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Prof. Dr. Christoph Schumann, Professor für Zeitgeschichte/Politikwissenschaft des Nahen und Mittleren Ostens an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, skizziert die Entwicklung des „Arabischen Aufbruchs 2011“ und erklärt, warum im Moment nicht abzusehen ist, wohin die Reise geht.
Nachdem die Weltöffentlichkeit die Blicke in den letzten Monaten auf den Bürgerkrieg in Syrien gerichtet hatte, kehrt nun Ägypten wieder in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit zurück. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen auf den Straßen Kairos und in anderen Städten zeigen, dass die arabische Welt zwar „aufgebrochen“ ist, aber es im Moment überhaupt nicht klar ist, wohin die Reise geht. Vor genau zwei Jahren hat der 26-jährige Mohamed Bouazizi seine Landsleute mit seiner Selbstverbrennung im tunesischen Sidi Bouzid schockiert und aufgerüttelt. Im Zentrum der ersten Demonstration standen schnell zwei Begriffe: Freiheit und Würde bzw. auf Arabisch hurriyya wa karama! Nicht nur die westliche Politikwissenschaft, sondern auch viele Aktivisten gingen dabei selbstverständlich davon aus, dass Freiheit und Würde nur in einer liberalen Demokratie zu verwirklichen seien. Aber dieser Schluss war – mit Blick auf die jetzige Situation – vielleicht vorschnell.
Die Krise des arabischen Republikanismus
Zunächst ist allerdings bemerkenswert, dass die Revolte vor allem die arabischen Republiken erfasst hat. In Tunesien, Ägypten, Jemen stürzten die Präsidenten. In Libyen und Syrien geriet sogar die gesamte staatliche Ordnung ins Wanken. Demgegenüber wirken die Monarchien – mit der Ausnahme des Königreichs Bahrain – wie ein Hort der Stabilität. Den regierenden Monarchen gelang es bis heute, die Lage mit wirklichen oder angekündigten Reformen weitgehend zu beruhigen.
Aber was macht die Lage in diesen beiden Staatsformen so unterschiedlich? In Bezug auf Demokratie und Bürgerrechte gab es in der Vergangenheit kaum grundsätzliche Unterschiede. Sowohl Monarchien als auch Republiken werden zu Recht als „autoritär“ eingestuft. Wenn man die Verfassungen der jeweiligen Länder ansieht, wird allerdings deutlich, dass gerade die Republiken die „Herrschaft des Volkes“ für sich in Anspruch nehmen, während dies in den Monarchien nur sehr bedingt der Fall ist. Hinzu kommen eine Reihe von anderen Versprechungen, die die arabischen Republiken ihren Bürgern machten, nämlich vor allem Freiheit, nationale Einheit und sozialistische Gerechtigkeit. Mit diesen Parolen hatten sich nationalistische Offiziere wie Nasser und Gaddafi sowie die syrische und irakische Baath-Partei in den 1950er und 60er Jahren an die Macht geputscht. Aber nach gut 50 Jahren hatten sie immer noch keines ihrer Versprechen eingelöst.
Das Gegenteil war der Fall. Die hoffnungsvollen Ansätze von Sozialstaatlichkeit wurden überall abgebaut. Gleichzeitig wuchs eine Jugend heran, die kaum Aussichten auf eine reguläre Beschäftigung hatte, während sich die politischen Eliten schamlos am Staatseigentum bedienten. Die Privatisierung der öffentlichen Betriebe schuf vor allem „fette Katzen“, also reiche Geschäftsleute mit guten Verbindungen in die Zentren der Macht. Hinzu kam das Bemühen der amtierenden Präsidenten, ihre eigenen Söhne zu ihren Nachfolgern zu machen. Dies zeigte überdeutlich, dass der Republikanismus auch den herrschenden Eliten nicht mehr viel bedeutete.
Zwischen Demokratisierung und Bürgerkrieg
In den letzten zwei Jahren gab es sehr unterschiedliche Verläufe in den Revolten. In Tunesien, Ägypten und Jemen stürzten zwar die Staatsoberhäupter, doch blieb der Staat mit seiner Ordnung, den Institutionen und vor allem dem Militär intakt. In Libyen und Syrien hingegen droht das, was die Welt bereits nach 2003 im Irak beobachten konnte. Unter dem Druck der amerikanisch geführten Invasion fiel damals nicht nur der Präsident, sondern der gesamte Staat brach in sich zusammen. Kaum war die staatliche Ordnung verloren, da wurde die Politik auf einmal von ganz anderen Identitäten bestimmt. Die Iraker unterschieden sich von nun an in Kurden und Araber, Muslime und Christen oder Sunniten und Schiiten. Selbstverständlich gab es diese Identitäten auch schon früher. Aber sie hatten früher kaum politische Bedeutung.
Demokratisierung ist unter diesen Bedingungen so gut wie unmöglich. Nach den Erfahrungen der Gewalt müssen sich die Menschen im Irak, in Libyen und in Syrien erst wieder darauf besinnen, was es heißt „Syrer“, „Iraker“ oder Libyer“ zu sein. Erst dann kann man erwarten dass die Wählerinnen und Wähler die Entscheidungen der Parlamente am Ende auch akzeptieren.
Aus diesem Grunde haben Tunesien und Ägypten die besseren Voraussetzungen für eine mögliche Demokratisierung. Die große Beteiligung an den ersten Wahlen nach der Revolution zeigte in beiden Ländern, dass das Ansehen des Parlamentarismus in den letzten Jahrzehnten nicht gelitten hatte. Die Menschen wussten sehr wohl, dass nicht das Parlament oder das Amt des Präsidenten für die Probleme des Landes verantwortlich war, sondern diejenigen, die sich dieser Institutionen „im Namen des Volkes“ bemächtigt hatten.
Umso bedenklicher sind deshalb die gegenwärtigen Entwicklungen in Ägypten. Aus der versuchten Reform der Verfassung droht eine umfassende Staatskrise zu werden. Auf einmal stehen sich Menschen feindlich gegenüber, die noch im Januar 2011 gemeinsam gegen Mubarak demonstriert hatten. Dabei kann man über den vorliegenden Verfassungsentwurf natürlich geteilter Meinung sein. Gerade deswegen aber ist im Moment vor allem eines nötig: mehr Zeit. Die Ägypterinnen und Ägypter sollten sich in Ruhe eine Meinung darüber bilden können, wie eine gemeinsame Ordnung in Zukunft aussehen sollte. Präsident Mursi muss ihnen diese Zeit gewähren. Auch ihm würde die so gewonnene Zeit nützen. Er könnte sich stattdessen ganz auf die dringend notwendige Ankurbelung der Wirtschaft konzentrieren.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christoph Schumann
Tel.: 09131/85-22315
christoph.schumann@polwiss.phil.uni-erlangen.de
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