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Höhlenfische haben eine unerwartete Eigenschaft: Sie können Wissenschaftlern einiges über Autoimmunkrankheiten beim Menschen verraten. Ein internationales Forscherteam hat jetzt die Auswirkungen einer verringerten Parasitenzahl und -infektion auf die Entwicklung des Immunsystems der Höhlenfische untersucht. Das Ergebnis: Höhlenfische haben eine andere Empfindlichkeit gegenüber Immunstimulanzien und weisen eine andere Zusammensetzung von Immunzellen auf. Unter anderem besitzen sie weniger Zellen des angeborenen Immunsystems, die bei Entzündungen eine Rolle spielen. Die Studie ist in „Nature Ecology & Evolution“ erschienen.
Höhlenfische sind klein, leben an versteckten Orten und sind auf allen Kontinenten außer der Antarktis verbreitet. Sie haben aber noch eine andere Eigenschaft, die auf den ersten Blick überraschend erscheint: Sie können Forschern einiges über das Auftreten von Autoimmunkrankheiten beim Menschen verraten. Denn ähnlich wie der Mensch leben Höhlenfische in einer Umgebung mit einer reduzierten Anzahl von Parasiten, hatten jedoch bereits viel mehr Zeit, um sich an diese Bedingungen anzupassen – etwa 150.000 Jahre. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Stowers Institute for Medical Research in den USA hat jetzt die Auswirkungen einer verringerten Parasitenzahl und -infektion auf die Entwicklung des Immunsystems der Höhlenfische untersucht.
Die Wissenschaftler unter Beteiligung von Dr. Jörn P. Scharsack von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) sahen sich an, wie das Immunsystem der Höhlenfische auf Bedrohungen reagiert – verglichen mit dem Immunsystem von Flussfischen, die in einer parasitenreichen Umgebung leben. Die Ergebnisse zeigen, dass Höhlenfische eine andere Empfindlichkeit gegenüber Immunstimulanzien und eine andere Zusammensetzung von Immunzellen aufweisen. Unter anderem besitzen sie weniger Zellen des angeborenen Immunsystems, die bei Entzündungen eine Rolle spielen.
In zukünftigen Studien hoffen die Wissenschaftler, genetische Faktoren zu identifizieren, die an der Evolution des Immunsystems von Höhlenfischen beteiligt sind. Die Ergebnisse könnten Hinweise auf die Entwicklung von Störungen des Immunsystems und möglicherweise auch von Autoimmunkrankheiten des Menschen liefern, bei denen das Immunsystem den eigenen Körper angreift. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Nature Ecology & Evolution“ erschienen.
Hintergrund und Methode:
Höhlenfische haben wie der Mensch ein angeborenes und ein adaptives Immunsystem, das sie vor potenziellen Parasiten schützt. Das menschliche Immunsystem sucht jedoch manchmal nach etwas, das es alternativ angreifen kann, wenn keine Parasiten vorhanden sind – während die Höhlenfische ein Immunsystem entwickelt haben, das auch ohne Parasiten normal zu funktionieren scheint.
„Eine Hypothese ist, dass bestimmte Parasiten dazu beitragen, unsere Immunsystem-Reaktionen auszugleichen. Wenn diese Parasiten nicht vorhanden sind, kann dieses Gleichgewicht gestört werden, und als Folge davon greift das Immunsystem unsere eigenen Zellen im Körper an“, sagt Erstautor Dr. Robert Peuß, der die Studie in der Forschergruppe von Dr. Nicolas Rohner am Stowers Institute durchführte und mittlerweile an der WWU tätig ist. Die Frage, warum das Immunsystem bei einem Menschen betroffen ist und beim anderen nicht, ist immer noch eine Frage, die vielen Wissenschaftler weltweit nach wie vor ein Rätsel ist.
Fortschritte in der modernen Hygiene und in der medizinischen Behandlung haben die Gesundheit verbessert, allerdings ist das für Menschen eine relativ neue Situation, sodass sich die Prozesse des Immunsystems evolutionär noch nicht anpassen konnten – anders als beim Höhlenfisch. In ihrer Studie bewerteten die Forscher die Lebensräume von mexikanischen Pachón-Höhlenfischen und ihren Verwandten aus dem Fluss Río Choy in Mexiko, sogenannte Oberflächenfische, die in einer parasitenreichen Umgebung leben. „Wir haben in den Oberflächenfischen eine große Anzahl von Parasiten bei Oberflächenfischen gefunden – im Darm, in der Haut, in der Leber, in der Gallenblase, eigentlich überall“, sagt Robert Peuß. In den Höhlenfischen fanden sich hingegen gar keine Parasiten.
Im Labor untersuchten die Forscher das angeborene und das adaptive Immunsystem beider Fischarten. Das angeborene Immunsystem ist die erste Verteidigung gegen Parasiten und löst mit einer breiten Verteidigungsstrategie eine unspezifische Entzündungsreaktion aus, während das adaptive Immunsystem in der Regel eine Immunantwort langsamer in Gang setzt, diese Reaktion aber hochspezifisch ist. Die erste Beobachtung, die das Team machte, war, dass das angeborene Immunsystem von Höhlenfischen im Vergleich zu Oberflächenfischen viel empfindlicher ist, wenn es mit einer potenziellen Bedrohung konfrontiert wird – was zu einer stärkeren Entzündungsreaktion führt.
Interessanterweise fand das Team heraus, dass Höhlenfische weniger Zellen produzieren, aus denen das angeborene Immunsystem besteht. Die Verringerung dieser Zellen könnte möglicherweise die erhöhte Empfindlichkeit kompensieren. Aber ist die verringerte Zahl der angeborenen Immunzellen in Höhlenfischen lediglich eine Folge der geringeren Anzahl von Parasiten in der Höhle? Oder gibt es noch andere Vorteile, wenn weniger dieser Zellen produziert werden, die die Entzündung antreiben?
Um diese Fragen zu beantworten, untersuchten die Forscher den Körperfettanteil der Höhlenfische. Eine Zunahme des Fettgewebes verstärkt normalerweise auch die Entzündung – auch beim Menschen. Bei den Höhlenfischen, die einen viel höheren Körperfettanteil haben als die Oberflächenfische, wurden jedoch keine höheren Entzündungswerte festgestellt. „Die Verminderung der angeborenen Immunzellen bei Höhlenfischen im Vergleich zu Oberflächenfischen ist wahrscheinlich die Ursache für das Ausbleiben der Entzündungsreaktion“, sagt Robert Peuß.
Die genetischen Faktoren, die bei Höhlenfischen zu einer verminderten Produktion von angeborenen Immunzellen führen, sind bisher noch unbekannt. In Folgeuntersuchungen wollen die Forscher diese Faktoren identifizieren und herausfinden, ob es beim Menschen ähnliche Faktoren geben könnte.
Aufbau einer Höhlenfischzucht am Institut für Evolution und Biodiversität der WWU
Mit dem Wechsel von Robert Peuß an das Institut für Evolution und Biodiversität der WWU planen die Wissenschaftler, dort eine Höhlenfischzucht aufzubauen und die Tiere als Untersuchungsmodel für Wirt-Parasit-Interaktionen zu etablieren. Der Forschungsschwerpunkt soll auf Studien zur Erforschung der genetischen Grundlagen für Immun-Investitionsstrategien und immunologische Hypersensitivität liegen.
Beteiligte Institutionen und Förderung:
Neben dem Stowers Institute for Medical Research in Kansas City und der Universität Münster war die Universidad Nacional Autónoma de México an der Studie beteiligt. Die Studie erhielt finanzielle Unterstützung durch das Stowers Institute for Medical Research und durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.
Dr. Robert Peuß (Univeristät Münster)
robertpeuss@uni-muenster.de
Tel.: +49 251 83-21038
Dr. Jörn P. Scharsack (aktuell Thünen-Institut Bremerhaven)
joern.scharsack@thuenen.de
Tel.: +49 471 94460 223
R. Peuß et al. (2020): Adaptation to low parasite abundance affects immune investment and immunopathological responses of cavefish. Nature Ecology & Evolution; DOI: 10.1038/s41559-020-1234-2
https://www.nature.com/articles/s41559-020-1234-2 Originalpublikation in “Nature Ecology & Evolution”
https://www.uni-muenster.de/Evolution/animalevolecol/ Group Animal Evolutionary Ecology an der WWU
https://www.uni-muenster.de/forschung/profil/schwerpunkt/evolution.html Potenzialbereich "Evolutionsforschung" der WWU
Die untersuchten Pachón-Höhlenfische (hinten) und ihre Verwandten, die Oberflächenfische aus dem Fl ...
Stowers Institute
Stowers Institute for Medical Research
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Medicine
transregional, national
Research results
German
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