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"Anpassungsneubau" unter Stressbedingungen Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel der Stadt Giessen
Der sogenannte "Anpassungsneubau" stand in Deutschland beim Wiederaufbau der zum Teil voellig zerstoerten (Innen-)Staedte nach dem Zweiten Weltkrieg eindeutig im Vordergrund. "Anpassungsneubau" stellt dabei eine Art Kompromissloesung dar zwischen dem "rekonstruktiven Wiederaufbau", bei dem das vorher Dagewesene tatsaechlich "wieder aufgebaut" wird, und dem reinen "Neubau", der sich von alten Strukturen loest und etwas gaenzlich Andersartiges schafft. Diese Situation bildet die Basis, auf der sich Professor Dr. Josef Nipper vom Geographischen Institut der Universitaet zu Koeln zusammen mit einer Arbeitsgruppe mit dem Thema "Wiederaufbau" als einer ganz eigenen, ungeheuer spannenden Phase allgemeiner Stadtentwicklungsprozesse befasst.
Unter den Extrembedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde unter enormem Stress und haeufig auf einer "tabula rasa" Stadtentwicklung sozusagen im Zeitraffer betrieben. Das, was dabei am haeufigsten entstand, war ein Stadtgefuege, das zwar auf ehemaligen Strukturen aufbaut, im Vergleich zum frueheren Zustand aber nachhaltige Veraenderungen erfaehrt. "Rekonstruktiver Wiederaufbau", dem sich etwa die wieder aufgebauten Haeuser des Muensteraner Prinzipalmarktes zurechnen lassen, hat es demgegenueber in Deutschland grossflaechig praktisch gar nicht gegeben. Und auch der voellige "Neubau" - die Innenstadt von Hannover kann hier als Beispiel dienen - ist demgegenueber eher seltener anzutreffen. Dem Typus des "Anpassungsneubaus" ordnen die Koelner Geographen auch den in nur 15 Jahren erfolgten Wiederaufbau der mittelhessischen Stadt Giessen zu.
Der Bombenangriff auf Giessen am Nikolaustag des Jahres 1944 hatte weit ueber die Haelfte der einst mittelalterlich gepraegten Innenstadt in Schutt und Asche gelegt. In verhaeltnismaessig kurzer Zeit wurde aber ein umfassendes Wiederaufbaukonzept entwickelt und dieses - von wenigen Abstrichen abgesehen - bis zum Beginn der 60er Jahre in die Tat umgesetzt. Zwei Ziele standen hier im Vordergrund: die Optimierung der Grundstuecksstruktur und die Neugliederung oeffentlicher Flaechen. Die mittelalterliche Struktur mit ihren kleinen, engen Gaesschen und verwinkelten Strassenzuegen sollte demnach beseitigt werden zugunsten eines funktionalen, vor allem wirtschaftlich guenstigeren Stadtgrundrisses. Erleichterte Zugaenglichkeit, Vergroesserung der Parzellen und Begradigung ihrer Grenzen waren einige der Hauptkriterien. Damit war die Entscheidung eindeutig fuer eine Verbesserung der raeumlichen Gesamtstruktur, das Strassensystem und die Grundstuecksanordnung, gefallen; bedingt durch die anfaengliche Mangelsituation wurde demgegenueber die architektonisch-staedtebauliche Ebene straeflich vernachlaessigt. Die bauliche Gestaltung der Innenstadt ist deshalb - wie in vielen anderen nach dem Krieg neu errichteten deutschen Staedten auch - bis heute nicht zufriedenstellend.
Dennoch bewertet Professor Nipper den Wiederaufbau Giessens insgesamt als erfolgreich. Namentlich die Restrukturierung der Innenstadt mit einem vereinfachten, klarer gegliederten Strassennetz und einem grosszuegigeren Parzellenzuschnitt konnte allerdings nur durch ein gross angelegtes Umlegungsverfahren zustande kommen; dabei wurde von jedem betroffenen Privatgrundstueck 9,4 Prozent seiner Flaeche in oeffentliches Eigentum ueberfuehrt - und das ohne jede Entschaedigungsregelung. Dass dies keinen nennenswerten Widerstand hervorrief, ist sicher auch auf die besondere Ausgangssituation zurueckzufuehren, die bei allen Beteiligten zu der Einschaetzung fuehrte, einzig auf diesem Wege wieder ein konkurrenzfaehiges Geschaeftszentrum entstehen zu lassen. Daneben trugen aber auch der persoenliche Einsatz sachkundiger Entscheidungstraeger sowie auf strategisch-taktischer Ebene ein genau abgestimmtes Vorgehen bei der Baulandumlegung und schliesslich der Einsatz einer von der Stadt ins Leben gerufenen Wiederaufbau-AG zum Gelingen des Wiederaufbaus bei.
Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias
Fuer Rueckfragen steht Ihnen Professor Dr. J. Nipper am Mittwochvormittag und am Donnerstagvormittag von 8.30 Uhr bis 12.00 Uhr unter der Telefonnummer 0221/470-3891, Fax-Nummer 0221/470-4917 und der Email-Adresse J.Nipper@uni-koeln.de zur Verfuegung. Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.htm).
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