idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
09/16/2022 09:48

Die Physik der frühgeborenen Lunge: Warum mechanische Beatmung Frühchen-Lungen schaden kann

Susann Huster Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    In Deutschland werden rund 10 Prozent aller Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren und gelten damit als Frühgeborene. Viele dieser Frühchen brauchen aufgrund ihrer unterentwickelten Lunge Atemhilfe. Dabei zeigt sich jedoch im klinischen Alltag, dass gerade eine maschinelle Beatmung die Lunge irreversibel schädigen kann, wobei die genauen Ursachen bisher nicht bekannt sind.

    In einer interdisziplinären Studie konnten Physiker:innen und Mediziner:innen der Universität Leipzig zeigen, dass ein erhöhter Druck auf das Lungengewebe wie bei einer maschinellen Beatmung die Gefahr birgt, das Gewebe bereits bei kleinen Luftmengen zu überdehnen und die Funktion der Zellen beim Gasaustausch zu stören. Ihre Studienergebnisse haben sie im Fachjournal „Frontiers in Bioengineering and Biotechnology“ publiziert.

    Bei der normalen Atmung senkt sich bei jedem Atemzug das Zwerchfell unter der Lunge. Dies führt zu einer Ausdehnung der Lunge im Brustkorb, während in der Lunge ein Unterdruck entsteht. Um diesen Unterdruck auszugleichen, strömt automatisch Luft in die Lunge, und man atmet ein. Im Fall der mechanischen Beatmung wird über einen Tubus Luft in die Lunge gepumpt, und die Lunge dehnt sich aufgrund des erzeugten Überdrucks aus. „Wir gehen davon aus, dass dieser Überdruck eine leichte Kompression des Lungengewebes verursacht, wohingegen bei der normalen Atmung an der Lunge von außen ‚gezogen‘ wird, um die Ausdehnung zu erzeugen“, erklärt Physikerin Prof. Dr. Mareike Zink, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Mandy Laube vom Forschungslabor der Neonatologie der Medizinischen Fakultät die interdisziplinäre Studie zur Physik der frühgeborenen Lunge durchgeführt hat.

    „In unseren Experimenten haben wir fetales Lungengewebe unter Zug- und Druckspannung untersucht, um Unterschiede in der Gewebemechanik der frühgeborenen Lunge zu erforschen“, berichtet Mareike Zink. Die Experimente hätten gezeigt, dass sich das Lungengewebe unter Zug, wie es bei der normalen Atmung vorkommt, vollkommen elastisch verformt. Unter Druck jedoch – wie es bei der mechanischen Beatmung auftritt – komme es zu einer viskoelastischen Deformation der Lunge. Das bedeute, dass das Gewebe zwar nach der Deformation in den Ausgangszustand zurückgeht. Auf molekularer Ebene gibt es dennoch bereits strukturelle Änderungen, die auf eine irreversible Gewebeschädigung hindeuten.

    „Weiterhin zeigen unsere Ergebnisse, dass die Funktion der Lungenzellen unter Druck gestört ist. Bereits kleine Drücke, wie sie bei der mechanischen Beatmung üblich sind, können dafür sorgen, dass Struktureinheiten an der Zelloberfläche, die zum Beispiel beim Transport von Molekülen und Wasser wichtig sind, ihre Funktion nicht mehr ausüben“, erklärt Mandy Laube.

    Das Fazit der beiden Wissenschaftlerinnen: Mechanische Beatmung ist für einige Frühgeborene die einzige Therapie, um das Überleben zu sichern. Dennoch besteht die Gefahr möglicher Folgeschäden aufgrund der veränderten mechanischen Eigenschaften der frühgeborenen Lungen im Vergleich zum Erwachsenen. So sollten zukünftige therapeutische Strategien den Einfluss von physikalischen Kräften auf Gewebe und Zellen berücksichtigen und Druckerhöhungen in der Lunge möglichst geringhalten, um das Risiko von Schäden zu minimieren. „Da auch bei beatmeten Covid-19 Patient:innen beobachtet wurde, dass die maschinelle Beatmung weitere Lungenschäden zur Folge haben könnte, postulieren wir, dass auch hier die geschädigte Lunge durch den Überdruck leichter überdehnt werden kann und Lungenzellen unter erhöhtem Druck schneller die Funktion einstellen oder verändern“, so das Resümee von Mareike Zink.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Mareike Zink
    Fakultät für Physik und Geowissenschaften Arbeitsgruppe Biotechnologie und Biomedizin
    Telefon: +49 341 97-32573
    E-Mail: zink@physik.uni-leipzig.de

    Dr. Mandy Laube
    Medizinische Fakultät, Pädiatrisches Forschungszentrum Abteilung für Neonatologie
    Telefon: 0341 9720988
    E-Mail: mandy.laube@medizin.uni-leipzig.de


    Original publication:

    Publikation in “„Frontiers in Bioengineering and Biotechnology“:

    "Mechanical properties of the premature lung: from tissue deformation under load to mechanosensitivity of alveolar cells.” Frontiers in Bioengineering and Biotechnology", doi.org/10.3389/fbioe.2022.964318
    https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fbioe.2022.964318/full?&utm_sou...


    Images

    Ein frühgeborenes Baby wird medizinisch betreut.
    Ein frühgeborenes Baby wird medizinisch betreut.
    Stefan Straube/UKL
    Universitätsklinikum Leipzig


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Biology, Medicine, Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).