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11/25/2025 09:07

Vampire der Tiefsee: Uralte Verbindung zwischen Oktopussen und Tintenfischen

Alexandra Frey Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Ein "genomisches lebendes Fossil" enthüllt, wie die Kraken und Tintenfische vor mehr als 300 Millionen Jahren entstanden sind

    In einer in iScience veröffentlichten Studie präsentieren Forscher*innen um Oleg Simakov von der Universität Wien, des National Institute of Technology – Wakayama College (NITW; Japan) und der Universität Shimane (Japan) das bisher größte sequenzierte Genom eines Kopffüßers. Ihre Analysen zeigen, dass der Vampirtintenfisch Teile einer alten, tintenfischähnlichen Chromosomenstruktur bewahrt hat und belegen damit, dass sich moderne Kraken von tintenfischähnlichen Vorfahren entwickelt haben.

    Der Vampirtintenfisch (Vampyroteuthis sp.) zählt zu den rätselhaftesten Tieren der Tiefsee. Seinen dunklen Körper, den großen roten oder blauen Augen und den mantelartigen Schwimmhäuten zwischen seinen Armen verdankt er seinen dramatischen Namen – obwohl er kein Blut saugt, sondern sich friedlich von organischen Abfällen ernährt. "Interessanterweise heißt der Vampirtintenfisch im Japanischen 'kōmori-dako', was so viel wie 'Fledermaus-Oktopus' bedeutet", erklärt Masa-aki Yoshida von der Universität Shimane, einer der drei Hauptautoren des Projekts. Doch hinter seinem Äußeren verbirgt sich ein noch tieferes Geheimnis: Obwohl er zu den Oktopussen zählt, weist er auch Merkmale von Tintenfischen und Sepien auf. Um dieses Paradoxon zu entschlüsseln, hat ein internationales Team unter der Leitung von Oleg Simakov von der Universität Wien zusammen mit Davin Setiamarga (NITW) und Masa-aki Yoshida (Universität Shimane) das Genom des Vampirtintenfischs entschlüsselt.

    Ein Blick in die Tiefsee-Evolution

    Durch die Sequenzierung des Genoms von Vampyroteuthis sp. rekonstruierten die Forscher*innen ein Schlüsselkapitel der Kopffüßer-Evolution. Die "modernen" Kopffüßer (Coleoidea) spalteten sich vor über 300 Millionen Jahren in zwei Hauptlinien auf: die zehnarmigen Decapodiformes (Kalmare und Sepien) und die achtarmigen Octopodiformes (Kraken und der Vampirtintenfisch).
    Obwohl der Vampirtintenfisch wie ein Krake acht Arme besitzt, teilt er wichtige genomische Merkmale mit seinen zehnarmigen Verwandten. Dadurch nimmt er eine wichtige Stellung zwischen beiden Linien ein. Obwohl er zu den Oktopussen gehört, zeigt sein Genom in der chromosomalen Struktur und Organisation viele ursprünglichere Charakteristika der sich früher abgespalteten Kalmare.

    Ein enormes Genom mit uralter Architektur

    Mit über 11 Milliarden Basenpaaren ist das Genom des Vampirtintenfischs fast viermal so groß wie das menschliche Genom – das größte jemals analysierte Genom eines Kopffüßers. Trotz dieser Größe weisen seine Chromosomen eine überraschend konservierte Struktur auf. Daher gilt Vampyroteuthis als "genomisches lebendes Fossil" – ein moderner Vertreter einer uralten Abstammungslinie, der wichtige Merkmale seiner evolutionären Vergangenheit bewahrt hat. Das Forschungsteam fand heraus, dass er Teile eines zehnköpfigen Tintenfisch-ähnlichen Karyotyps bewahrt hat, während moderne Kraken im Laufe der Evolution umfangreiche Chromosomenfusionen und Umstrukturierung durchliefen. Diese konservierte Genomarchitektur liefert neue Hinweise darauf, wie sich die einzelnen Linien der Kopffüßer auseinanderentwickelten. "Der Vampirtintenfisch steht genau an der Schnittstelle zwischen Kraken und Tintenfischen", sagt der Hauptautor Oleg Simakov vom Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie der Universität Wien. "Sein Genom enthüllt tiefgreifende evolutionäre Geheimnisse darüber, wie zwei auffallend unterschiedliche Abstammungslinien aus einem gemeinsamen Vorfahren hervorgehen konnten."

    Oktopus-Genome bildeten ihre eigene evolutionäre Autobahn

    Durch den Vergleich des Vampirtintenfischs mit anderen sequenzierten Arten, darunter dem Hochseeoktopus Argonauta hians, konnten die Forscher*innen die Richtung der Chromosomenveränderungen im Laufe der Evolution nachvollziehen. Das Genom von Argonauta hians ("Papierboot"), einem ungewöhnlichen Hochseeoktopus, dessen Weibchen sekundär eine Schale entwickelten, wurde in dieser Studie ebenfalls erstmals präsentiert. Die Analyse legt nahe, dass frühe Coleoidea eine tintenfischähnliche Chromosomenorganisation besaßen, deren Einzelteile im Laufe der Evolution teilweise verschmolzen und sich in das moderne Oktopus-Genom verdichteten – ein Prozess, der als "fusion with mixing" bekannt ist. Diese irreversiblen Umstrukturierungen führten wahrscheinlich zu wichtigen morphologischen Neuerungen wie der Spezialisierung der Arme und dem Verlust der äußeren Schalen. "Obwohl der Vampirtintenfisch zu den Oktopussen gezählt wird, besitzt er ein genetisches Erbe, das älter ist als beide Abstammungslinien", ergänzt die Zweitautorin Emese Tóth von der Universität Wien. "Es ermöglicht uns einen direkten Einblick in die frühesten Stadien der Kopffüßer-Evolution."

    Eine grundlegende Erkenntnis der Evolution der Kopffüßer

    Die Studie liefert den bisher deutlichsten genetischen Beweis dafür, dass der gemeinsame Vorfahre von Kraken und Tintenfischen tintenfischähnlicher war als bisher angenommen. Sie hebt hervor, dass eine umfassende chromosomale Reorganisation und nicht die Entstehung neuer Gene der Hauptgrund für die bemerkenswerte Vielfalt der modernen Kopffüßer war.

    Über die Universität Wien:

    Die Universität Wien setzt seit über 650 Jahren Maßstäbe in Bildung, Forschung und Innovation. Heute ist sie unter den Top 100 und damit den Top 4 Prozent aller Universitäten weltweit gerankt sowie in aller Welt vernetzt. Mit über 180 Studien und mehr als 10.000 Mitarbeitenden ist sie einer der größten Wissenschaftsstandorte Europas. Hier treffen Menschen aus unterschiedlichsten Disziplinen zusammen, um Spitzenforschung zu betreiben und Lösungen für aktuelle und künftige Herausforderungen zu finden. Ihre Studierenden und Absolvent*innen gehen mit Innovationsgeist und Neugierde komplexe Herausforderungen mit reflektierten und nachhaltigen Lösungen an.


    Contact for scientific information:

    Dr. Oleg Simakov
    Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie
    Universität Wien
    1030 Wien, Djerassiplatz 1
    T +43-1-4277-56501
    oleg.simakov@univie.ac.at
    www.univie.ac.at


    Original publication:

    Yoshida, M.A., Tóth, E., Kon-Nanjo, K., Kon, T., Hirota, K., Toyoda, A., Toh, H., Miyazawa, H., Terauchi, M., Noguchi, H., Setiamarga, D.H.E., Simakov, O., Giant genome of the vampire squid reveals the derived state of modern octopod karyotypes, iScience (2025).
    DOI: 10.1016/j.isci.2025.113832
    https://www.cell.com/iscience/fulltext/S2589-0042(25)02093-0


    More information:

    https://www.univie.ac.at/aktuelles/press-room/pressemeldungen/detail/vampire-der...


    Images

    Der Vampirtintenfisch (Vampyroteuthis sp.) zählt zu den rätselhaftesten Tieren der Tiefsee.
    Der Vampirtintenfisch (Vampyroteuthis sp.) zählt zu den rätselhaftesten Tieren der Tiefsee.

    Copyright: Steven Haddock_MBARI


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Biology, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results, Transfer of Science or Research
    German


     

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