräger“ Festkörper spontan in viele rotierende Kristallite zerfallen, wenn seine Bausteine so sehr aneinander reiben, dass sie Fragmente bilden. Bemerkenswerterweise kann sich der Kristall nicht nur selbst in Stücke zerlegen, sondern auch selbst wieder zusammensetzen.

    Ein Physikerteam um Erstautor Prof. Dr. Zhi-Feng Huang von der Wayne State University (Department of Physics and Astronomy) und Korrespondenzautor Prof. Löwen hat für solche schrägen Kristalle eine skalenübergreifende Theorie entwickelt. Nach Modellrechnungen mit Hilfe dieser Theorie zogen sie Schlussfolgerungen für neue Anwendungspotentiale solcher seltsamen Festkörper.

    Sie zeigten, dass große transversal wechselwirkende Kristalle intrinsisch in rotierende kleine Kristalleinheiten zerfallen werden. Kleinere Kristalle dagegen wachsen, bis sie eine kritische Größe erreichen. Dieses Verhalten steht im Widerspruch zu normalem Kristallwachstum, welches bei günstigen thermodynamischen Bedingungen dazu führt, dass immer größer werdende Kristalle ausreifen.

    Prof. Huang: „Wir haben ein dem Prozess zugrundeliegendes fundamentales Naturgesetz entdeckt. Es beschreibt, wie die Größe der kritischen Bruchstücke und ihre Rotationsgeschwindigkeit zusammenhängen.“

    Prof. Dr. Raphael Wittkowski vom DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien und von der RWTH Aachen, Koautor der Studie, ergänzt: „Wir konnten auch zeigen, dass Defekte in den Kristallen eine eigene Dynamik zeigen. Die Ausbildung solcher Defekte kann von außen beeinflusst werden. Hierüber können auch die Eigenschaften der Kristalle mit Blick auf Anwendungen gezielt gesteuert werden.“

    „Unsere weitreichende Theorie umfasst alle Systeme mit solchen transversalen Wechselwirkungen. Anwendungen sind von der Kolloidforschung bis in die Biologie vorstellbar“, betont Koautor Jun.-Prof. Dr. Michael te Vrugt von der Universität Mainz.

    Prof. Dr. Hartmut Löwen: „Die Modellrechnungen weisen auf konkrete Anwendungsperspektiven hin. Die neuen Kristalle haben neuartige elastische Eigenschaften, die etwa für neue technische Schaltelemente genutzt werden können.“

    Hintergrund: Zentralkräfte und transversale Kräfte

    Fundamentale Wechselwirkungen in der Physik wie beispielsweise die Gravitation zwischen zwei Massen oder die Coulombkraft zwischen zwei geladenen Körpern sind sogenannte Zentralkräfte: Sie wirken zentral in Richtung der Verbindungslinie zwischen den beiden Körpern. Diese Kräfte sorgen dafür, dass sich Körper aufeinander zu- oder voneinander wegbewegen.

    Neuerdings wurden aber auch Wechselwirkungen entdeckt, die „transversal“ sind. In solch einer exotisch anmutenden Wechselwirkung wirkt die gegenseitige Kraft senkrecht zur Verbindungsrichtung. Dadurch fangen Körper an, sich spontan umeinander zu drehen.


    Original publication:

    Z.-F. Huang, M. te Vrugt, R. Wittkowski, H. Löwen, Anomalous grain dynamics and grain locomotion of odd crystals, PNAS 122 (42) e2511350122 (2025).

    DOI: 10.1073/pnas.2511350122


    More information:

    https://news.mit.edu/2022/starfish-embryos-crystal-0713


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    Spontane Fragmentierung eines rotierenden Kristalls aus transversal-wechselwirkenden Teilchen in mehrere rotierende Kristallbruchstücke.
    Spontane Fragmentierung eines rotierenden Kristalls aus transversal-wechselwirkenden Teilchen in meh ...

    Copyright: Wayne State University / Zhi-Feng Huang


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Spontane Fragmentierung eines rotierenden Kristalls aus transversal-wechselwirkenden Teilchen in mehrere rotierende Kristallbruchstücke.


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