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03/24/2003 10:59

Genom-Debatte im Fokus Leipziger Kultursoziologen

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Vor zwei Jahren, im Februar 2001, veröffentlichten das Human Genome Project und die Celera Genomics Corporation zeitgleich die Sequenz des menschlichen Erbguts. Zuvor hatten sich die privaten und die staatlichen Forscher ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Entschlüsselung geliefert. Begleitet wurde der Wettstreit von einer breiten öffentlichen Debatte. Leipziger Kultursoziologen verfolgen den Diskurs, der in den Medien der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik ablief.

    1999 startete Craig Venter die Celera Genomics Corporation. Der Biologe hatte es eilig - als erster wollte er das menschliche Erbgut sequenzieren. Mit dieser Absicht setzte er sich in Konkurrenz zum Human Genome Project (HGP). Bereits seit 1990 verfolgte das internationale Projekt das Ziel, die Bausteine des menschlichen Erbguts zu entschlüsseln und ihre Funktion zu durchschauen. Zwei Jahre lieferten sich die private US-Biotech-Firma und das öffentlich finanzierte Vorhaben einen Wettlauf um den Erfolg; dann - im Februar 2001 - stellten sie ihre detaillierten "Landkarten des Lebens" zeitgleich vor.
    Die private Konkurrenz des Genetikers Craig Venter mit dem HGP hatte nicht nur die Humangenomforschung vorangetrieben. Zugleich entzündete sich an ihr eine lebhafte und kontroverse Debatte in den Medien der beteiligten Länder. Die Diskussion beschränkte sich nicht auf medizinische Effekte, sondern wandte sich ebenso ethischen, sozialen, moralischen, juristischen Folgerungen zu, die aus der fortschreitenden Sequenzierung des menschlichen Genoms resultier(t)en. Als die zwei Gegenspieler schließlich ihre - bis dahin genauesten - Genkarten parallel veröffentlichten, antworteten Journalisten erneut mit einer Vielfalt an Berichten, Informationen, Interviews und Kommentaren.
    Der öffentliche Austausch der Jahre 1999 bis 2001, der nicht zuletzt in einen Streit um die Patentierung menschlichen Lebens mündete, durchzog vor allem die Printmedien. "Das Genom-Projekt lässt sich schlecht visualisieren", erklärt Mike Steffen Schäfer die Konzentration auf das gedruckte Wort. Seit August 2002 geht er gemeinsam mit Prof. Jürgen Gerhards den "Medialen Diskursen über Humangenomforschung in Deutschland und den USA" nach. Die Studie an Gerhards' Lehrstuhl am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig ist in die "Forschungen zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der molekularen Medizin" in Regie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) integriert.
    Das erklärte Interesse ist ein doppeltes: Im Allgemeinen nähert sich die Leipziger Kultursoziologie mit Themen wie "Abtreibung" und "Wahlrechtsdebatte in Preußen" immer wieder den wechselnden Wirkungen, die zwischen Gesellschaft, Öffentlichkeit und Politik entstehen. Im Besonderen fragen Gerhards und Schäfer nun nach der Rolle von Wissenschaft, die - bislang als "gültigste Form der Wissensgewinnung" verstanden - zunehmend "politisch ausgehandelten Rechten und Normen" unterliegt. Das Exempel, dessen sich die Sozialwissenschaftler annehmen, markiert die umfassendste wissenschaftliche Auseinandersetzung der jüngsten Zeit: Die Genforschung. "Es ist das relevanteste Beispiel in den letzten Jahren", begründet Mike Steffen Schäfer die Wahl. Und unterstreicht: "In der Berichterstattung über Wissenschaft hat es zum einen viel Raum eingenommen. Zum anderen wurde extrem kontrovers argumentiert." Während die medizinischen Folgen des Genom-Projekts in Hinblick auf Erkenntnisse und Behandlungen weitgehend positiv gedeutet wurden, provozierten die - mehr oder minder - absehbaren Konsequenzen ethischer, juristischer, ökonomischer, religiöser Natur gemeinhin Konflikt und Streit.
    Schäfers Anliegen ist es, die Berichterstattung über die humangenetische Grundlagenforschung in den Printmedien der USA und der BRD zu analysieren; an den Universitäten Bielefeld und Jena wird - ebenfalls im BMBF-Programm - Biotechnologie im Allgemeinen in Fernsehen und Presse durchleuchtet. Die Vereinigten Staaten rückten als Ursprungsland der Humangenetik in den Fokus des Leipziger Soziologen. Und neben dem naheliegenden Blick auf Deutschland weckte ein weiterer Aspekt Schäfers Aufmerksamkeit: "Hier zu Lande gibt es eine ausgeprägte gesellschaftliche Debatte". Das bedeutet, die Medien stützen ihre Darstellung nicht allein auf Genetiker, Mediziner und Biotechnologen, sondern beziehen ebenso die Sozialwissenschaften, die Philosophie und die Wirtschaft sowie Kirchen, Parteien, Verbände und andere Akteure der Zivilgesellschaft ein. Anhand von etwa je 1000 US-amerikanischen und deutschen Artikeln zielt der publizistische Vergleich darauf, "Charakteristika der Diskurse in beiden Ländern vergleichen und erklären und sie auch hinsichtlich ihrer Wünschbarkeit aus demokratischer Sicht bewerten zu können". Entnommen werden die Beiträge mit der "Frankfurter Allgemeinen" und der "Süddeutschen Zeitung" sowie der "New York Times" und der "Washington Post" aus den jeweils zwei größten überregionalen Tageszeitungen, die vermittels ihrer Qualität auch als Multiplikatoren akzeptiert sind.
    Aus sozialwissenschaftlicher Sicht gibt es zwei Anliegen: Einerseits soll das Humangenom-Projekt, das nach Dauer und Kosten zu den Big-Science-Unternehmungen gehört, langfristig und systematisch begleitet werden. "Das gibt es bislang noch nicht." Andererseits wird die Realität mit Theorien und Modellen von Öffentlichkeit und Demokratie verglichen. "Es geht um die Akteure und ihre Argumente - wie sie sich öffentlich positionieren und sich Gehör verschaffen, wie sie Deutungshoheit erlangen und letztlich Mehrheiten schaffen."
    Um die inhaltliche Erschließung der Artikel zu vertiefen, nimmt Schäfer zudem das Gespräch mit den Repräsentanten ausgewählter Institutionen und Gruppierungen auf. Etwa 20 aus jedem Land werden über ein Leitfadeninterview nach ihren Positionen, Strategien und Ressourcen befragt.. "Häufig setzen sich ein, zwei Deutungen als dominant durch", benennt Schäfer seinen Anhaltspunkt. Stellt sich die Frage: Welche Deutungsmuster gibt es in der Debatte um das Humangenom-Projekt? Welche setzen sich durch? Und auf welchem Wege?
    2005, wenn all diese und einige neue Fragen zum geplanten Abschluss seines Projekts ihre Antwort gefunden haben, werden Gerhards und Schäfer noch einmal auf die Aktualität ihres Themas stoßen: Wäre es nach dem Zeitplan des Human Genome Project gegangen und wäre Craig Venter nicht an den Start getreten - 2005 wäre genau jenes Jahr gewesen, in dem die komplett entschlüsselten Bausteinfolgen des menschlichen Genoms hätten vorliegen sollen.
    Daniela Weber

    Weitere Informationen: Mike Steffen Schäfer
    Telefon: 0341 97 35689
    E-Mail: mss@uni-leipzig.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Information technology, Law, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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