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02/25/2002 12:07

Neue Chancen für Borderline-Patientinnen. Am UKBF öffnet Spezialstation für Borderline-Erkrankungen.

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Angespannt und misstrauisch sitzt die 23-jährige Patientin in der hintersten Ecke eines bequemen Sessels. Unter den hochgerutschten Ärmeln des weiten Sweatshirts zeichnen sich Narben ab. Die junge Frau kommt aus der Chirurgie, wo der behandelnde Arzt nicht sicher war, ob die Patienten sich auf Grund ihrer frischen Schnittverletzungen das Leben nehmen wollte. Auf die Frage, wie oft sie sich denn schneide, meint die Patientin lapidar drei Mal die Woche. Der Psychiater stellt die Vermutung auf, dass die junge Frau an einer Borderline-Störung (BPS) leidet und empfiehlt sie zur zweiwöchigen diagnostischen und motivationalen Aufnahme in die neu eingerichtete Spezialstation für Patientinnen mit Borderline-Störungen am Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) der Freien Universität Berlin. Insgesamt gibt es in Deutschland bislang nur drei Universitätskliniken mit eigenen Stationen für Patientinnen mit Borderline-Erkrankungen, die lange Zeit als therapie-resistent galten. Seit Herbst 2001 arbeitet ein engagiertes Team um Oberarzt Dr. Claas-Hinrich Lammers mit Borderline-Patientinnen und kann bereits jetzt auf erste Erfolge zurückblicken.

    "Die Bezeichnung Borderline hat eine lange und wechselvolle Geschichte hinter sich", erzählt Dr. Lammers. Erst in jüngster Zeit haben internationale Expertengremien eine genaue Definition dieser Diagnose erarbeitet, so dass sich Patientinnen mit einer Borderline-Erkrankung mittlerweile gut von anderen psychiatrischen Erkrankungen abgrenzen lassen. Borderline-Patientinnen können in der Regel ihre Affekte nur schlecht kontrollieren, was sich in ausgeprägten Stimmungsschwankunegn ("Achterbahn der Gefühle"), quälenden intensiven negativen Gefühlen (z.B. Selbsthass), extremen Anspannungszuständen und einem chronischen Gefühl der inneren Leere äußert. Folge dieser gestörten Gefühlsregulation sind selbstschädigende Verhaltensweisen wie Selbstverletzung durch z.B. Schneiden, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, Essanfälle, Erbrechen und eine extrem instabile Lebenssituation. "Viele Patientinnen kommen mit tiefen Schnittwunden zu uns und haben schon mehrere Selbstmordversuche hinter sich", so Lammers. Eine Vielzahl von abgebrochenen Therapien und Krankenhausaufenthalten ist die Regel. Allgemein gelten Borderline-Patientinnen als extrem schwer therapierbar und stellen niedergelassene und klinisch tätige Psychiater und Psychotherapeuten insbesondere durch ihre starken Stimmungsschwankungen und ihre Suizidgedanken bzw. suizidalen Handlungen immer wieder vor große Probleme.

    Vor allem Frauen erkranken an der Borderline-Störung, von der rund zwei Prozent der Allgemeinbevölkerung betroffen sind. Auffallend hoch ist die Suizidrate von fünf bis zehn Prozent und eine Selbstverletzungsrate von 69 bis 80 Prozent. "Sehr häufig finden sich bei den Patientinnen frühe chronische Traumata wie sexueller Missbrauch und/oder emotionale Vernachlässigung", so Dipl.-Psych. Hannelore Bauer, die als klinische Psychologin in Lammers' Team arbeitet.

    Auf der psychiatrischen Station des UKBF arbeitet das Team mit einer speziell auf Borderline-Erkrankungen ausgerichteten Therapie, der sogenannten Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), die Anfang der neunziger Jahre von Prof. Dr. Marsha M. Linehan in Seattle/USA entwickelt wurde und inzwischen in zahlreichen Ländern angewandt wird. "Borderline-Patientinnen müssen lernen, mit ihren starken, destruktiven Gefühlen und Gedanken anders als bislang umzugehen", sagt Dr. Lammers. Meistens stammen die Patienten aus schwierigen Familienverhältnissen und haben nicht gelernt, Traurigkeit, Wut oder Ärger anders als gegen sich selbst gerichtet zu kommunizieren. Dazu gehöre, statt sich zu schneiden sich z.B. durch Joggen oder andere körperliche Anstrengung abzureagieren. Außerdem lernen Patienten auch, ihre Gefühle und Gedanken zu verstehen und andere Lösungen für ihre Probleme zu finden. So führen die Patientinnen ein genaues Protokoll über ihre auffälligen Verhaltensweisen und verdeutlichen z.B. nach einer erneuten Selbstverletzung im Rahmen einer Verhaltensanalyse, warum sie sich erneut verletzt haben. Die DBT integriert ein breites Spektrum therapeutischer Strategien und Techniken insbesondere aus dem Gebiet der kognitiven Verhaltenstherapie, aber auch z.B. meditative Techniken des Zen-Buddhismus.

    "Außerdem nimmt man an, dass bei diesen Patientinnen auf der neurobiologischen Ebene eine Störung der Emotionsregulierung im limbischen System vorliegt", so Lammers, der aber gleichzeitig betont, dass man die genauen Ursachen für die Borderline-Erkrankung noch nicht kenne.

    Am Universitätsklinikum Benjamin Franklin dauert die Therapie zwölf Wochen, in denen die Patientinnen lernen, mit ihrer Angst und ihrer Wut besser umzugehen, auf ihre Gefühle zu achten und mit Stress besser umzugehen. "Während des stationären Aufenthalts geht es in erster Linie darum, die emotionale Belastbarkeit zu erhöhen", sagt Manuela Brandt, die die Station pflegerisch leitet. Die DBT legt besonderen Wert auf die therapeutische Mitarbeit von Krankenschwestern und -pflegern, die den Patientinnen insbesondere beim notwendigen Trainieren von neuen Verhaltensweisen zur Seite stehen. Das therapeutische Programm umfasst ein wöchentliches Therapeutengespräch, drei Mal in der Woche Gruppentherapie, Gespräche mit den Bezugspflegern bzw. Bezugsschwestern und eine Oberarztvisite. Auch Lauftraining, Ausflüge, Kaffeerunden und Koch- und Backgruppen gehören zum Programm.

    "Wer einen ernsthaften Suizidversuch unternimmt, muss zumindest vorübergehend aus dem Programm ausscheiden", erzählt der Stationsarzt Dr. Bermpohl. Man könne nur mit Patientinnen arbeiten, die sicher zusagen könnten, keinen Suizid zu begehen, und die aktiv bemüht seien, ihre Suizidgedanken zu bearbeiten, ihre selbstschädigenden Verhaltensweisen zu reduzieren und ihre Lebensqualität zu verbessern. So muss jede Patientin nach der zweiwöchigen Vorbereitungsphase eine Therapie-Vereinbarung unterschreiben, deren erster Satz lautet: "Ich verpflichte mich, während der Therapie auf Station 5 keinen Suizidversuch zu unternehmen." Erst dann wird die Patienten in das eigentlich Therapie-Programm aufgenommen.

    Ziel der stationären Behandlung ist, die Patientinnen wieder fit zu machen für das Leben außerhalb geschützter Räume. An den stationären Aufenthalt schließt sich deshalb eine mehrjährige ambulante Therapie an, die ebenfalls mit dem DBT-Konzept arbeitet.

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
    Dr. Claas-Hinrich Lammers, Psychiatrische Klinik und Poliklinik der Freien Universität Berlin, Eschenallee 3, 14050 Berlin, Tel.: 030/8445-8796, Fax: 8445-8365, E-Mail: Claas-Hinrich.Lammers@medizin.fu-berlin.de


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Psychology, Social studies
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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