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11/10/1999 11:05

Hallesche Geographen gehen der Mulde auf den Grund

Ingrid Godenrath Stabsstelle Zentrale Kommunikation
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

    Untersuchungen hallescher Wissenschaftler am Muldestausee bei Bitterfeld in Sachsen-Anhalt

    Mittelgroße Fließgewässer, wie zum Beispiel die Mulde, wurden von der Forschung bislang wenig beachtet, weil sie keine Verkehrsfunktionen erfüllen, aber andererseits bereits so groß sind, daß wissenschaftliche Probenentnahme- und Meßverfahren nur mit erheblichem Aufwand durchgeführt werden können. Die Arbeitsgruppe für Physische Geographie und Geomorphologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, geleitet von Prof. Dr. Karl-Heinz Schmidt (Institut für Geographie), widmet sich seit 1997 unter der Projektverantwortlichkeit von Dr. Thomas Vetter, dem Forschungsprojekt "Feststofftransport und -depositionsprozesse mittelgroßer Fließgewässer am Beispiel der Mulde bei Bitterfeld".
    Hervorgegangen ist dieses Vorhaben aus einer Studie zur Untersuchung der Sinnhaftigkeit eines Umleitungsgerinnes um den Muldestausee bei Bitterfeld, die im Jahre 1996 vom WWF-Aueninstitut in Rastatt und der Lausitzer-Mitteldeutschen Braunkohlen-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) in Auftrag gegeben und auch gefördert wurde. An diesem Projekt waren die Halleschen Wissenschaftler zusammen mit dem Leipziger Ingenieurbüro Geophysikalische Dienste beteiligt.

    "Die gewonnenen Erkenntnisse haben zunächst grundlagenwissenschaftliche Bedeutung" erläutert Gruppenleiter Dr. Vetter. "Die Existenz des Muldestausees erlaubt den direkten Vergleich der fluvialen Geomorphodynamik des Flusses mit Feststofffracht oberhalb und ohne unterhalb des Stausees. Diese Konstellation ist deswegen einmalig, weil der Feststoffhaushalt des Flusses bis 1975 ungestört war. Die Entwicklung des Flußbettes vorher und nachher ist durch Luftbildaufnahmen aussagekräftig dokumentiert und von den Untersuchungsergebnissen werden wichtige Hinweise für die zukünftige Planung der Flußlandschaft erwartet." Durch Schließung von Abbaugebieten im Mitteldeutschen Braunkohlenrevier entstanden bekanntlich im Raum Bitterfeld und Halle/Saale großflächige Restlöcher. Dr. Thomas Vetter: "Im Verlauf unserer Untersuchungen im Rahmen des Projekts sind die gewonnenen Erkenntnisse auch von Bedeutung im Hinblick auf die geplante Flutung weiterer Tagebaurestlöcher in den kommenden Jahren und den damit verbundenen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt und die Feststoffbilanzen der betroffenen Gewässer".

    Bei der Mulde oder Vereinigten Mulde, die aus dem Zusammenfluß der Freiberger und der Zwickauer Mulde entsteht, handelt es sich um einen Flachlandfluß mit Einzugsgebiet im Mittelgebirge und dementsprechend stark ausgeprägten Hochwässern. Sie ist innerhalb der Eindeichungen weitgehend naturnah und nicht als Schiffahrtsstraße ausgebaut. Charakteristisch für den Muldeverlauf sind seine ausgeprägten Flußwindungen, die in der Fachsprache als Mäander bezeichnet werden.
    Der gravierendste Eingriff in das Flußsystem der Mulde zur Flutung des Tagebaurestloches "Muldenstein", geschah im Jahre 1975, östlich von Bitterfeld. Hier erfolgte in der Nähe der Ortschaft Pouch die Umleitung des Flusses auf einer Strecke von 10 km. "Der alte Muldelauf wurde 'stillgelegt' und fiel trocken" erklärt Thomas Vetter. Der so entstandene Muldestausee hat heute bei Mittelwasser ein Volumen von 94 Mio. m3, eine maximale Tiefe von 35 m und eine Oberfläche von 6,1 km2. Sein Fassungsvermögen entspricht ungefähr dem der Rappbodetalsperre im Harz, dem des Schluchsees im Schwarzwald oder dem des Sylvensteinspeichers in den Bayrischen Alpen. Ungefähr 80% der Sedimente, die der Fluß mit sich führt, lagern sich im Stausee ab. Daraus resultiert ein Feststoffdefizit unterhalb des Muldestausees.

    Da die Mulde unterhalb des Stausees mit erheblich verringerter Festofffracht weiterfließt, eignet sie sich auf den Abschnitten vor und hinter dem See ausgezeichnet für die Untersuchung von flußmorphologischen Prozessen und ihren Auswirkungen auf die Umwelt.
    Im Jahr 1996 wurde das Delta, das die Mulde seit 1975 in den Muldestausee geschüttet hat, echographisch vermessen. Aus dem Vergleich mit markscheiderischen Aufnahmen von 1975 und Dichtebestimmungen des Deltasediments, konnte man ermitteln, daß der Fluß in der zu diesem Zeitpunkt 21jährigen Geschichte des Stausees im Durchschnitt 410000 t Sediment im Jahr herantransportiert und im See abgelagert hatte. Das entspricht einer durchschnittlichen Fracht von über 1000 t am Tag. Davon entfällt ungefähr ein Viertel auf die Geschiebefracht, die auf der Gewässersohle ähnlich wie auf einem Förderband entlanggeschoben wird. Die verbleibenden drei Viertel der Feststofffracht bestehen aus Schwebstoffen.
    Von der Korngrößenverteilung des Materials an der Sohle oder in den Uferböschungen sowie seiner tatsächlichen Verfügbarkeit hängen Mobilität und Transport ab. Entscheidend für die Morphodynamik ist jedoch, daß der Großteil der Feststofffracht an verhältnismäßig wenigen Tagen im Jahr, nämlich bei hohen Wasserständen, transportiert wird und die Beförderung auch während der Transportphasen sehr ungleichmäßig erfolgen kann.

    In der Arbeitsgruppe liegen bereits umfangreiche Erfahrungen aus dem Ruhreinzugsbegiet und dem Alpenraum vor. Dr. Thomas Vetter weiß um die Fehlerquellen bei den speziellen Untersuchungen: "Probenentnahmen können demnach große Ungenauigkeiten aufweisen, wenn sie zufällig am verkehrten Ort oder zur verkehrten Zeit genommen wurden. Die Arbeitsgruppe verfolgt daher systematisch die morphologische Entwicklung des Flußbettes, um den Feststofftransport zeitlich, räumlich und in seiner Abhängigkeit vom Abflußzustand präziser zu charakterisieren". Dabei können die Mitglieder der Projektgruppe auf leistungsfähige technische Hilfsmittel zurückgreifen. Unter anderem gelangt ein Vermessungsecholot mit Satellitennavigationssystem von einem Schlauchboot aus zum Einsatz. Diese zeitlich hochauflösenden Untersuchungen werden durch eine Auswertung von historischen Karten und Luftbildern verschiedener Aufnahmezeitpunkte ergänzt.

    Die erwarteten Erkenntnisse über die Sedimentmobilität und das Transportverhalten im unbeeinflußten Flußabschnitt fluvialen, das heißt von fließendem Wasser geschaffenen System der Mulde oberhalb des Stausees, lassen anschließend Aussagen über die voraussichtliche Entwicklung des Flusses unterhalb des Stausees zu. Man geht generell davon aus, daß der Fluß durch den Verlust seiner Feststofffracht im See einen 'Sedimenthunger' aufweist, der unterhalb des Stausees zu einer unnatürlichen Eintiefung des Gewässers, beispielsweise einer Eintiefung des Gerinnebettes mit allen daraus erwachsenden Konsequenzen, führen wird. Aus anderen Fällen ist bekannt, daß sich bei einer Tieferlegung des Fließgewässers der Grundwasserspiegel in den benachbarten Auen absenken kann. Auch eventuelle Auswirkungen auf den Feststoffhaushalt der Elbe sind noch ungeklärt. Der Frage, ob überhaupt und in welcher Geschwindigkeit sich Veränderungen vollziehen, wollen die halleschen Experten 'auf den Grund gehen'.

    Im Rahmen dieser umfangreichen Forschungsarbeiten, die über die Jahrtausendwende hinaus geführt werden, kooperieren die Uni-Wissenschaftler mit verschiedenen Facheinrichtungen wie dem Staatlichen Amt für Umweltschutz Dessau/Wittenberg, der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffahrt, Berlin, dem WWF-Aueninstitut, Rastatt, der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Leipzig, dem Biosphärenreservat Mittlere Elbe, Dessau, und mit der Unteren Naturschutzbehörde im Landkreis Bitterfeld.

    Dr. Thomas Vetter

    Ansprechpartner:
    Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
    Dr. Thomas Vetter
    Institut für Geographie
    Tel. (0345) 55 260 28
    Fax: (0345) 55 26168
    e-mail: vetter@geographie.uni-halle.de


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    Criteria of this press release:
    Geosciences
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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