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08/22/2025 09:28

Wieso wir auch in unserer Muttersprache manchmal ins Zweifeln geraten: Drei Fragen an Germanistin Renata Szczepaniak

Nina Vogt Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Hat die Kollegin die E-Mail abgesandt oder abgesendet? Fällt der Unterricht aus wegen dem oder wegen des Feiertages? Liegt der oder das Joghurt im Einkaufswagen? Wenn solche Unsicherheiten auftreten, sprechen Forscher:innen von sprachlichen Zweifelsfällen. Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Renata Szczepaniak von der Universität Leipzig erklärt, wie es dazu kommt und wie Lehrende im Schulunterricht damit umgehen können. Vor Kurzem ist ihr Buch „Sprachliche Zweifelsfälle: Definition, Betrachtungsdimensionen und Erforschung“ erschienen.

    Frau Professorin Szczepaniak, Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung unter anderem mit sprachlichen Zweifelsfällen. Was genau ist damit gemeint und können Sie Beispiele nennen?

    Sprachliche Zweifelsfälle sind in unserem Alltag präsent. Eigentlich liefert das Sprachsystem routinierte Verfahren in Form von Grammatik, die im Hintergrund ablaufen. Wer denkt schon darüber nach, dass in Nimm heute lieber den Regenschirm mit! das Substantiv im Akkusativ keine Flexionsendung hat? Bei manchen Substantiven aber bietet das grammatische Wissen zwei Akkusativformen an, z.B. Spiel nicht den Held oder den Helden! Wird über die grammatische Richtigkeit solcher Varianten nachgedacht und anschließend argumentiert und bewertet, dann haben wir mit einem sprachlichen Zweifelsfall zu tun. Weitere Beispiele sind wegen des Regens oder wegen dem Regen, gewinkt oder gewunken usw. Der Zweifelsfälle-Duden bietet dazu einen guten Überblick: Es enthält knapp 6000 Einträge zu sprachlichen Zweifelsfällen aus den Bereichen Grammatik, Stil und Rechtschreibung.

    Inwieweit lassen sich solche Zweifelsfälle sprachgeschichtlich erklären?

    Als Sprachhistorikerin interessiert mich natürlich die Entstehung von Varianten und der Wandel in ihrem Gebrauch. Wir beobachten auch, wie Bewertungen durch die Sprechenden den Wandel beeinflussen. Ein Beispiel: Die Präposition dank zog bis ins 19. Jahrhundert den Dativ nach sich, man sagte dank dem Vertrag. Später trat die Verwendung des Genitivs hinzu, der als stilistisch höherwertig angesehen wurde. Diese sogenannte Stigmatisierung der Dativrektion trug zum Wandel bei, so dass im 20. Jahrhundert – anders als populärwissenschaftlich kolportiert – der Gebrauch der Präposition mit Genitiv anstieg: Man hörte und las nun immer häufiger dank des Vertrags. Heute klingen für uns beide Varianten vertraut. Man kann also sagen, wer zweifelt, zeigt ein feines Gespür für Sprache und sprachliche Varianten.

    Wie können Lehrer:innen im Schulunterricht dieses Wissen nutzen?

    Im Schulunterricht sind sprachliche Zweifelsfälle eine wertvolle Ressource, da sie zum Nachdenken über Sprache anregen. Wir haben unter anderem in „Praxis-Deutsch“, Heft 264, Unterrichtsmodelle entworfen, in denen sie zum Entdecken sprachlicher Strukturen eingesetzt werden. An ihnen wird das Bewusstsein dafür geschult, dass Sprache sich wandelt und dass sie variantenreich ist. Schülerinnen und Schüler können anhand von Sprachkorpora gängige Bewertungen von Varianten hinterfragen, wenn sie beispielsweise beobachten, dass die angeblich umgangssprachliche Variante dank dem auch in überregionalen Zeitungen oder in der Belletristik vielfach belegt ist. In der Lehramtsausbildung fördern wir daher das Verständnis dafür, dass sich sprachliche Zweifelsfälle von klaren grammatischen Fehlern unterscheiden.

    Zum Hintergrund:

    Prof. Dr. Renata Szczepaniak ist Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen an der Universität Leipzig. Im Juni erschien ihr Studienbuch „Sprachliche Zweifelsfälle: Definition, Betrachtungsdimensionen und Erforschung“. Sie ist eine von mehr als 250 Expert:innen der Universität Leipzig, auf deren Fachwissen Sie mithilfe unseres Expert:innen-Netzwerks zurückgreifen können.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Renata Szczepaniak
    Institut für Germanistik
    Telefon: +49 341 97 - 37360
    E-Mail: renata.szczepaniak@uni-leipzig.de


    Original publication:

    Szczepaniak, Renata. Sprachliche Zweifelsfälle: Definition, Betrachtungsdimensionen und Erforschung. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2025 https://katalog.ub.uni-leipzig.de/Record/0-1929781059


    More information:

    https://www.uni-leipzig.de/universitaet/service/medien-und-kommunikation/experti... Expert:innen-Netzwerk der Universität Leipzig


    Images

    Wer zweifelt, zeigt ein feines Gespür für Sprache und sprachliche Varianten.
    Wer zweifelt, zeigt ein feines Gespür für Sprache und sprachliche Varianten.

    Copyright: Colourbox

    Prof. Dr. Renata Szczepaniak
    Prof. Dr. Renata Szczepaniak
    Source: Swen Reichhold
    Copyright: Universität Leipzig


    Criteria of this press release:
    Journalists, Students, Teachers and pupils, all interested persons
    Language / literature, Teaching / education
    transregional, national
    Research results, Transfer of Science or Research
    German


     

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