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Wissenschaft
Psychologische Langzeitstudie: Ob Kinderlosigkeit mit psychischen Belastungen einhergeht, hängt davon ab, wie stark junge Erwachsene das Lebensziel Elternschaft verinnerlicht haben
Kinder machen glücklich, insbesondere Frauen – so lautet eine gängige gesellschaftliche Annahme. Doch wie verändern sich psychische Gesundheit, Wohlbefinden und das Gefühl von Einsamkeit bei Eltern und bei kinderlosen Frauen und Männern im Laufe des Lebens? Und welchen Einfluss hat es, ob sie das Lebensziel Elternschaft schon im jungen Erwachsenenalter verinnerlichen?
Diesen Fragen ist eine Forscher*innengruppe um Dr. Laura Buchinger am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) anhand von Befragungsdaten nachgegangen, die im Rahmen der Langzeitstudie Sozio-ökonomisches Panel (SOEP) erhoben wurden. Die 562 befragten Personen nahmen zwischen 1990 und 2020 durchschnittlich über einen Zeitraum von 25 Jahren an der Studie teil. Die eine Hälfte wurde im Untersuchungszeitraum Eltern, die andere Hälfte nicht.
Die Analyse der Daten zeigt: Vom jungen Erwachsenenalter bis ins Renteneintrittsalter waren Eltern und Kinderlose gleich zufrieden mit ihrem Leben. Dennoch weichen beide Gruppen bei der psychischen Gesundheit und beim emotionalen Wohlbefinden, also dem Erleben von positiven und negativen Gefühlen, und bei der Einsamkeit voneinander ab: Kinderlose berichteten insgesamt von besserer psychischer Gesundheit und selteneren negativen Emotionen. Eltern erlebten dagegen sowohl häufiger negative Emotionen als auch positive Emotionen, und sie fühlten sich etwas seltener einsam. Aber: Nur Männer fühlten sich weniger einsam, wenn sie Kinder hatten, dagegen erlebten Frauen mit und ohne Kinder Einsamkeit in gleichem Maße.
Unterschiede bei der psychischen Gesundheit in der „Rushhour“ des Lebens
Am deutlichsten zeigen sich diese Unterschiede zwischen Eltern und Kinderlosen im Alter von 30 Jahren bis Anfang 40. Das emotionale Leben der Kinderlosen scheint stabiler zu sein, sie erleben weniger Hochs aber auch weniger Tiefs. Ab Mitte 40 verschwanden diese Unterschiede weitgehend wieder. „Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass sich junge Eltern in dieser Zeit in ihrer neuen Rolle zurechtfinden müssen“, so Buchinger. „Außerdem stellen die Dreißiger und Vierziger in unserer Gesellschaft so etwas wie die ‚Rushhour‘ des Lebens dar. Diese Lebensphase ist von enormen Belastungen im beruflichen und privaten Bereich geprägt, da in diesem Alter die Weichen für die berufliche Karriere gestellt werden, während gleichzeitig die noch jungen Kinder und vielleicht auch die eigenen alternden Eltern viel Sorgearbeit erfordern."
Da die Teilnehmenden über einen Zeitraum von durchschnittlich 25 Jahren an der Studie teilnahmen, konnten die Forschenden umfassend analysieren, wie sich Zufriedenheit, emotionales Wohlbefinden, psychische Gesundheit und Einsamkeit bei Eltern und Kinderlosen im Lebensverlauf entwickeln. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, verglichen die Forschenden ausschließlich die Aussagen von Kinderlosen und Eltern miteinander, die sich vor der Geburt des ersten Kindes in sozialen, finanziellen, beruflichen und gesundheitlichen Aspekten sehr ähnlich waren. So konnte sichergestellt werden, dass eventuelle Unterschiede tatsächlich auf die Elternschaft und nicht auf andere, äußere Faktoren zurückzuführen sind.
Mutterschaft als zentrales Lebensziel: negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von kinderlosen Frauen
Ein besonderes Augenmerk der Studie lag auf der Frage, wie wichtig es den Teilnehmenden im jungen Erwachsenenalter war, eigene Kinder zu haben. Die Auswertung zeigt, dass dies vor allem Auswirkungen auf die psychische Gesundheit kinderloser Frauen hat. Ob Kinderlosigkeit mit schlechterer psychischer Gesundheit einherging, hing bei diesen Frauen davon ab, wie wichtig es ihnen im jungen Erwachsenenalter war, eigene Kinder zu bekommen. Frauen, die dieses Ziel nicht als zentral ansahen, hatten über fast den gesamten Lebensverlauf hinweg eine bessere psychische Gesundheit als Frauen, für die Kinder ein bedeutendes Lebensziel waren. Ein vergleichbarer Effekt fand sich bei Männern nicht.
„Diese Ergebnisse legen nahe, dass nicht Kinderlosigkeit an sich mit schlechterer psychischer Gesundheit einhergeht. Entscheidend ist vielmehr, wie stark das normative Ziel Elternschaft verinnerlicht wurde - insbesondere bei Frauen. Wie leicht es fällt ein Ziel loszulassen, hängt auch damit zusammen wie stark dieses Ziel gesellschaftlich verankert ist und wie viele ähnlich attraktive und ähnlich gesellschaftlich geschätzte Alternativen es gibt. Hier könnten Interventionen ansetzen, indem diverse Lebensentwürfe sichtbar gemacht und als gleichwertig behandelt werden", sagt Laura Buchinger.
Dr. Laura Buchinger
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Psychologie
Tel.: 030 2093-9334
E-Mail: laura.buchinger@hu-berlin.de
Buchinger, L., Wahring, I. V., Ram, N., Hoppmann, C. A., Heckhausen, J., & Gerstorf, D. (2024). Kids or no kids? Life goals in one’s 20s predict midlife trajectories of well-being. Psychology and Aging, 39(8), 897–914.
https://psycnet.apa.org/fulltext/2025-57325-006.html
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Psychology
transregional, national
Research projects, Research results
German
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