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Wissenschaft
Gut wirksame Therapien und stagnierende Infektionsraten: Rund 30 Jahre nach seiner Entdeckung scheint das HI-Virus etwas von seinem Schrecken zu verlieren. Dürfen wir aufatmen? Anlässlich des Welt-Aids-Tages ziehen Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein und Dr. Angela Nagel vom Virologischen Institut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Bilanz.
Auf den ersten Blick scheint das Ungeheuer gezähmt: Durch die Entwicklung zahlreicher antiviraler Medikamente haben sich die Behandlungsmöglichkeiten für HIV-infizierte Menschen so stark verbessert, dass sich das Bild von einer unweigerlich tödlichen Erkrankung zu einer chronischen Erkrankung mit annähernd normaler Lebenserwartung geändert hat. Die Wahrnehmung von HIV/Aids in der Bevölkerung hat sich in der Folge stark gewandelt.
Und die offiziellen Zahlen geben tatsächlich Anlass zur Hoffnung. Im Vorfeld des Welt-Aids-Tags am 1. Dezember veröffentlichte UNAIDS, ein Programm der Vereinigten Nationen zur Aids-Bekämpfung, kürzlich eine Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse im Kampf gegen die weltweite Ausbreitung von Aids: In den letzten zehn Jahren verringerte sich die Zahl der jährlichen Neuinfektionen mit HIV – dem Humanen Immundefizienz-Virus - weltweit um 20 Prozent - hauptsächlich durch einen besonders ausgeprägten Rückgang in den Ländern südlich der Sahara, dem Zentrum der Epidemie mit 72 Prozent aller HIV-Neuinfektionen im Jahr 2011 - und eine deutliche Verminderung der Neuinfektionen von Kindern um 24 Prozent in den vergangenen zwei Jahren. Erreicht wurde dies durch groß angelegte Aufklärungs- und Präventionskampagnen sowie eine bessere medikamentöse Versorgung der betroffenen Bevölkerung in den Ländern mit besonders vielen HIV-Infizierten. Damit ist das globale Ziel, die Zahl der Neuinfektionen bis 2015 zu halbieren und die Ansteckung von Kindern ganz zu verhindern, wieder ein Stück näher gerückt.
In Deutschland ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen in den vergangenen Jahren zumindest relativ stabil geblieben. Mit einem Anteil von weniger als 0,1 Prozent in der Gesamtbevölkerung ist die Zahl der Infizierten selbst im westeuropäischen Vergleich gering. Dies scheint hauptsächlich das Resultat der umfangreichsten und erfolgreichsten nationalen Gesundheitskampagne „Gib Aids keine Chance“ zu sein, die 2012 ihr 25-jähriges Bestehen feierte.
Kein Grund mehr zur Besorgnis also? Die geschilderten Erfolge im Kampf gegen die HIV-Ausbreitung können in der Tat zu der Frage verleiten, welche Bedrohung HIV etwa 30 Jahre nach seiner Entdeckung durch Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi für den Menschen tatsächlich noch darstellt.
Doch trotz aller Fortschritte und Erkenntnisse der letzten Jahre ist keine Heilung der Erkrankung in Sicht. HIV ist ein Retrovirus, das ins menschliche Genom eingebaut wird und in den Zellen überdauert. Der Wissenschaft ist es bisher nicht gelungen, das Virus aus den Zellen zu entfernen oder einen Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Sämtliche in der Vergangenheit entwickelten Impfsubstanzen wiesen keinen oder nur einen unzureichenden Schutz vor einer HIV-Infektion auf. Grund hierfür ist vor allem die hohe Mutationsrate und die damit verbundene Sequenzvariabilität des Virus. Zudem entzieht sich das Virus durch eigens entwickelte Strategien einer effizienten Immunabwehr. Alle bisherigen Bemühungen, die Bildung breit neutralisierender Antikörper, die gegen verschiedenste HIV-Varianten gerichtet sind, auszulösen, schlugen fehl. Auch Impfstoffe mit abgeschwächten Viren, wie sie zum Beispiel zum Schutz vor Masern oder Windpocken eingesetzt werden, sind bei HIV aufgrund der hohen Mutationsrisiken und der damit verbundenen möglichen Infektion ausgeschlossen.
Deshalb darf ungeachtet aller Erfolge die Gefahr einer weiteren weltweiten Verbreitung von HIV nicht unterschätzt werden. Trotz der sinkenden Zahl registrierter Neuinfektionen hat sich die Epidemie in einigen Regionen drastisch ausgebreitet, z.B. in Nordafrika, Osteuropa, Zentralasien. Die HIV-Infektion ist und bleibt eine der größten gesundheitlichen Bedrohungen unserer Zeit. Die zur Verfügung stehenden Medikamente sind sehr kostspielig und die Sicherung einer adäquaten Versorgung der Bevölkerung ist vielen Entwicklungsländern nicht möglich. Daher bleibt der Einsatz verschiedener Präventionsmaßnahmen, ausgehend von der Aufklärung und Wissensvermittlung über HIV und Aids bis hin zum Einsatz von medikamentösen Therapien, unverzichtbar und ist, jenseits aller medizinischen Forschung, der derzeitige Dreh- und Angelpunkt in der angestrebten weltweiten Ausrottung von HIV.
Dr. Angela Nagel
Tel.: 09131/85-25790
angela.nagel@viro.med.uni-erlangen.de
Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein
Tel.: 09131/85-23563
fleckenstein@viro.med.uni-erlangen.de
Den Kommentar von Prof. Fleckenstein und Dr. Angela Nagel finden Sie auch online unter:
http://blogs.fau.de/news/2012/11/27/ist-das-ungeheuer-gezahmt-eine-bilanz-zum-we...
Selbstverständlich steht es Ihnen frei, den Beitrag journalistisch zu verwerten. Schauen Sie doch einfach mal auf unserer Rubrik "Nachgefragt" vorbei - dort finden Sie Meinungsbeiträge von Wissenschaftlern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zu aktuellen Themen aus Gesellschaft, Politik und Wissenschaft.
Prof. Dr. Bernhard Fleckenstein
Foto: privat
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Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Social studies
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications
German
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