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01.10.2015 11:22

Der Vater von „Faustlos“ und „Keiner fällt durchs Netz“ geht in den Ruhestand

Julia Bird Unternehmenskommunikation
Universitätsklinikum Heidelberg

    Professor Dr. Manfred Cierpka, Ärztlicher Direktor des Instituts für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie des Universitätsklinikums Heidelberg, beendet die Leitung des Instituts und wird Seniorprofessor.

    Professor Dr. Manfred Cierpka, seit 17 Jahren Ärztlicher Direktor des Instituts für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie am Universitätsklinikum Heidelberg, geht zum 1. Oktober 2015 in den Ruhestand. „Belastete Familien lagen und liegen mir sehr am Herzen – sowohl in der Präventionsarbeit als auch in der klinischen Betreuung“, sagt der 65-jährige Psychiater. In den letzten 20 Jahren entwickelte er namhafte und inzwischen in ganz Deutschland eingesetzte Gewalt-Präventionsprogramme wie „Keiner fällt durchs Netz“ und „Das Baby verstehen“ für frisch gebackene Eltern sowie „Faustlos“ für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter. Er richtete am Universitätsklinikum Heidelberg erstmals eine Sprechstunde speziell für Eltern ein, die im Umgang mit ihrem Baby an ihre Grenzen stoßen. Im Rahmen einer einjährigen Seniorprofessur wird Professor Cierpka laufende Projekte noch zum Abschluss bringen. Außerdem wird er Fortbildungen für Hebammen und Psychiater am Institut weiterführen.

    „Manfred Cierpka hat die große Bedeutung der psychosozialen Prävention frühzeitig erkannt und ist mit seinen Themen und Projekten weit über die wissenschaftliche Welt hinaus im Alltag der Menschen wirksam geworden“, sagt Professor Dr. Wolfgang Herzog, Dekan der Medizinischen Fakultät Heidelberg.

    „Frühe Kindheit ist entscheidend für die Gesundheit im Erwachsenenalter“

    „Ich bin jemand, der kontinuierlich an Projekten weiterarbeitet und dafür auch die nötige Geduld aufbringen kann. Denn gerade bei Präventionsprojekten dauert es Jahre, bis Ergebnisse messbar sind“, sagt Professor Cierpka. Ein Paradebeispiel für einen geduldigen und kontinuierlichen Aufbau ist „Faustlos“. In dem Unterrichtsprogramm für Grundschulen und Kindergärten lernen Kinder Konflikte gewaltlos zu lösen, mit der eigenen Angst und Wut angemessen umzugehen und sich in andere einzufühlen. Ein Pilotprojekt von 2009 bis 2012 zeigte: „Faustlos“ bewirkt merkliche Verhaltensänderungen, kann Aggressionen daheim und im Klassenzimmer vorbeugen. Auch ängstliches und depressives Verhalten wurde seltener beobachtet, zurückgezogene und scheue Kinder gewannen an Zuversicht. Heute wird „Faustlos“ an rund 15.000 Einrichtungen in Deutschland unterrichtet. Lehrer und Erzieherinnen können sich in Heidelberg entsprechend schulen lassen.

    Noch größere Beachtung, vor allem in der Politik, fand das Projekt „Keiner fällt durchs Netz“ – eine frühe Hilfe für belastete Familien. Belastung bedeutet in diesem Fall vor allem heftige Partnerschafts- und Familienkonflikte, ein Mangel an sozialer Integration sowie Überforderung oder Minderjährigkeit der Mutter. Eingebunden sind Hebammen oder Frauenarzt bereits vor der Geburt, bei Bedarf begleitet eine Familienhebamme die jungen Eltern während des gesamten ersten Lebensjahres ihres Kindes und bereitet sie im Kurs „Das Baby verstehen“ auf ihre neue Rolle vor. Die Eltern werden darin unterstützt, eine sichere Bindung zu ihrem neugeborenen Kind aufzubauen, elterlicher Gewalt und Vernachlässigung von Säuglingen kann so vorgebeugt werden. "Wir wissen heute, wie entscheidend die frühe Kindheit für die spätere Entwicklung und auch für die Gesundheit im Erwachsenenalter ist", so der deutschlandweit einzige Professor für Familientherapie. Außerdem verringert die Betreuung depressive Symptome bei den Müttern. 2007 als Modellprojekt des Bundes ins Leben gerufen, wurde „Keiner fällt durchs Netz“ im Rahmen der „Frühen Hilfen“ im gesamten Saarland, in mehreren Landkreisen Hessens und in der Stadt Heidelberg erfolgreich erprobt. Inzwischen werden die Frühen Hilfen aus Bundesmitteln mit jährlich rund 60 Millionen Euro finanziert. Leitstelle auf Bundesebene ist das Nationale Zentrum für Frühe Hilfen. „Ohne die Unterstützung der Städte und Landkreise wäre ein solcher Erfolg kaum möglich gewesen“, betont Cierpka.

    Besonders stolz ist der Vater des Projekts darauf, dass das Konzept in der überarbeiteten Version des Kinderschutzgesetzes von 2014, in der sogenannten Bundesinitiative Frühe Hilfen zentral Eingang gefunden hat: „Es ging mir immer darum, nicht nur Interventionen zu konzipieren, sondern auch nachhaltig wirksam zu werden. Das ist mit ‚Keiner fällt durchs Netz‘ auf ganzer Linie gelungen.“ Gerade arbeitet er mit seinem Team daran, das Programm auf das zweite und dritte Lebensjahr des Kindes auszuweiten und eine Zusammenarbeit mit Kinderkrippen zu starten. Das Projekt soll im Laufe des nächsten Jahres abgeschlossen sein.

    Eine große Hilfe für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern, die in den ersten Lebensmonaten anhaltend schreien, sich nicht beruhigen lassen und nicht schlafen, ist die interdisziplinäre Sprechstunde am Institut. Rund 240 Familien jährlich erhalten hier Rat und konkrete Tipps, wie sie sich und ihrem Kind das Leben leichter machen können. Mit dazu gibt es die wohltuende Gewissheit, dass sie mit diesen Problemen nicht allein stehen. „Als wir die Sprechstunde 1999 gründeten, war dieses Angebot noch hoch innovativ und umstritten. Aber zum Glück ließ der Klinikumsvorstand mir viel Freiraum, das damals neu gegründete Institut auszubauen“, erinnert sich Cierpka. Aktuell prüft das Team in einer Studie, wie sich der Besuch der Sprechstunde auf Eltern und Kinder auswirkt und ob sie effektiver ist als die übliche Betreuung durch den Kinderarzt.

    Institut für psychosoziale Prävention

    Cierpkas Nachfolgerin ist Professor Dr. phil. Svenja Taubner, klinische Psychologin von der Universität Klagenfurt. Mit dem Leitungswechsel erhält das Institut einen neuen Namen: Institut für psychosoziale Prävention. „In diesem Titel ist mein Lebenswerk enthalten“, freut sich der Präventionsforscher und Familientherapeut. Für die Patienten und ratsuchenden Eltern ändert sich nichts, alle Therapie- und Beratungsangebote werden unverändert fortgeführt.

    Manfred Cierpka wurde 1950 in Nürtingen am Neckar geboren. Er studierte in Ulm Medizin. Nach der Facharztausbildung und Habilitation in Ulm, wechselte er als Professor für Psychosomatik und Familientherapie an die Universität Göttingen. Seit 1998 war er Ärztlicher Direktor des Instituts für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie am Universitätsklinikum Heidelberg. Der Arzt für Psychiatrie, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker und Familientherapeut war Beirat mehrerer Fachzeitschriften sowie jahrelanger Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie der Bundesärzte- und Bundespsychotherapeutenkammer und ist einer der wiss. Leiter der Lindauer Psychotherapiewochen.

    Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
    Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang

    Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 12.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit ca. 1.900 Betten werden jährlich rund 66.000 Patienten voll- bzw. teilstationär und mehr als 1.000.000 mal Patienten ambulant behandelt. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit studieren ca. 3.500 angehende Ärztinnen und Ärzte in Heidelberg. www.klinikum.uni-heidelberg.de


    Weitere Informationen:

    http://www.cierpka.de/ Homepage von Professor Dr. Manfred Cierpka
    http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Psychosomatische-Kooperationsforschung-und... Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie
    http://www.fruehehilfen.de/index.php?id=92 Nationales Zentrum Frühe Hilfen


    Bilder

    Professor Dr. Manfred Cierpka
    Professor Dr. Manfred Cierpka
    Universitätsklinikum Heidelberg
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Pädagogik / Bildung, Psychologie
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

    Professor Dr. Manfred Cierpka


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