Die oft problematischen Zustände in der konfessionellen Heimerziehung haben die Leitungen der jeweiligen Einrichtungen und die Aufsichtsorgane passiv zugelassen. Zwischen 1949 und 1972 wurden Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung meist nur unzureichend gefördert, sie erlitten vielfach Demütigungen und wurden oft auch Opfer von Misshandlungen und Missbrauch. Mangelhafte äußere Bedingungen, der damals vorherrschende rigide Erziehungsstil sowie das persönliche Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter haben zu den traumatisierenden Erfahrungen vieler Heimkinder beigetragen. Das sind die zentralen Ergebnisse des ersten Gesamtüberblicks zur konfessionellen Heimerziehung.
Mangel, Überforderung und harte Strafen
Pionierarbeit an der RUB: Konfessionelle Heimerziehung erforscht
Abschlussbericht bietet ersten Gesamtüberblick – weitere Aufarbeitung tut Not
Die oft problematischen Zustände in der konfessionellen Heimerziehung haben die Leitungen der jeweiligen Einrichtungen und die Aufsichtsorgane passiv zugelassen. Zwischen 1949 und 1972 wurden Kinder und Jugendliche in der Heimerziehung meist nur unzureichend gefördert, sie erlitten vielfach Demütigungen und wurden oft auch Opfer von Misshandlungen und Missbrauch. Mangelhafte äußere Bedingungen, der damals vorherrschende rigide Erziehungsstil sowie das persönliche Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter haben zu den traumatisierenden Erfahrungen vieler Heimkinder beigetragen. Das sind die zentralen Ergebnisse des ersten Gesamtüberblicks zur konfessionellen Heimerziehung in der jungen Bundesrepublik Deutschland bis in die 70er-Jahre hinein. Die Bochumer Wissenschaftler Prof. Dr. Wilhelm Damberg (Katholisch-Theologische Fakultät der RUB) und Prof. Dr. Traugott Jähnichen (Evangelisch-Theologische Fakultät) haben ein seit 2008 laufendes Forschungsprojekt abgeschlossen und stellten heute ihren Bericht vor.
Akten offenlegen
Die Ergebnisse machen es unumgänglich, den „Heimkinderstatus“ zu entstigmatisieren, heißt es in der Studie. Helfen könne dabei vor allem eine Offenlegung der Akten. Den Betroffenen von einst solle heute bei Bedarf therapeutische Hilfe sowie in zahlreichen Fällen materielle Unterstützung geboten werden. Auch eine weitere, nicht nur individuelle Aufarbeitung der Heimerziehung sei notwendig.
Zusammenfassung der Ergebnisse im Internet
Die Ergebnisse der Studie erscheinen im Herbst 2011 als Buch. Im Internet steht eine ausführliche Zusammenfassung der Studie zum Herunterladen unter:
http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2011/pm00163.html.de
Teils drakonische Strafen
Personalmangel und Überforderung, lange Arbeitszeiten, schlechte Entlohnung, fehlende Anerkennung, das Wegschauen der Bevölkerung und vieles mehr: Die Liste an Ursachen und Gründen für das Fehlverhalten von Heimpersonal ist lang. Das entschuldigt jedoch nicht teils drakonische Strafen und Demütigungen als „Erziehungsstil“ in vielen Heimen – etwa Essensentzug, Isolierung in „Besinnungszimmern“, das Abschneiden der Haare bis hin zu körperlicher Züchtigung und Misshandlung.
Versagen, Schuld – aber auch vereinzelt großes Engagement
„Die Leitungen der jeweiligen Einrichtungen wie auch die kirchlichen Aufsichtsorgane haben die oft problematischen Zustände gekannt oder hätten sie zumindest genau kennen können“, so die Bochumer Forscher. In den kirchlichen Heimen gab es sowohl „Fälle eklatanten Versagens und großer Schuld“ als auch „ein überdurchschnittliches Maß an Engagement der Mitarbeitenden“. Mit Blick auf die einzelnen Handelnden sei daher stets ein sehr sorgfältig abwägendes Urteil notwendig, so die Autoren der Studie. „Die Komplexität der damaligen Verhältnisse beruhte eben auch auf dem Umstand, dass niemals nur kirchliche Träger oder staatliche Instanzen allein für das Wohl der Kinder und Jugendlichen verantwortlich waren, sondern immer beide“ – was sich aber nicht zum Vorteil der Kinder ausgewirkt habe.
Arrangement zwischen Staat und Kirche
Mit Ausnahme der religiösen Erziehung zeigen sich keine signifikanten Unterschiede zwischen kirchlichen Heimen, Heimen in der Trägerschaft anderer Wohlfahrtsverbände oder öffentlichen Heimen. „Insofern spiegeln die kirchlichen Heime weithin das Maß der seinerzeit geltenden Normalität wider, was allerdings den kirchlichen Selbstanspruch deutlich unterschreitet.“ Ein zentraler Punkt ist das „staatlich-konfessionelle Arrangement“ bei der Heimerziehung – oder mit anderen Worten die Verquickung zwischen den zuständigen staatlichen Stellen und den konfessionellen Trägern und ihren Fachverbänden: „Beide Seiten profitierten von diesem Arrangement.“ Die staatlichen Stellen konnten die Kosten für die Heimplätze niedrig halten und die kirchlichen Einrichtungen konnten relativ unabhängig agieren.
Zahlen mit regionalen Unterschieden
„Wegen der zur Verfügung stehenden, lückenhaften Datenbasis war nur eine statistische Annäherung an den enormen Umfang des Forschungsfeldes möglich“, heißt es im Abschlussbericht. Demnach ist von insgesamt etwa 800.000 Heimkindern in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1975 auszugehen, von denen ca. 70 bis 80 Prozent in einem katholischen oder evangelischen Heim waren – mit großen regionalen Unterschieden, da sich etwa in Bayern, Niedersachsen und NRW zwischen 85 und 90 Prozent, in Hamburg und Schleswig-Holstein jedoch nur rund 27 bzw. 37 Prozent der Minderjährigen in Einrichtungen konfessioneller Träger befanden. Vom Beginn der 1950er bis Ende der 1960er Jahre waren 55 bis 58 Prozent der konfessionellen Heime in katholischer und zwischen 42 und 45 Prozent in evangelischer Trägerschaft. Bei den verfügbaren Plätzen ergab sich eine Relation von ca. 65 in katholischen und rund 35 Prozent in evangelischen Heimen.
Studie in drei Musterregionen
Mit ihrer Studie leisten die Forscher Pionierarbeit in Deutschland. Historische, rechtliche und pädagogische Analysen der kirchlichen Heimerziehung ergänzen sie um eine differenzierte Heimstatistik, eine „Typologie“ konfessioneller Heime und Fallstudien. Als erster Gesamtüberblick zum Thema stützen sich die Ergebnisse nicht allein auf Lokalstudien, sondern auf breite Aktenstudien und Interviews mit ehemaligen Heimkindern und Erziehenden in den „Musterregionen “ Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern. Die Studie wurde in einem gemeinsamen Projekt unter der Leitung der Professoren Dr. Wilhelm Damberg (Katholische Theologie / Kirchengeschichte) und Dr. Traugott Jähnichen (Evangelische Theologie / Christliche Gesellschaftslehre) von den Historikern Dr. Bernhard Frings und Dr. Uwe Kaminsky erstellt. Unterstützt wurde das Projekt durch Drittmittel der Evangelischen Kirche in Deutschland, des Diakonischen Werkes der EKD, der Deutschen Bischofskonferenz, des Deutschen Caritasverbandes und der Deutschen Ordensobernkonferenz.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Wilhelm Damberg, Katholisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, Tel. 0234/32-28109, E-Mail: wilhelm.damberg@rub.de
Prof. Dr. Traugott Jähnichen, Evangelisch-Theologische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, Tel. 0234/32-28401, E-Mail: traugott.jaehnichen@rub.de
Redaktion: Jens Wylkop
http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2011/pm00163.html.de - Zusammenfassung der Studienergebnisse (ab ca. 14 Uhr)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Religion
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).