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03/25/1998 00:00

Mit Bildern gegen das Vergessen

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    54/98

    Mit Bildern gegen das Vergessen

    Portraets auf Grabstaetten als Zeugnisse der Stadtgeschichte

    Die Portraetdarstellung auf dem Grabmal ist nicht nur als eine Aussage ueber die aeussere Erscheinung oder die gesellschaftliche Stellung des Verstorbenen zu sehen. Immer sagt sie auch viel ueber die Beweggruende des Auftraggebers. Das Bildnis kann der Selbstdarstellung dienen, wenn der Abgebildete den Auftrag vor seinem Tod selbst erteilt hat. Es mag auch einer ganzen Familie als Moeglichkeit zur Repraesentation dienen, oder einfach ein Mal der Trauer und des Erinnerns an einen geliebten Menschen sein. Wurde ein Grabmal mit Portraetdarstellung von einer oeffentlichen Gruppierung - einem Verein oder Betrieb - fuer ein verstorbenes Mitglied in Auftrag gegeben, kann es in Form und Funktion einem Denkmal gleichen. Zu diesen Ergebnissen kommt Iris Benner vom Kunsthistorischen Institut der Universitaet zu Koeln in ihrer Untersuchung "Form und Funktion von Portraets auf Grabmaelern zwischen 1850 und 1950 am Beispiel des Koelner Melatenfriedhofs".

    Die Koelner verdanken die Gruendung des Friedhofs Melaten einem Dekret Napoleons. Es ist der erste Friedhof, der ausserhalb der Koelner Stadtmauern angelegt wird. Notwendig wird dies, weil auf den innerstaedtischen Grabstaetten unhygienische, die Gesundheit gefaehrdende Zustaende herrschen. Lange Zeit bleibt Melaten der einzige Begraebnisplatz der Stadt und noch heute gilt es fuer viele Bewohner der Metropole am Rhein als Privileg, dort zur Ruhe gebettet zu werden.

    Bis in die zweite Haelfte des letzten Jahrhunderts ist der Friedhof der einzige Ort, an dem einem einfachen Buerger ein Denkmal gesetzt werden kann. Bis zu dieser Zeit sind an oeffentlichen Plaetzen nur Herrscher, Feldherrn und Gelehrte denkmalswuerdig. So wird fuer Ferdinand Franz Wallraf (Konservator und Sammler) und auch Johann Heinrich Richartz (Kaufmann und Stifter) ob ihrer kulturellen Verdienste fuer Koeln Mitte des letzten Jahrhunderts zunaechst nur ein sandsteinernes Denkmal auf Melaten errichtet. Erst mit der Jahrhundertwende werden sie durch monumentale bronzene Sitzstatuen vor dem Eingang des nach ihnen benannten Museums geehrt.

    Eine Betrachtung der Form der Grabmaeler, so die Koelner Kunsthistorikerin, bringt wichtige Erkenntnisse ueber die Entwicklung der Kunst- und Stilrichtungen der festgehaltenen Zeitabschnitte. Rueckt hingegen die Funktion in den Blickpunkt des Interesses, so ergeben sich aufschlussreiche Informationen ueber die jeweilige Gesellschaft. Hier erlauben sich Rueckschluesse auf das Menschenbild, den vorherrschenden Jenseitsglauben und die Machtrepraesentation im untersuchten Zeitabschnitt. So ist die einzige Moeglichkeit, im letzten Jahrhundert als Frau durch selbstaendige Portraetdarstellung verewigt zu werden, ein frueher Tod.

    Lange Zeit sprechen die Experten den Grabmalen jeglichen Kunstwert ab. Erst in den letzten Jahrzehnten, so bemerkt Iris Benner, haben die Kunsthistoriker sich eingehender mit der Kunst am Grab befasst. Am Beispiel des Koelner Melatenfriedhofs und der hier vertretenen Bildhauer zeigt sich, dass die Kuenstler aktuelle Tendenzen ihrer Zeit umgesetzt haben, ohne jedoch besonders innovativ oder gar avantgardistisch zu sein. Die Kunsthistorikerin fuehrt dies auf die Gebundenheit des Kuenstlers an die Wuensche der Auftraggeber zurueck.

    Immer ist der Glaube der Menschen ausschlaggebend fuer ihren Totenkult. In der griechischen Antike glaubt man, dass die Seele nach dem Tode unwiederbringlich ins Schattenreich des Hades eingehe. So haben die Bildnisse dort nur die Funktion des Rueckblicks, der Erinnerung. Mit dem aufkommenden Christentum verschwinden individuelle Portraets zugunsten stark typisierter, anonymer Bildwerke. Nach dem vorherrschenden Glauben ist nicht von Bedeutung, was ein Mensch ist oder tut, sondern nur sein Glaube an das ewige Leben. Mit der Renaissance macht die religioese Szene Platz fuer eine reine Portraetdarstellung. Repraesentative Portraetformen bleiben jedoch den Adeligen sowie weltlichen und kirchlichen Herrschern vorbehalten. Die unteren Schichten muessen sich mit einfachen Holzkreuzen begnuegen.

    In unserem Jahrhundert erlebt die Portraetkunst auf den Friedhoefen parallel zum privaten Portraetkult zunaechst einen erneuten Aufschwung. Nun spielt auch das Wissen um ein relativ grosses Publikum, das die Sitte des Friedhofsbesuches pflegt, eine Rolle. Einfluss auf die Zunahme der bildlichen Darstellung des Verstorbenen hat auch der wachsende Wunsch nach Individualitaet. Eng mit diesen Absichten ist auch die Wahl der Grabstelle zu sehen. Die Bankiersfamilie Herstatt etwa waehlt fuer ihr Grab einen Platz am Hauptweg, sozusagen "in der ersten Reihe" und demonstriert damit ihren Stolz auf die, trotz protestantischer Konfession erworbene bedeutende gesellschaftliche Position.

    Der Wert der kuenstlerischen Portraetdarstellung sinkt mit Einfuehrung der Fotografie. Dies, die zunehmende Demokratisierung und der damit verbundene Machtverlust der oberen Schichten, fuehrt schliesslich immer mehr zum Verschwinden der Portraetkunst auf den Friedhoefen.

    Einen gravierenden Einschnitt in die Entwicklung des Grabmals stellt der erste Weltkrieg und die daraus resultierende Armut dar. Kollektive Gefallenendenkmaeler erscheinen nun zweckmaessiger. In der nationalsozialistischen Ideologie werden dann Grabmonumente als wichtige Elemente des Parteikultes gefoerdert, ohne aber ihre vormalige Bedeutung als buergerliches Individualdenkmal zurueckzuerhalten.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias

    Fuer Rueckfragen steht Ihnen Iris Benner unter der Telefonnummer 0221/221-2356 oder 0221/5505226 zur Verfuegung.

    Fuer die UEbersendung eines Belegexemplares waeren wir Ihnen dankbar.

    Presse- und Informationsstelle der Universitaet zu Koeln, Albertus-Magnus-Platz 1, 50923 Koeln, Tel. 0221 470 2202, Fax 0221 470 5190


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