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24.12.2008 18:00

Tübinger Anatom entdeckt neuartigen Augentyp bei Wirbeltier aus der Tiefsee

Michael Seifert Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Der Gespensterfisch kann auch nach unten schauen

    In die Tiefsee gelangt kein Tageslicht. Es gibt jedoch viele verschiedene Tiefseelebewesen, die selbst Licht erzeugen und als Signal einsetzen, diese Fähigkeit wird Biolumineszenz genannt. Die Lichtreize sind nicht sehr hell, daher sind die Augen der Tiefseefauna auf höchste Empfindlichkeit optimiert. Tiefseefische, die sich visuell orientieren, haben daher spezielle Augenformen entwickelt. Diese haben jedoch den großen Nachteil, dass das Gesichtsfeld stark eingeschränkt ist. Nun hat Prof. Hans-Joachim Wagner vom Anatomischen Institut der Universität Tübingen zusammen mit Forschern aus England und den USA während einer Fahrt mit dem deutschen Forschungsschiff "Sonne" bei einem "Gespensterfisch" (Dolichpteryx longipes) einen neuartigen Augentyp entdeckt: Es ist der erste bekannt gewordene Fall, in dem ein Wirbeltier das Prinzip einer abbildenden Spiegeloptik nutzt. Die Forschungsergebnisse werden am 24. Dezember 2008, 18 Uhr, von der Fachzeitschrift Current Biology online veröffentlicht.

    Augen erreichen eine maximale Empfindlichkeit, wenn sie eine möglichst große Eingangsöffnung (Pupille) besitzen. Dies ist vor allem bei sehr großen Augen der Fall, wie sie zum Beispiel bei nachtaktiven Eulen zu finden sind. Für große Augen wird auch ein großer Kopf gebraucht - was aber für die Hydrodynamik zu Nachteilen führt: Ein kleiner Fisch mit einem großen Kopf verdrängt viel Wasser und muss beim Schwimmen hohe Widerstände überwinden. Als Kompromiss haben viele Tiefseefische sogenannte Röhrenaugen ausgebildet, die einen zylindrischen Ausschnitt aus den üblichen eher kugelförmigen Kameraaugen darstellen und damit weniger Raum benötigen. Solche Röhrenaugen, die fälschlich oft auch als Teleskopaugen bezeichnet werden, haben jedoch einen wichtigen Nachteil: Sie engen das Gesichtsfeld kritisch ein. In vielen Fällen können diese Tiere nur nach vorn beziehungsweise oben schauen. Gegenüber den beiden seitlich liegenden "Normalaugen" mit einem Rund-umblick ist das eine schwerwiegende Einschränkung.

    Die von der Forschergruppe beschriebene Gespensterfischart Dolichpteryx longipes verfügt auch über ein solches nach oben ausgerichtetes Röhrenauge mit der üblichen Linsenoptik. Zusätzlich haben die Wissenschaftler jedoch noch eine seitliche Aussackung des Röhrenauges gefunden, die nach unten eine durchsichtige "Hornhaut" besitzt. In mikroskopischen Serienschnitten konnten sie an deren Innenwand eine sphärische Spiegelstruktur beobachten und gegenüber an der Außenwand eine Netzhaut (Retina). Die Spiegelstruktur enthält präzise angeordnete Kristalle aus Guanin. Modellrechnungen der Wissenschaftler haben ergeben, dass dieser Spiegel Lichtstrahlen exakt auf der Fotorezeptorebene der Retina abbildet. Dieses Spiegelauge erlaubt der Fischart daher, auch zu sehen, was unter ihr vorgeht, ob zum Beispiel ein Raubfisch in der Nähe ist (siehe Abbildung).

    Abbildende Spiegelkonstruktionen haben gegenüber Linsensystemen in Augen den wichtigen Vorteil, dass sie mit größeren Eingangsöffnungen "arbeiten" und damit lichtstärker, also empfindlicher sind. Sie werden daher auch in technischen Systemen wie Teleskopen eingesetzt. In der Biologie finden sich abbildende Spiegelaugen bei einer Reihe von wirbellosen Tieren - in Kameraaugen von zum Beispiel Jakobsmuscheln und Muschelkrebsen und in Facettenaugen wie zum Beispiel bei Hummern. Im Gegensatz dazu war bei Wirbeltieren bisher als einziger Augentyp das Kameraauge mit Linse bekannt. Die Wissenschaftler schließen aus ihrer Beobachtung, dass die Evolution von Augensystemen bei Wirbeltieren weniger konservativ verlaufen ist als bisher angenommen.

    Nähere Informationen

    Die Publikation:
    Wagner, H.-J., Douglas, R.H., Frank, T.M., Roberts, N.W., Partridge, J.C.: A novel vertebrate eye using both refractive and reflexive optics. Current Biology, Online-Veröffentlichung am 24. Dezember 2008, 18 Uhr

    Ansprechpartner:
    Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner, Anatomisches Institut, Österbergstraße 3, 72074 Tübingen, Tel. 0 70 71/2 97 30 19, Fax 0 70 71/29 40 14, E-Mail hjwagner [at] anatu.uni-tuebingen.de

    Für Rückfragen am 23. Dezember 2008 ist Herr Prof. Wagner nicht im Institut zu erreichen. Bitte lassen Sie sich von Herrn Seifert, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, seine Handynummer geben - die ist nicht zur Veröffentlichung gedacht


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Meer / Klima
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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