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13.05.2009 16:30

Die Rolle von Spiegelneuronen ist weitreichender als bisher angenommen

Kirstin Ahrens Pressestelle
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)

    Spiegelneurone tragen nicht nur dazu bei, die Handlungen anderer besser zu verstehen, sondern möglicherweise auch dazu, geeignete eigene Reaktionen auf diese Handlungen auszuwählen. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Hertie-Institutes für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen in einer Studie, die in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität von Parma entstanden ist und die in Science veröffentlicht wurde. Diese Entdeckung liefert die Grundlage für ein besseres Verständnis von Störungen sozialer Interaktionen, wie sie zum Beispiel dem Autismus zugrunde liegen.

    Stellen Sie sich vor, Sie sehen eine Person, die gerade dabei ist, einen Apfel aus einem Korb zu nehmen. Lange bevor diese Person den Apfel tatsächlich in die Hand nimmt, wissen Sie nicht nur, was die Person tun wird, sondern auch warum (zum Beispiel um ihn zu essen oder einfach, um den Apfel an einen anderen Platz zu legen). Welche Prozesse liegen diesem scheinbar mühelosen Verstehen der beobachteten Handlung zugrunde? Ist das Verstehen von Handlungen letztlich das Ergebnis einer ausgefeilten Analyse der von uns gesehenen Bilder, die im Prinzip in analoger Weise auch von künstlichen Sehsystemen bewerkstelligt werden könnte? Dass unser Gehirn einen gänzlich anderen Weg zum Verständnis von Handlungen wählt, legt die Entdeckung der Spiegelneurone bei Affen durch Prof. Giacomo Rizzolatti und seiner Mitarbeiter in den 90igern nahe: Spiegelneurone sind ein spezialisierter Typus von Nervenzelle, der gleichermaßen durch die Ausführung einer Handlung wie durch das Sehen der Ausführung der Handlung durch einen Anderen aktiviert wird. Verstehen von Handlungen - so die Interpretation dieses Befundes - wird dadurch möglich, dass Spiegelneurone, die für eigene motorische Erfahrungen stehen, durch das Beobachtete zur Resonanz gebracht werden.
    Die Erkenntnisse aus der nun vorliegenden neuen Studie des Hertie-Institutes für klinische Hirnforschung legen nahe, dass Spiegelneuronen nicht auf diese Rolle in der Erzeugung von Handlungsverständnis beschränkt sind, sondern vielmehr darüber hinaus eine wichtige Rolle in der Auswahl von Reaktionen auf das Gesehene spielen.

    In dieser Studie wurden die Antworten von Spiegelneuronen in der Großhirnrinde von Affen aufgezeichnet, während sie einen Forscher bei der Ausführung zielgerichteter Handlungen beobachteten - und zwar entweder in Reichweite des Affen (peripersonaler Raum) oder außerhalb seiner Reichweite (extrapersonaler Raum). Es zeigte sich, dass die Reaktionen der Spiegelneuronen beeinflusst werden von der Größe des Abstandes zwischen dem beobachtenden Affen und der ausgeführten Handlung. Spiegelneurone einer ersten Gruppe zeigten stärkere Reaktionen, wenn die beobachteten Handlungen im peripersonalen Raum des Affen ausgeführt wurden, während Spiegelneurone einer zweiten Gruppe umgekehrt dann stärker reagierten, wenn die Handlungen im extrapersonalen Raum des Affen stattfanden. Spiegelneurone, die normalerweise durch beobachtete Handlungen im peripersonalen Raum aktiviert wurden, verloren diese Aktivität, wenn dem Affen vom Experimentator die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die beobachtete Handlung genommen wurde.
    Spiegelneurone kodieren also nicht nur, was andere tun, sondern auch, wo sie es tun - und darüber hinaus - ob der Beobachter Einfluss auf die beobachtete Aktion nehmen kann. Dieser Befund spricht dafür, dass Spiegelneurone über die Repräsentation der Bedeutung der beobachteten Handlung hinaus dazu beitragen können, dem Beobachteten eine angemessene Verhaltensantwort auszuwählen. Diese Befunde komplettieren unser Bild von der Rolle des Spiegelneuronensystems in der Vermittlung zweckdienlicher sozialer Interaktionen und stimulieren neue Perspektiven in der Auseinandersetzung mit ihren Störungen.

    Titel der Originalarbeit
    Mirror Neurons Differentially Encode the Peripersonal an Extrapersonal Space of Monkeys
    Vittorio Caggiano, Leonardo Fogassi, Giacomo Rizzolatti, Peter Thier, Antonio Casile

    Veröffentlicht in Science 17. April 2009

    Kontakte:
    Kirstin Ahrens
    Pressereferentin Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH)
    Telefon: 07073-500 724
    Mobil: 0173-300 53 96
    Mail: mail@kirstin-ahrens.de

    Universitätsklinikum Tübingen
    Zentrum für Neurologie
    Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
    Professor Peter Thier
    Telefon: 07071-29-85662
    Mail: thier@uni-tuebingen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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