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11/25/1997 00:00

Verelendung als Kehrseite der Veredelung

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    207/97 Verelendung als Kehrseite der Veredelung Ursachen und Wirkungen der Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete

    In Zukunft werden einkommensschwache Gesellschaftsschichten immer staerker nicht nur sozial, sondern auch raeumlich an den Rand gedrueckt. Die Entstehung uniformer Wohnsilos in der Peripherie der Grossstaedte und damit die fortschreitende Konzentration sozial Benachteiligter ist die Schattenseite des unverminderten Zuzugs gutverdienender Bevoelkerungsgruppen in innenstadtnahe Wohngebiete. Doch damit nicht genug: auch weniger citynahe, aber aehnlich strukturierte Viertel werden zunehmend von einkommensstarken Personenkreisen besiedelt, so dass die Schere zwischen Arm und Reich auch hinsichtlich der staedtischen Wohnsituation immer groesser wird. Zu diesem Ergebnis gelangt Dr. Robert Kecskes vom Forschungsinstitut fuer Soziologie der Universitaet zu Koeln im Rahmen seiner Untersuchung ueber Aufwertungsprozesse in innenstadtnahen Wohnvierteln.

    Der Koelner Soziologe nimmt sich damit eines Phaenomens an, das heute in praktisch allen europaeischen und nordamerikanischen Grossstaedten zu beobachten ist und von Stadtsoziologen mit dem englischsprachigen Begriff der "Gentrification" im Sinne von "Aufwertung, Veredelung" bezeichnet wird: In den innenstadtnahen Wohnungsbestand wird verstaerkt investiert, Wohnungen werden von Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt, und die ansaessige alte, eher einkommensschwache Bevoelkerung wird durch juengere, besser ausgebildete und - wichtiger noch - besser verdienende zuziehende Gruppen allmaehlich ersetzt. Selbst Stadtsoziologen waren von dieser Entwicklung anfangs ueberrascht, gingen doch die bekannten Stadtentwicklungsmodelle bislang von genau gegenlaeufigen Trends aus. Gerade die Besserverdienenden - hiess es - wuerden die Innenstadt verlassen, um sich am Stadtrand den Traum vom Haeuschen im Gruenen zu erfuellen, waehrend weniger vermoegende Gruppen - Arbeiter, Studenten, Auslaender - zwangslaeufig zurueckblieben. Warnungen vor dem drohenden Niedergang der Innenstaedte waren allenthalben zu vernehmen.

    Die Verursachungsmechanismen von Aufwertungsprozessen sind demgegenueber durchaus vielgestaltig, und auch einen typischen Verlauf gibt es im Grunde nicht. Dieser haengt vielmehr von sehr unterschiedlichen Bedingungen ab, die ihrerseits in haeufig wechselseitigen Abhaengigkeitsverhaeltnissen stehen. Auch sind nicht alle innenstadtnahen Wohngebiete mit gleicher Wahrscheinlichkeit von der Aufwertung betroffen. In der Regel handelt es sich aber zunaechst um Gebiete mit einer architektonisch reizvollen Gebaeudestruktur und einem hohen Anteil an moeglicherweise heruntergekommenen, von der Substanz her aber intakten Altbauten. Hier zieht eine kleine Gruppe risikobereiter junger, meist gebildeter, aber einkommensschwacher Personen ein, die den noch recht guenstigen Wohnraum durch Eigeninitiative und auf eigene Kosten renovieren. Nimmt die Anzahl dieser Personen zu, veraendert sich auch die Infrastruktur des Viertels. Es bildet sich eine typische "Szenelandschaft" mit entsprechenden Laeden, Kneipen und Restaurants aus, die nun von einer anderen Bevoelkerungsgruppe zunehmend als chic empfunden wird. Etwas aelter als die erste Gruppe, lebt sie anfaenglich ohne Kinder in Ein- oder Zweipersonenhaushalten und verfuegt ueber ein vergleichsweise hohes Einkommen. Durch den erhoehten Nachfragedruck, den sie auszuueben beginnt, wird es auf einmal auch fuer die Grund- und Wohnungsbesitzer attraktiv weil rentabel, selbst zu investieren, was wiederum einen starken Anstieg der Mieten und Wohnungspreise zur Folge hat und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen forciert. Da weder die alteingesessene Bevoelkerung, noch die Gruppe der jungen "Pioniere" die gestiegenen Preise zahlen koennen, werden beide Gruppen direkt oder haeufiger indirekt durch das Auslaufen von Miet- und Belegungsbindungen aus dem Viertel verdraengt.

    Es liegt insofern auf der Hand, dass Stadtplaner und verantwortliche Politiker diese Entwicklung verstaerkt mit sehr gemischten Gefuehlen verfolgen. Zwar wird durch die Bindung zahlungs- und steuerkraeftiger Buerger an die City auch eine positive Entwicklung fuer die Gesamtstadt erwartet, gleichzeitig baut sich mit der Verdraengung ansaessiger Bevoelkerungsgruppen ein nicht zu unterschaetzendes soziales Konfliktpotential auf. Angeheizt durch rechtliche Regelungen, die noch aus einer Zeit stammen, als der Verfall der Innenstaedte befuerchtet wuerde, hat der Prozess der Aufwertung schliesslich seit Anfang der 80er Jahre eine ungeheure Eigendynamik entwickelt. Dr. Kecskes bezeichnet ihn als Aufwertungsspirale in der Form eines Trichters, dessen OEffnung immer enger wird und schliesslich keine einkommensschwachen Bevoelkerungsgruppen mehr passieren laesst. Immer staerker werden diese in eintoenige Wohngebiete sozialer Randgruppen, in randstaedtische Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus der sechziger und siebziger Jahre und im Extremfall sogar in die Wohnungslosigkeit abgedraengt. Neben den Wohnghettos in den Aussenbezirken als Orten sozialer Brennpunkte entstehen Armutsinseln in alten Arbeiterwohngebieten, die durch ihre Lage und teilweise hohe Laerm- und Luftbelastung durch Industriebetriebe fuer einkommensstarke Haushalte einfach unattraktiv sind. Hand in Hand mit einer Aufwertungsspirale innenstadtnaher Wohngebiete geht also eine Abwertungsspirale anderer Gebiete; beide Prozesse sind nicht voneinander zu trennen.

    Verantwortlich: Ursula Stratmann

    Fuer Rueckfragen steht Ihnen Dr. Robert Kecskes unter der Telefonnummer 0221/470-2341, Fax-Nummer 0221/470-5108 und der Email-Adresse Kecskes@wiso.uni-koeln.de zur Verfuegung. Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.htm).

    Fuer die UEbersendung eines Belegexemplares waeren wir Ihnen dankbar.


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