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Wissenschaft
Maastricht einmal positiv
Unionsvertrag sichert bildungspolitische Kompetenzen der Laender
Koeln, den 29. Mai 1996 - Ein Novum der Vertragsgestaltung enthalten die bildungspolitischen Artikel des am ersten November 1993 in Kraft getretenen Vertrags ueber die Europaeische Union. Bisher waren Abkommen darauf angelegt, die Regelung der verschiedenen Politikbereiche moeglichst zu vereinheitlichen. Dagegen untersagt der Maastrichter Vertrag nun ausdruecklich die Harmonisierung der einzelstaatlichen Bestimmungen zur beruflichen Bildung. In diesem besonders sensiblen Bereich raeumt der Unionsvertrag der Gemeinschaft zwar das Recht zu einer gestaltenden Politik ein. Doch sind den supranationalen Organen bildungspolitische Eingriffe in die inhaltlichen und organisatorischen Zustaendigkeiten der Mitgliedstaaten verwehrt, so dass die Kulturhoheit der Laender gewahrt bleibt. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die Dr. Andreas Reichel am Institut fuer OEffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universitaet zu Koeln erstellt hat.
Zwar darf die Europaeische Gemeinschaft nach Artikel 127 des durch den Maastrichter Vertrag geaenderten EG-Vertrages einseitig rechtsverbindliche Massnahmen im Bereich der beruflichen Bildungspolitik ergreifen. Diese dienen der Verwirklichung der im betreffenden Artikel aufgestellten Ziele. So ist etwa beabsichtigt, durch berufliche Bildung und Umschulung die Anpassung an die industriellen Wandlungsprozesse zu erleichtern. Ebenso soll die Mobilitaet sowohl fuer Ausbilder als auch fuer Auszubildende in der Gemeinschaft gesteigert werden. Schliesslich moechte die Union den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedern verbessern. Eingriffe in die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten bei der Realisierung dieser Ziele werden den Gemeinschaftsorganen jedoch verwehrt. Damit beruecksichtigt dieser Vertrag staerker als die bisherige supranationale Praxis die Bildungshoheit der Mitgliedstaaten.
Nach der vormaligen Regelung des Artikels 128 der Roemischen Vertraege von 1957 (EWG-Vertrag) waren die Befugnisse der Gemeinschaft weitaus grosszuegiger geregelt. Der Rat durfte, wenn er Vorschlaege der Europaeischen Kommission und des Wirtschafts- und Sozialausschusses beruecksichtigte, allgemeine Grundsaetze zur Durchfuehrung einer Berufsbildungspolitik aufstellen. Dies sollte der harmonischen Entwicklung der einzelnen Volkswirtschaften ebenso dienen wie der Verwirklichung des gemeinsamen Marktes. Die Organe der Gemeinschaft legten diese Bestimmung im Sinne eines weiten Handlungsspielsraums aus. Darin bestaerkte sie der Europaeische Gerichtshof, der in seinen Entscheidungen nahezu alle sachlichen Regelungsbereiche, also auch die berufliche Bildung, der Fortentwicklung des Binnenmarktes unterordnete. Beispielhaft zeigte dies ein Urteil aus dem Jahr 1989 zu "ERASMUS", einem Programm zur Verbesserung der Mobilitaet von Hochschulangehoerigen in Europa. In seiner Entscheidung sprach der Gerichtshof der Gemeinschaft die Aufgabe einer zentralen Berufsausbildungspolitik ausdruecklich zu. Nicht ohne Grund fuerchteten daher die Laender, dass ihre Kompetenzen auf dem Gebiet der beruflichen Bildung kuenftig der Gesetzgebung der Gemeinschaft unterworfen wuerden. Sie sahen die Gefahr, dass der Rat Lerninhalte nach eigenen Vorstellungen festlegen, die Lehrerausbildung beeinflussen oder gar einheitliche Studien- und Pruefungsordnungen erlassen koennte. Selbst Eingriffe in das Schulverwaltungsrecht schienen nicht ausgeschlossen. Diese Befuerchtungen, bildungspolitische Kompetenz an Bruessel zu verlieren, sind nach Auffassung des Koelner Juristen durch das Harmonisierungsverbot im neuen Artikel 127 EVG nunmehr weitgehend ausgeraeumt.
Neben dieser Neuregelung schuetzt auch die deutsche Verfassung die foederalen Rechte der Laender in Artikel 23 des Grundgesetzes. Dieser wurde neu gefasst und im Dezember 1992 vom Bundestag verabschiedet, um eine weitere foederale Kompetenzerosion zu verhindern und den Bundesrat an der Verwirklichung der Europaeischen Union zu beteiligen. Nun stehen den Laendern verfassungsrechtlich festgeschriebene Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der Union zu. Laenderminister koennen jetzt unter bestimmten Voraussetzungen im Ministerrat fuer Deutschland die Sprecherrolle wahrnehmen. Sowohl die europaeische Rechtsordnung als auch das Grundgesetz sichern somit die foederalen Kompetenzen der deutschen Laender im Bereich der beruflichen Bildung. Damit wird ein bedeutender Bestandteil ihrer Kulturhoheit gesichert, ohne dass dies die weitere Integration Europas behindert.
(Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias)
Fuer Rueckfragen steht Dr. Andreas Reichel am Mittwoch, den 29. Mai 1996 unter der Telefonnummer 0201/1773899 zur Verfuegung.
Criteria of this press release:
Law, Politics
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