Zum Gedenken an Adolf von Harnack (1851 - 1930)
von Kurt-Victor Selge
Am 7. Mai jährt sich zum 150. Mal der Geburtstag Adolf von Harnacks; die Humboldt-Universität wird seiner zusammen mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Max-Planck-Gesellschaft am Sonntag, 6. Mai, 18 Uhr, mit einem Festakt in ihrem Senatssaal gedenken, und vom 7. bis 9. Mai wird ein Symposion im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Dahlem ihn in seiner Stellung im modernen Kulturumbruch zu würdigen versuchen.
Adolf Harnack, den der eben auf den Thron gelangte Wilhelm II. 1888 von Marburg nach Berlin berief und den er 1914 mit dem erblichen Adelstitel auszeichnete, ist eine führende Gestalt der deutschen Wissenschaft in der Zeit dieses unglücklichen Kaisers gewesen; er repräsentiert Glanz und Elend dieser deutschen Epoche auf eine einmalige Weise, aber sein Name ist weltweit bis heute glanzvoll geblieben. Daß ein Theologe diese Stellung erlangte, ist auch fast einmalig. Vor ihm hatte nur der Theologe und Philosoph Friedrich Schleiermacher, zusammen mit Wilhelm von Humboldt geistiger Gründungsvater der Berliner Universität, eine vergleichbare Bedeutung weit über sein engeres Fach hinaus; nach ihm kam ein siebzigjähriger Niedergang nicht nur seiner eigenen Fakultät, sondern der Universität insgesamt. Harnack war vom Fach her und im Kern seines Wirkens Kirchenhistoriker; sein Aufstieg begann mit einem geistigen Reformprogramm für das kirchliche Christentum seiner Zeit, das die Kirche spaltete, und setzte sich nach 1900 fort mit einem Erneuerungsprogramm für die Organisation der deutschen Wissenschaft insgesamt - vor allem der naturwissenschaftlichen Forschung -, das dieser ihre Weltgeltung in der Konkurrenz der Großstaaten sichern sollte; hieraus ging 1911 die Gründung der "Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft" mit ihren Instituten der Großforschung hervor. Für sie wirkte er als ihr Präsident auch nach der Niederlage 1918 bis zu seinem Tode 1930.
Die beiden Seiten seiner Wissenschaftlerexistenz scheinen nicht zueinander zu passen und hängen doch zeitgeschichtlich eng zusammen. Das Problem der Gegenwart des Christentums verbindet sich hier mit dem der deutschen Kultur im neugegründeten Reich und der modernen Entwicklung von Natur- und Geisteswissenschaft überhaupt in der von Europa ausgegangenen gesamten westlichen Welt. Das Verhältnis der "besonderen" deutschen Geistestradition zu dieser Welt des europäisch-amerikanischen "Westens" ist ein folgenreiches und problematisches Unterkapitel in dieser Gesamtproblematik der Moderne, die die Wissenschaft bis heute nicht losläßt. Deswegen ist auch der Fall Harnacks immer noch ein gegenwärtiger Modellfall der Kulturwissenschaftsdebatte. Es gibt keinen Weg zurück zu ihm, aber das Problem, das er stellt, ist nach wie vor ungelöst. Der Streit zum Beispiel um die Gentechnologie zeigt, daß auch die für Harnack grundlegende Frage nach der Gegenwart der Religion überhaupt und der christlichen Religion - die für Harnack wie für Schleiermacher die "Religion schlechthin" darstellte, was heute schwer vertretbar scheint - nicht erledigt ist. Man sieht daran, daß Harnacks Weg von der Theologie zur Wissenschaftsorganisation eine Logik hat und nicht nur dadurch bedingt ist, daß die evangelische Kirche als Institution sich seiner Dogmenkritik verweigerte und der Kaiser den Mann, der sich ab 1890 im "Evangelisch-sozialen Kongress" engagierte (er leitete diesen von 1903 bis 1911) und der zur Zweihundertjahrfeier der Königlichen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1900 deren Geschichte vorlegte, fortan als Ratgeber in Fragen der Wissenschaftspolitik ansah. Symbol dieser Schätzung war die Verleihung des Ordens "Pour le mérite" im Jahr 1902; später wurde Harnack Kanzler der Friedensklasse dieses Ordens. Auch die Übertragung der Direktion der Königlichen Bibliothek an ihn, die er von 1905 bis 1921 innehatte, hängt mit dieser Vertrauensstellung beim Kaiser zusammen, und 1906 wurde dem so Belasteten eine zweite Kirchengeschichtsprofessur in seiner Fakultät zur Seite gestellt, die sein selbständiger Schüler Karl Holl bis 1926 bekleidete, der zweite bedeutende Kirchenhistoriker dieser Universität.
Im Wintersemester 1899/1900 hielt Harnack vor 600 Hörern aller Fakultäten in der Aula eine einstündige Vorlesung über "Das Wesen des Christentums"; sie wurde 1900 nach dem Stenogramm veröffentlicht, alsbald in alle Kultursprachen übersetzt und erlebte viele Auflagen; 1999 wurde sie von Trutz Rendtorff neu herausgegeben. Sie bietet den besten Zugang zum Denken dieses Mannes, der als Historiker das bleibende und überzeitliche Wesen des Evangeliums Jesu vom Vatergott und Bruderbund der Menschheit dem dogmatischen Kirchenglauben entgegenstellte, um das Christentum als gegenwärtige Religion zu erweisen. Mit Harnacks Tod ging "eine Ära der Theologie zu Ende, die seinen Namen tragen wird", schrieb 1930 ein gleichaltriger großer Kirchenhistoriker (Karl Müller in Tübingen). Daß sie in neuer Gestalt wiedergekehrt ist, zeigen die Auseinandersetzungen um die Gegenwartsgestalt des Christentums wie um die Zukunft der Wissenschaft seit etwa dreißig Jahren.
Hinweise zur Teilnahme:
Informationen: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Frau Lueke, Tel: 030/20370 567
Termin:
06.05.2001 ab 18:00
Veranstaltungsort:
Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, Senatssaal
10117 Berlin
Berlin
Deutschland
Zielgruppe:
jedermann
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
überregional
Sachgebiete:
Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Religion
Arten:
Eintrag:
24.04.2001
Absender:
Renate Nickel
Abteilung:
Kommunikation
Veranstaltung ist kostenlos:
unbekannt
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event3745
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