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Wissenschaft
Internationale Studie: Unter welchen Bedingungen kann ein erweiterter Verlustrücktrag Investitionen wirksam stimulieren?
Steuerwissenschaftler des Sonderforschungsbereichs/TRR 266 „Accounting for Transparency“, der von der Universität Paderborn geleitet wird, zeigen in einer weltweiten Studie, dass ein sofortiger Verlustrücktrag – also die Verrechnung von aktuellen Verlusten mit früheren Gewinnen – nicht nur für Liquidität sorgt, sondern ein sehr wirksamer Investitionsanreiz für gesunde Unternehmen ist. Diese Wirkung stelle sich allerdings nur dann ein, wenn das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Staates unerschüttert ist.
Investitionen gelten als Motor der Wirtschaft. In Zeiten von Covid-19 sind sie besonders wichtig. Wirtschaftsverbände, Wirtschaftsforschungsinstitute und jüngst auch drei Bundesländer fordern deshalb vehement großzügigere Verlustverrechnungsmöglichkeiten, insbesondere einen viel umfassenderen Verlustrücktrag. Dieser erlaubt es Unternehmen, Verluste mit Gewinnen aus vorherigen Jahren zu verrechnen, was zu Steuererstattungen führt und damit zu zusätzlicher Liquidität, die in gesunden Unternehmen für Investitionen genutzt werden kann.
Aber stellt sich der erwartete stimulierende Effekt von erweiterten Verlustverrechnungsmöglichkeiten auch in einer Krise ein? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit nun mehr investiert wird? Prof. Dr. Caren Sureth-Sloane von der Universität Paderborn und Dr. Benjamin Osswald von der University of Illinois of Urbana-Champaign gingen diesen Fragen in einer länderübergreifenden Studie auf den Grund. Die beiden Wissenschaftler haben das Investitionsverhalten von knapp 26.000 börsennotierten Unternehmen in 64 Ländern über 21 Jahre hinweg analysiert und über 200 Steuerreformen ausgewertet. Das Ergebnis: „Erweitere Verlustverrechnungsmöglichkeiten sind ein sehr wirksames steuerliches Instrument zur Stimulierung von Risikobereitschaft und Investitionen – vor allem der Verlustrücktrag“, sagt Sureth-Sloane. „Allerdings hängt die investitionsfördernde Wirksamkeit von erweiterten Verlustrückträgen stark vom Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und in die Zahlungswilligkeit des Staates ab.“
Investitionen in der Krise?
Die Rückzahlung überzahlter Steuern sei Osswald zufolge in vielen Ländern grundsätzlich ein Problem. Auch in Befragungsstudien rund um den „Global MNC Tax Complexity Index“ zur Einschätzung von steuerlicher Komplexität, die von Wissenschaftlern der Universität Paderborn und der LMU München in mehr als 100 Ländern durchgeführt wurde, bestätigen Experten in mehr als der Hälfte der betrachteten Länder diese Problematik. „Im Jahr 2018 gilt das z. B. besonders für Italien, Südafrika, Brasilien, Griechenland, Indien und Mexiko. Aber auch in Deutschland sehen einige, wenn auch nur wenige Befragte, die Rückzahlung überzahlter Steuern als Problem an“, erklärt der Wissenschaftler. „Solche überhöhten Steuerzahlungen dürften oft auf zu hohe Steuervorauszahlungen zurückzuführen sein, teilweise aber auch auf Erstattungen aufgrund von Verlustrückträgen.“
Diese Befunde deuten laut Sureth-Sloane darauf hin, dass Unternehmen in vielen Staaten nicht damit rechnen, beziehungsweise rechnen können, dass sie Steuererstattungen erhalten: „Denkbar ist etwa, dass die Rückzahlung von Steuern wegen eines Verlustrücktrages in bestimmten Ländern ausbleiben könnte, weil die öffentliche Verwaltung nicht effizient ist, d. h. organisatorisch nicht gut genug aufgestellt ist („administrative efficiency“), um eine Auszahlung der Beträge zu bewirken. Ein anderer Grund könnte in Liquiditätsproblemen liegen, etwa wegen besonders hoher Staatsschulden. Dadurch könnte im Staatshaushalt die nötige Liquidität für die Rückzahlung von Steuern fehlen, da Mittel eher verwendet werden, um Zinsen zu bezahlen oder Schulden zu tilgen. Offensichtlich – so unsere Befragungsergebnisse – ist dies eine reale Sorge. Wir müssen daher davon ausgehen, dass Unternehmen diese Länderrisiken auch bei ihren Investitionsentscheidungen antizipieren“, erläutert sie.
Aus der Studie geht außerdem hervor, dass insbesondere Verlustrückträge bei gesunden Unternehmen die Bereitschaft fördern, riskante Investitionen durchzuführen. Dieser Effekt sei speziell in Ländern mit niedrigem Länderrisiko ausgeprägt: „Besonders deutlich können wir das in unserer Analyse etwa nach einer Erweiterung des Verlustrücktrages in Singapur und Australien sehen. Beides sind nicht nur Länder mit besonders geringem Länderrisiko, sondern auch besonders geringer Steuerkomplexität. Wenn Länderrisiken, welche die Erstattung von Steuern betreffen, allerdings hoch sind, wird dieser stimulierende Effekt ausgehebelt oder sogar umgekehrt. Das gilt vor allem für solche Länder, in denen zugleich das Steuersatzniveau hoch ist und das Staatshaushaltsrisiko ebenso, z. B. für Japan“, verdeutlicht Osswald.
Die Steuerwissenschaftler untersuchten darüber hinaus, ob die stimulierende Wirkung auch verpuffen kann, wenn die Zahlungsfähigkeit eines Staates nur vorübergehend beeinträchtigt ist. „Dazu haben wir den Government Shutdown in den USA im Jahr 2013 analysiert, also das vorübergehende Stilllegen des öffentlichen Haushalts, weil sich Senat, Repräsentantenhaus und Präsident nicht rechtzeitig über die Haushaltsmittel einigen konnten. Unsere Studie zeigt, dass bereits dieses vorübergehende Zahlungsproblem in einer ansonsten gesunden und äußerst stabilen Wirtschaft den erwünschten stimulierenden Effekt der Verlustverrechnung tatsächlich beeinträchtigen kann,“ schlussfolgert Osswald.
Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Staates ist notwendig
Die investitionsfördernde Wirksamkeit von erweiterten Verlustrückträgen hänge demnach auch bei lediglich vorübergehenden Beeinträchtigungen stark vom Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit des Staates ab, wie Sureth-Sloane betont: „Risikobereitschaft und Investitionen brauchen wir gerade jetzt in der Krise zur Ankurbelung der Wirtschaft und für den nötigen technologischen Wandel. Daher ist es jetzt auch in Deutschland wichtig, begleitend zu Steuerreformen immer wieder zu betonen, dass der Staat in seiner Zahlungsfähigkeit nicht beeinträchtigt ist. Denn das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Staates ist unverzichtbar. Insbesondere im Angesicht einer Krise und des damit verbundenen Schuldenaufbaus. Nur wenn dieses Vertrauen nicht erschüttert wird, sind Verlustverrechnungserweiterungen, insbesondere Verlustrückträge, ein äußerst vielversprechendes und mächtiges Instrument, um die Investitionsbedingungen wirksam zu verbessern.“ Für den Staat seien erweitere Verlustverrechnungsmöglichkeiten sogar gewissermaßen preiswert, wie die Wissenschaftlerin erklärt: „Es handelt sich dabei nicht um Steuersenkung. Vielmehr werden Steuererstattungen nur vorgezogen, die ohnehin irgendwann anfallen würden.“
Hintergrundinformationen
Der Sonderforschungsbereich (SFB) „TRR 266 Accounting for Transparency“ startete im Juli 2019 und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für zunächst vier Jahre gefördert. Er ist der erste SFB mit betriebswirtschaftlichem Schwerpunkt. Am SFB sind rund 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von acht Hochschulen beteiligt: Universität Paderborn (Sprecherhochschule), Humboldt-Universität zu Berlin, Universität Mannheim, Ludwig-Maximilians-Universität München, European School of Management and Technology Berlin, Frankfurt School of Finance & Management, Goethe-Universität Frankfurt am Main, und WHU - Otto Beisheim School of Management. Die Forscherinnen und Forscher untersuchen, wie Rechnungswesen und Besteuerung die Transparenz von Unternehmen beeinflussen und wie sich Regulierungen des Rechnungswesens und der Besteuerung sowie Unternehmenstransparenz auf Wirtschaft und Gesellschaft auswirken. Das Fördervolumen des SFBs beträgt rund 12 Millionen Euro.
Prof. Dr. Caren Sureth-Sloane, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Tel.: 05251 60 1781, E-Mail: caren.sureth@upb.de
https://www.accounting-for-transparency.de/wp-content/uploads/2020/07/trr266_wor...
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists
Economics / business administration
transregional, national
Research results
German
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