idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
10/13/2022 14:03

„Menschen, die eine Suchterkrankung überwunden haben, sind Helden“

Medizinische Fakultät Anne Grimm Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Für Suchterkrankungen gibt es in der Gesellschaft kaum Verständnis: Das Thema ist stark tabuisiert, Menschen mit Suchterkrankungen werden stigmatisiert. Deshalb haben Forschende der Medizinischen Fakultät zusammen mit dem Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover sowie dem Aktionsbündnis Seelische Gesundheit einen Medienleitfaden erarbeitet, um Vorurteile zu reduzieren. Wie dieser zu einer sachlichen sowie diskriminierungsfreien Berichterstattung beitragen soll, erklärt Projektleiter Georg Schomerus, Professor für Psychiatrie der Universität Leipzig, anlässlich der Woche der Seelischen Gesundheit vom 10. bis 20. Oktober.

    Prof. Schomerus, welche Suchterkrankungen sind in Deutschland am stärksten verbreitet und sollten in den Medien besonders sensibel behandelt werden?

    Suchtmittel sind bei uns alltäglich. Insbesondere Alkohol wird in Deutschland in großen Mengen konsumiert, jeder Mensch über 15 Jahre nimmt im Durchschnitt über zehn Liter reinen Alkohol im Jahr zu sich. Dabei sind die Grenzen zur Suchterkrankung fließend, etwa zehn Prozent der Männer und sieben Prozent der Frauen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Abhängigkeit. Die negativen Gesundheitsfolgen fangen aber viel früher an. Neben dem Risiko für Unfälle unter Alkoholeinfluss ist Alkohol eine wichtige Ursache sehr vieler Krankheiten: Nicht nur die sprichwörtliche Leberschädigung, sondern auch Schlaganfälle, Herzinfarkte, Krebserkrankungen. Es ist dabei häufig so, dass man mit dem Finger auf Menschen mit einer Suchterkrankung zeigt, aber den eigenen problematischen Konsum tabuisiert. Das liegt an der enormen Stigmatisierung von Suchterkrankungen. Niemand möchte zu dieser Gruppe gehören, über die es so viele negative Vorurteile gibt. Und da liegt es nahe, das eigene Konsumverhalten auch vor sich selbst schön zu reden.

    Das Bild, das die Öffentlichkeit von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen, wie Alkoholsucht zeichnet, ist auch von Darstellungen in den Medien geprägt. Wie können Journalist:innen in ihrer Berichterstattung am besten helfen, Vorurteile von Suchtkrankheiten zu vermeiden?

    Ein sensibler Umgang mit Wortwahl und Bildsprache ist wichtig. Es muss zunächst einmal der Respekt vor den Menschen gewahrt bleiben, die dargestellt werden. Das ist eigentlich absolut selbstverständlich, aber die Berichterstattung über Suchtkrankheiten sieht leider oft ganz anders aus und das ist nicht akzeptabel. Eine Medienanalyse unserer Projektpartner in Hannover hat gezeigt: Eine Berichterstattung, die Suchterkrankungen vor allem im Kontext von Kriminalität, Kontrollverlust und persönlicher Schwäche darstellt, zeichnet ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit und liefert einen Nährboden für Stigmatisierung. Wir lesen viel zu wenig über Recovery, über Wege aus der Sucht, über Menschen, die mit großen Schwierigkeiten fertig geworden sind. Menschen, die eine Suchterkrankung überwunden haben, sind Helden. Sie sind Vorbilder – aber sie sind kaum zu sehen, weil es so schwierig ist, über diese Erfahrungen zu sprechen, wenn man befürchten muss, dafür abgestempelt und ausgegrenzt zu werden. Eine Berichterstattung, die Behandlung und Hilfe beschreibt, die zeigt, dass Suchtkrankheiten gut behandelbar sind und dass es viele Menschen gibt, die das geschafft haben – so eine Berichterstattung kann Menschen ermutigen, selbst Hilfe zu suchen.

    Wie kann Menschen mit Suchterkrankungen geholfen werden?

    Da gibt es ganz viele verschiedene Wege. Suchtberatungsstellen sind ein wichtige Anlaufstelle, oder die Hausärzt:innen. Eine wichtige Frage ist dabei, was wir überhaupt unter erfolgreicher Behandlung verstehen. Oft ist damit Abstinenz gemeint, und das ist sicher auch das allerbeste Ergebnis. Aber häufig ist auch eine Reduktion des Konsums schon ein ganz wichtiger Schritt zu mehr Lebensqualität und weniger Gesundheitsrisiken, gerade bei Menschen mit hohem Alkoholkonsum. Je weniger, desto besser, und jeder Schritt in die richtige Richtung ist ein Erfolg.

    Vor allem die sozialen Medien sind ein Minenfeld für bereits erkrankte oder Hilfe suchende Menschen. Ist Ihr an der Medizinischen Fakultät entwickelter Leitfaden auch eine Unterstützung, um in diesem Bereich der Stigmatisierung von Suchtkranken entgegen zu wirken?

    Der Leitfaden ist ein Modell dafür, wie man auch in anderen Kontexten über Sucht und Substanzkonsum sprechen kann, ohne Stigmatisierung, auch in den sozialen Medien. Wir müssen über Substanzkonsum sprechen, ohne die Probleme und Risiken zu verdrängen, und ohne auf die Betroffenen herabzuschauen und sie auszugrenzen. Denn Ausgrenzung löst Suchtprobleme nicht, sondern verstärkt sie.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Georg Schomerus
    Professor für Psychiatrie an der Universität Leipzig
    Direktor
    Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
    Universitätsklinikum Leipzig - AöR
    Tel.: +49 341 97 24530
    E-Mail: georg.schomerus@medizin.uni-leipzig.de


    More information:

    https://www.seelischegesundheit.net/wp-content/uploads/2022/07/20220428-leitfade... Link zum Leitfaden


    Images

    Ein sensibler Umgang mit Wortwahl und Bildsprache kann wesentlich dazu beitragen, die vorherrschenden Vorurteile und pauschalen Fehleinschätzungen über Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen zu reduzieren.
    Ein sensibler Umgang mit Wortwahl und Bildsprache kann wesentlich dazu beitragen, die vorherrschende ...
    Foto: Colourbox

    Prof. Dr. Georg Schomerus.
    Prof. Dr. Georg Schomerus.
    Foto: Stefan Straube / UKL


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Media and communication sciences, Medicine, Psychology
    transregional, national
    Research projects, Transfer of Science or Research
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).