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Wissenschaft
Neue Erkenntnisse zur Regulierung der intuitiven und reflexartigen Körperwahrnehmung bei Insekten/ Veröffentlichung in Current Biology
Eine neue Studie zeigt, wie Körperhaltungsreflexe bei Stabheuschrecken unter verschiedenen Belastungen moduliert werden. Wissenschaftler*innen der Uni Köln und der Ohio University (USA) verfolgten die Last- und Bewegungssignale von den Sinnesorganen im Bein des Insekts durch das verarbeitende neuronale Netzwerk, bis zu den Motoneuronen und Muskeln, die den Reflex erzeugen. So konnten sie einen Mechanismus aufzeigen, der die Körperhaltungsreflexe in den Beinen von Stabheuschrecken je nach Belastung verändert. Die Studie ist im Fachjournal Current Biology erschienen.
Wenn sie die Augen schließen und auf Ihren Fuß zeigen sollen, werden die meisten Menschen damit keine Schwierigkeiten haben, ganz gleich, wo sich der Fuß befindet. Das scheint einfach zu sein, ist aber eine außerordentlich schwierige Aufgabe für das Nervensystem, denn es muss die Haltung und Position des Körpers und aller seiner Gliedmaßen ständig überwachen, und zwar ausschließlich über interne Sinneskanäle. Dieser Sinn für unser körperliches Selbst wird Propriozeption genannt. Die Propriozeption ist ein so grundlegender Bestandteil unserer Existenz, dass wir sie nur selten bewusst wahrnehmen. Ein Beispiel für die Propriozeption, das den meisten Menschen bekannt ist, ist der Kniesehnenreflex - das Antippen der an der Kniescheibe inserierenden Patellasehne durch einen Arzt oder eine Ärztin und die daraus resultierende Streckung des Beins durch Kontraktion des Quadrizepsmuskels. Bei normalem Verhalten (z. B. beim Gehen) trägt dieser Reflex zur Stabilisierung des Kniewinkels bei und ist einer der zahlreichen propriozeptiven Mechanismen, die es Tieren und Menschen ermöglichen, zu stehen, zu laufen, zu schwimmen oder Ballett zu tanzen.
Wichtig ist, dass die Reaktion auf propriozeptive Eingaben kontextabhängig moduliert werden muss. So trägt der Kniesehnenreflex beispielsweise zur Stabilisierung des Körpers nach einem Sprung bei, wird aber beim Laufen unterdrückt. Die kontextabhängige Regulierung erfordert, dass das Nervensystem die Signale von Bewegungs-, Belastungs- und Lagesinnesorganen integriert. Wie diese Integration auf neuronaler Ebene erfolgt, war lange Zeit eine offene Frage.
Dr. Corinna Gebehart und Prof. Dr. Ansgar Büschges vom Institut für Zoologie der Universität zu Köln und Prof. Dr. Scott L. Hooper vom Department of Biological Sciences der Ohio University, Athens (USA), haben in Current Biology einen Mechanismus veröffentlicht, der durch unterschiedliche Belastungen die Bewegungsreflexe in den Beinen von Stabheuschrecken verändert. Ähnlich wie bei Säugetieren hat das "Kniegelenk" der Insektenbeine, das Femur-Tibia-Gelenk, einen Stabilisierungsreflex. Wenn dieses Gelenk gebeugt wird, reagiert das Nervensystem mit einer reflexartigen Streckung des Gelenks. Dieser Effekt wird durch ein neuronales Netzwerk im ventralen Nervenstrang der Insekten, dem Pendant zum Rückenmark der Säugetiere, vermittelt.
Die Wissenschaftler*innen verfolgten die propriozeptiven Last- und Bewegungssignale von ihren Sinnesorganen im Bein der Stabheuschrecke über das neuronale Netzwerk, das sie im ventralen Nervenstrang verbindet, bis zu den Motoneuronen und Muskeln, die den Reflex erzeugen. „Wir konnten zeigen, dass die Belastung des Beins die Stärke des Körperhaltungsreflexes durch einen neuronalen Prozess namens präsynaptische afferente Hemmung verringerte“, so Dr. Corinna Gebehart, Erstautorin der Studie. „Dieser Mechanismus verändert die Informationsübertragung im neuronalen Netz des Nervenstrangs so, dass die Reaktion der Motoneuronen und Muskeln auf den Bewegungsstimulus reduziert wird.“
Die verhaltensbezogene Bedeutung dieser Wechselwirkung zwischen Belastung und Bewegung wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass eine leichte Belastung auf das Tier einwirkt - ein Blatt, das auf ihm landet - und dass ein Widerstandsreflex auftreten sollte, um die Haltung des Beins konstant und das Tier aufrecht zu halten. Ist die einwirkende Last jedoch größer als das, was die Beinmuskeln aushalten können - ein Ast, der auf das Tier drückt - muss der Widerstandsreflex reduziert werden, das Gelenk muss sich beugen und der Körper des Tieres muss der größeren Last nachgeben, um Schäden am Bein zu vermeiden.
Die Propriozeption, ihre Integration derer Signale durch das Nervensystem und die daraus resultierenden motorischen Reflexe sind bei Säugetieren und Insekten erstaunlich ähnlich. Die Erkenntnisse aus der Stabheuschrecke werfen somit ein Licht auf potenziell allgemeine Mechanismen, mit denen Nervensysteme verschiedene Arten propriozeptiver Signale zu einem kohärenten internen Bild ihres Körpers kombinieren, und wie diese Verarbeitungspfade je nach Verhaltenskontext des Tieres angepasst werden können.
Inhaltlicher Kontakt:
Prof. Ansgar Büschges
Institut für Zoologie
+49 221 470 2607
ansgar.bueschges@uni-koeln.de
Presse und Kommunikation:
Jan Voelkel
+49 221 470 2356
j.voelkel@verw.uni-koeln.de
Zur Publikation:
Non-linear multimodal integration in a distributed network controls proprioceptive reflex gain in the insect leg
Corinna Gebehart, Scott L. Hooper, Ansgar Büschges
Current Biology 32, https://doi.org/10.1016/j.cub.2022.07.005
Verantwortlich: Dr. Elisabeth Hoffmann – e.hoffmann@verw.uni-koeln.de
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results
German
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