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08/07/2000 14:08

Recht und Literatur befruchten sich gegenseitig

Brigitte Nussbaum Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Jurist der Universität Münster untersucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Disziplinen

    Recht und Literatur - scheinbar ein Widerspruch. Hier die weiche, emotionale, individualisierte Sprache, dort die Strenge des Gesetzestextes, die keine Interpretation zuzulassen scheint - das passt kaum zusammen. Doch das ist ein Irrtum, meint der Jurist Prof. Dr. Bodo Pieroth von der Universität Münster. Er beschäftigt sich bereits seit Jahren mit den vielfältigen Beziehungen zwischen Recht und Literatur.

    Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die gegenseitige Beschäftigung miteinander sind auf verschiedenen Ebenen zu finden. Als erstes fällt der biographische Aspekt ins Auge: Viele bedeutende Schriftsteller haben eine Ausbildung als Jurist hinter sich. Im 18. Jahrhundert sind dies unter anderem Matthias Claudius, Gottfried August Bürger, Goethe, Novalis, die Grimm-Brüder, Ludwig Uhland und Heinrich Heine studierten Rechtswissenschaften, bevor sie sich der Literatur widmeten. Im 19. Jahrhundert lässt sich die Reihe beliebig fortsetzen mit Nestroy, Ludwig Thoma, Franz Kafka, Adalbert Stifter oder Franz Wedekind. Im 20. Jahrhundert finden sich Namen wie Peter Handke, Alexander Kluge, Herbert Rosendorfer und nicht zuletzt Bernhard Schlink, der mit dem "Vorleser" einen internationalen Erfolg feiern konnte und an der Berliner Humboldt-Universität Rechtswissenschaft lehrt.

    Pieroth hat für die auffällige Häufung zwei Erklärungsansätze: "In beiden Bereichen ist die Sprache der Gegenstand des Bemühens, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Betrachtet man dieses Phänomen aus soziologischer Sicht, so lässt sich sagen, dass die Juristerei keine spezifische Begabung voraussetzt. Es war schon immer ein Brotstudium". Neben dem materiellen Stützbein Recht konnte sich das Spielbein Literatur entwickeln. Dichterjuristen haben ihren Broterwerb unterschiedlich in ihr Werk einfließen lassen. "Vielleicht ist das Schöpfertum ja eine Konsequenz aus dem Leiden an der Juristerei", meint Pieroth nicht ganz ernst, fügt aber hinzu, dass die Beschäftigung mit dem Recht für viele ein Gewinn gewesen sei. Für Heine sei seine Kenntnis des römischen Rechts sicher förderlich gewesen für seinen Blick auf die Gesellschaft, auch bei Kafka oder Tucholsky sei ihre akademische Herkunft unverkennbar. Ein Gegenbeispiel dafür ist Novalis: einerseits erfolgreicher Ministerialbeamter, andererseits in seiner Dichtung schwärmerisch wie kaum ein zweiter.


    Ein zweiter Aspekt neben dem biographischen zeigt die enge Verwandtschaft zwischen beiden Bereichen. Recht und Literatur seien, so Pieroth, ein Zwillingspaar, denn beide befassen sich über das Medium Sprache mit der Realität. "Recht dient der Steuerung sozialer Prozesse. Literatur spiegelt diese sozialen Prozesse wider".

    Einem dritten Aspekt steht er eher skeptisch gegenüber. Das in den USA weit verbreitete "Law-and-Literature-Movement" geht von der These aus, dass Rechts- und Literaturwissenschaft voneinander lernen und sich in ihren Methoden gegenseitig befruchten können. "Natürlich geht es in beiden Wissenschaften darum, Texte zu verstehen, doch das Ziel ist jeweils ein anderes". In der Rechtswissenschaft werde versucht, eine möglichst große Eindeutigkeit zu erzielen, während die Literaturwissenschaft darauf abziele, verschiedene Bedeutungsebenen zu erfassen.

    Wenig fruchtbar ist für ihn die Frage, wie Recht in der Literatur beziehunsgweise umgekehrt abgehandelt werde. "Es sind jeweils Gegenstände wie jeder andere auch. Ob in ,Schuld und Sühne' oder ,Die verlorene Ehre der Katharina Blum', die Betrachtung des Rechts ist nur ein Aspekt neben anderen". Andererseits beschäftige sich zwar das Recht mit Fragen wie dem Urheberrecht, Zensur oder dem Verlagsrecht, doch würden schließlich alle geistigen Prozesse durch Recht reguliert.

    Für den Rechtswissenschaftler aber kann die Literatur durchaus zu einem Erkenntnisgewinn beitragen. Zwar ist Pieroth die Feststellung "Das Dichterwort ist die ursprüngliche Wahrheit" ein wenig zu "metaphysisch", doch er betont, dass die Literatur zugespitzt und besonders anschaulich jene Dinge widerspiegele, um die es im Recht gehe. So lasse sich Rechtsgeschichte an alten literarischen Texten ablesen, ein Erkenntnisgewinn, der über die bloße Illustration hinausgehe. In Vorlesungen nutzt Pieroth gern Fallbeispiele aus der Literatur - unter anderem, um die Studierenden in gutem Deutsch zu schulen.

    Befruchtend kann auch die Untersuchung der Rechts in der Literatur für Literaturwissenschaftler wirken. Als Beispiel nennt Pieroth Goethes Gedicht "Willkommen und Abschied", über das bereits ganze Bibliotheken von literarischen Analysen geschreiben wurden. Einem Juristen ist die Erkenntnis zu verdanken, dass der Titel des Gedichts auf eine Zuchthaus-
    Zusatzstrafe, die Auspeitschung, im preußischen Landrecht anspielt. Seit Anfang des Jahrhunderts entstanden viele Untersuchungen, die sich mit den unterschiedlichsten Berührungspunkten von Recht und Literatur bis hin zu "James Bond und das Völkerrecht" auseinandersetzen.

    In Deutschland ist die Betrachtung von Recht und Literatur ein Hobby von "Schöngeistern", nimmt Pieroth ein Spottwort wohlwollend auf, während es in den USA einige Lehrstühle zum Thema existieren. Doch auch hier zu Lande gibt es eine lange Tradition. Die Brüder Grimm organisierten beispielsweise einen Kongress, bei dem germanisches Recht und germanische Literatur gleichberechtigt betrachtet wurden.


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    Criteria of this press release:
    Language / literature, Law, Politics
    transregional, national
    Research results
    German


     

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