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Wissenschaft
144/97 Uneigennuetziger Waehler
Das soziale Umfeld bestimmt die Wahlbeteiligung
Kaum ein Waehler betrachtet die Beteiligung an einer Wahl als eine Investition zur Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Situation. Auch die Frage, ob unterschiedliche Regierungsparteien Konsequenzen fuer die eigene Lebenssituation haben, beeinflusst die Wahlbeteiligung nur geringfuegig. Eine grosse Rolle spielen dagegen die Erwartungen des sozialen Umfeldes. Ebenso bedeutend fuer die Wahlbeteiligung ist die Tatsache, dass durch die Wahl einer Partei bzw. eines Kandidaten der Waehler seine eigenen politischen Wertvorstellungen ausdrueckt. Zu diesem Schluss kommen Dr. Steffen-Matthias Kuehnel und Dr. Ohr vom Institut fuer Angewandte Sozialforschung der Universitaet zu Koeln in ihrer Untersuchung zu Einflussfaktoren der Wahlbeteiligung.
Fuer die Koelner Studie wurden ueber eine Telefonbefragung Wahlgewohnheiten und -motivation von ungefaehr tausend Personen unmittelbar vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1995 ermittelt. Durch eine Reihe unterschiedlicher Indikatoren wurde versucht, den Teilnahmedruck durch die soziale Umwelt zu erfassen. So wurden z.B. die beteiligten Personen befragt, ob die meisten Familienangehoerigen, Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn sich an der Landtagswahl beteiligen werden. Ferner mussten die Befragten einschaetzen, ob die Personen aus diesen Umfeldern mit einer Nichtteilnahme des Befragten einverstanden waeren. Die Befragung ergab, dass das direkte Umfeld fuer die eigene Wahlbeteiligung bedeutsam ist. Die erwartete Wahlteilnahme von Familienangehoerigen, Freunden, Kollegen und Nachbarn geht positiv einher mit der eigenen Wahlbeteiligung. Ein aehnlicher, wenn auch weniger deutlicher Zusammenhang besteht zwischen eigener Wahlbeteiligung und der erwarteten Missbilligung durch das Umfeld bei Nichtteilnahme.
Auch der Wunsch, seine eigenen politischen Vorstellungen auszudruecken, spielt fuer die Wahlbeteiligung eine nicht unerhebliche Rolle. Ein Teil der Befragten tendiert dazu, einer Partei ihrer Wahl eine hoehere Problemloesungskompetenz zuzuordnen als konkurrierenden Parteien. Andere sehen sich von einer bestimmten Partei in ihren politischen UEberzeugungen und Interessen vertreten. Diese beiden Gruppen hatten eine deutlich hoehere Neigung, sich an der Wahl zu beteiligen, als Personen, auf die dies nicht zutrifft. Die Parteineigung und die Kandidatenpraeferenz sind ebenfalls wichtige Faktoren fuer das Wahlverhalten. Interessanterweise - so Dr. Kuehnel und Dr. Ohr - beeinflussen diese Groessen nicht nur die Auswahl unter den Parteien, sondern auch die Wahlbeteiligung. Wenn die Befragten einer Partei naeherstehen oder einen der Kandidaten der SPD oder CDU fuer das Amt des Ministerpraesidenten bevorzugen, steigen die Chancen fuer ihre Wahlbeteiligung deutlich an.
UEber diese Faktoren hinaus ist vor allem die verinnerlichte Wahlnorm von Bedeutung: Nichtwaehlen erzeugt bei den Beteiligten ein schlechtes Gewissen. Eng damit zusammen haengt die Ansicht, dass Waehlen zum Demokratieerhalt beitraegt. Schliesslich hat auch die Zufriedenheit mit der Politik und der wahrgenommene Einfluss durch das Waehlen einen foerderlichen Effekt auf die Wahlbeteiligung. Alle bisher genannten Groessen insgesamt ermoeglichen es, sowohl die Wahlbeteiligungsabsicht als auch das berichtete tatsaechliche Teilnahmeverhalten sehr gut vorherzusagen - so schliessen die Koelner Sozialwissenschaftler.
Aus dem aufgezeigten Bild der Einflussfaktoren fuer die Wahlbeteiligung ergeben sich bedeutsame Konsequenzen fuer die zukuenftige Wahlbeteiligung - so Dr. Kuehnel und Dr. Ohr. Eine fortschreitende Individualisierung in der Gesellschaft koennte dazu fuehren, dass der Einfluss der sozialen Umwelt zurueckgeht. Ferner koennte die vielzitierte Parteiverdrossenheit die Tendenz daempfen, die Wahl einer Partei als Ausdruck der eigenen politischen Werteinstellung zu verstehen. Falls der Einfluss dieser beiden Faktoren schwinden sollte, ist mit einer weiter sinkenden Wahlbeteiligung zu rechnen. Dennoch muesste ein Rueckgang der Wahlbeteiligung nicht tatsaechlich eine Gefahr fuer das politische System bedeuten - so die beiden Koelner Sozialwissenschaftler. Trotz der sehr geringen Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 1995 zeigt sich bei den Daten kein Hinweis auf eine beunruhigend hohe Unzufriedenheit mit der Politik.
Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias
Fuer Rueckfragen steht Ihnen Dr. Dieter Ohr unter der Telefonnummer 0221/470-4404, Fax-Nummer 0221/470-5169 und der Email-Adresse Ohr@wiso.uni-koeln.de zur Verfuegung.
Fuer die UEbersendung eines Belegexemplares waeren wir Ihnen dankbar.
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