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Heldenkult als politische Religion
Eine Neuinterpretation des Nationalsozialismus
Die Frage ist so alt wie die Bundesrepublik: Waren die Deutschen ueberwiegend Opfer des Nationalsozialismus oder dessen "willige Vollstrecker"? Daniel Goldhagen hat mit der gewagten These Aufsehen erregt, dass es sich bei der Vernichtung der Juden um ein nationales Projekt gehandelt habe, mit dem das deutsche Volk insgesamt einverstanden gewesen sei. Was er jedoch nicht erklaeren kann, ist die Frage, warum die nationalsozialistische Ideologie bei der deutschen Bevoelkerung auf so weitgehende Zustimmung stiess. Eine Antwort darauf unternimmt Dr. Sabine Behrenbeck, Mitarbeiterin des Historischen Seminars der Universitaet zu Koeln. Sie untersuchte anhand des Kultes um tote Parteiheroen den Stil nationalsozialistischer Herrschaftsausuebung und ihrer massenpsychologischen Mittel. Dabei zeigt sie aber auch die Grenzen der UEberzeugungskraft des NS-Mythos vom sinnvollen Opfertod fuer die Gemeinschaft.
Ihre Untersuchung zum "Kult um die toten Helden" wurde von der Jury des Norddeutschen Rundfunks und der Sueddeutschen Zeitung zum zweitbesten "Sachbuch des Monats Oktober" gewaehlt. Diese Aufstellung von jeweils zehn Titeln ist keine Bestsellerliste, sondern eine Qualitaetsentscheidung. Akademische Arbeiten tauchen in dieser Liste hoechst selten auf, Dissertationen wie das vorliegende Werk fast nie. Mit dieser Plazierung liess die Koelner Historikerin Goldhagens umstrittenes Werk "Hitlers willige Vollstrecker" hinter sich.
Die Studie zeigt, dass der Kult, den die Machthaber des "Dritten Reiches" um gefallenen Soldaten ebenso wie um die SA-Toten der "Kampfzeit" entwickelten, mit seinen Mythen, Riten und Symbolen als ein religioeses Phaenomen betrachtet werden kann. Dr. Behrenbeck analysiert die Geschichten um die Todesopfer als heroische Mythen, die Zeremonien zu ihren Ehren als Rituale, die Festarchitektur, Kultbauten und Requisiten als Symbole dieser neuen politischen Religion. Ausgehend von den beiden Protagonisten der NS-Propaganda, Hitler und Goebbels, beschreibt sie das Entstehen und die Inhalte der Heldenmythen, die vor allem zur Rechtfertigung von Machtanspruechen dienten und die Einsatzbereitschaft der Anhaenger steigern sollten. Nach christlichem Vorbild wurde die Erloesung durch einen stellvertretenden Opfertod zur Deutung gewaltsamer Todesfaelle innerhalb der Partei herangezogen. Die Parteianhaenger griffen die Vorlagen willig auf, denn sie halfen ihnen, die eigene Gefaehrdung ebenso wie die eigene Mordbereitschaft in eine hehres moralisches Erklaerungsschema zu ueberfuehren. Dabei uebersahen sie, dass die Rolle des Helden zweigeteilt war in den siegreichen "Fuehrerhelden" und die als Kanonenfutter eingesetzten "Opferhelden".
Nach der "Machtergreifung" sollte das ganze Volk auf die Nachfolge der Helden eingeschworen werden. Dazu wurde mit Spielfilmen, Theaterstuecken, Massenzeremonien und neu erbauten Architekturen enormer Aufwand betrieben. Und solange der "Fuehrer" politische Erfolge aufweisen konnten, welche die Opfer rechtfertigten und deren angebliche Wirksamkeit unter Beweis stellten, stiess der Heldenmythos allgemein auf grosse Glaubensbereitschaft. Doch mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde es ernst mit der Opferbereitschaft. Und nun zeigte sich, dass die Deutschen zwar vielfach bereit waren, andere Voelker oder ethnische Minderheiten fuer den Alptraum der arischen Weltherrschaft zu opfern, aber nicht bedingungslos sich selbst.
Besonders als nach Stalingrad 1943 die kriegerischen Erfolge klein und die geforderten Opfer gross wurden, wandten sich die meisten Deutschen ab von ihrem "Fuehrerhelden". Zwar blieb das aeussere Verhalten dem Regime gegenueber loyal, doch innerlich distanzierten sich viele in den letzten Kriegsjahren zunehmend vom "nationalsozialistischen Abenteuer" und glaubten nicht mehr an den Sinn der vielen Todesfaelle an der Front und im Bombenhagel. "Der Tod des Helden war immer der Tod des anderen gewesen", schreibt Dr. Behrenbeck. Wenn sich alle fuer den "Endsieg" opfern sollten, wem wuerde das Opfer noch zugute kommen? Der UEberlebenswunsch der meisten Deutschen war schliesslich staerker als ihr Glaube an den "Fuehrer", dem sie frueher wie einem Messias gefolgt waren. Auch der als "Heldentod" inszenierte Selbstmord von Hitler und Goebbels konnte an diesem Glaubensverfall nichts mehr aendern. "Ausgerechnet fuer den Aktschluss ihres heroischen Dramas hatten die Hauptdarsteller kein Publikum mehr", so die Studie. Vielmehr fuehlten sich die ueberlebenden Deutschen inzwischen vor allem selbst als Opfer des NS-Regimes und spaeter der Besatzungsarmeen und ignorierten, dass ihr "Heroismus" erst die Katastrophe und die Verbrechen ermoeglicht hatte. Die Verantwortung wurde abgespalten, vom Heldenmythos blieb vor allem die Opferrolle uebrig. Neue Helden der Bundesrepublik wurden die Widerstandskaempfer, die ihr gescheitertes Attentat selbst im vorhinein als Martyrium ihrer UEberzeugungen deuteten, als tragisches Selbstopfer, aus dem das Volk geistige Kraft schoepfen sollte.
Die Frage, ob die Fuehrer der NSDAP und Schoepfer der Heldenmythen an ihre eigenen Parolen glaubten oder ob sie nur berechnend die Opferbereitschaft der Masse ausnutzten, beantwortet die Studie mit einem "sowohl als auch": "Der nationalsozialistische Heldenkult ist nur als kompliziertes Geflecht von bewusst kalkulierten sowie unbewusst beduerfnishaften Vorgaengen zu begreifen." Die Ausbeutung des Glaubens anderer und persoenliche Glaeubigkeit muessen sich keineswegs ausschliessen.
Verantwortlich: Gregor Honsel
Fuer Rueckfragen steht Ihnen Dr. Sabine Behrenbeck unter der Telefonnummer 0221/470-5247 und der Fax-Nummer 0221/470-5148 zur Verfuegung.
Criteria of this press release:
Social studies
transregional, national
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