Technische Kristallisation - ein neues Forschungsgebiet an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
7th International Workshop on Industrial Crystallization am 06./07.09.1999 erstmalig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
"Das Auge ißt mit", ist keine leere Phrase. Sicher hat sich jeder schon einmal nur aufgrund des leckeren Aussehens für ein bestimmtes Essen entschieden. Dieses Verhalten nutzen Marktstrategen, um Produkte zu verkaufen. Cornflakes, die Frosties heißen, dürfen demnach nicht goldgelb wie der Mais aussehen, aus dem sie nun einmal bestehen. Nein, sie müssen, wie der Name schon sagt, ein Hauch von Kälte transportieren. Frosties werden deshalb mit Hilfe von speziellen Verfahrenstechniken mit einer weißen, kristallinen Zuckerschicht überzogen, die das Frostige vermitteln soll.
Andere Nahrungsmittel wie Schokolade, Bonbons oder Gewürze werden ebenfalls so behandelt, daß sie nicht nur den Zweck, Nahrung und Genußmittel zu sein, erfüllen, sondern auch noch zum "Anbeißen" aussehen. Es soll dem Konsumenten leichter gemacht werden, sich angesichts einer riesigen Auswahl für ein spezielles Produkt zu entscheiden. Ein Verfahren, das bestimmte Lebensmittel in ihrem Aussehen verändert, um sie attraktiver für den Kauf zu machen, ist die technische Kristallisation.
Die technische bzw. industrielle Kristallisation ist der Prozeß der Erzeugung von Stoffen in rieselfähigen kristallinen Formen. Salz beispielsweise muß einerseits durch den Salzstreuer passen. Andererseits darf es aber nicht zu fein sein, um immer noch Korn für Korn zu rieseln und nicht wie das Mehl als "Brocken" zu fallen. Die Formgebung ist eine Zielgröße der Kristallisation. Einerseits spielt dabei die Ästhetik und Verkaufsorientierung eine Rolle. Zum Beispiel wird aus dem Wein mit Hilfe der Kristallisation der Weinstein entfernt, der eigentlich ein Zeichen von Qualität ist, aber offensichtlich auf viele Menschen unappetitlich wirkt.
Andererseits sind bei der formgebenden Stoffumwandlung nützliche Aspekte maßgebend. Feste Stoffe bestehen, im Unterschied zu flüssigen und gasförmigen, fast ausschließlich aus Kristallen. Oft haben sie sehr "unhandliche" Formen wie lange, dünne Nadeln. In der Pharmaindustrie ist beispielsweise von großer Bedeutung, daß die Medikamente und deren Ausgangsstoffe möglichst kompakte, das heißt würfel- oder kugelförmige, Formen annehmen. Dadurch wird eine unkomplizierte Dosierung und Handhabung möglich. Häufig ist ein optischer und nützlicher Effekt der Formgebung das Ziel der technischen Kristallisation. Schokolade hat zum Beispiel durch die unter kontrollierten Bedingungen durchgeführte Kristallisation nicht nur ein schönes glänzendes Aussehen, sondern auch den einheitlich guten Geschmack. Bei einer unkontrollierten Kristallisation wie das Hartwerden der Schokolade, wenn sie zuvor einem Sonnnenbad ausgesetzt worden ist, ist das Ergebnis ein unappetitlicher Anblick, weiße Ränder und eine Geschmacksverschlechterung. Auch bei Bonbons hat die glänzende Hülle nicht nur verführerischen Zweck, sondern zugleich Härtefunktion, damit der Bonbon nicht in der Hand, sondern langsam im Mund schmilzt.
Der Prozeß der Kristallisation bestimmt nicht nur die Form der Stoffe, sondern auch deren Inhalt. Die Industrie verlangt für die Produktion bestimmte Materialien in nahezu 100 %iger Reinheit. Zum Beispiel werden in der Textilindustrie reine Fasern mit gleichbleibender Qualität benötigt, da ansonsten die Fäden reißen und Produktionsausfälle die Folge sind.
Technische Kristallisationsverfahren zur Erzeugung hochreiner Stoffe sind für viele Industriezweige (z.B. Chemie, Pharmazie und Nahrungsmittelindustrie) relevant. Die Bedeutung der Kristallisation wächst in dem Maße, indem die Zuhilfenahme von Lösungsmitteln zur Erzeugung reiner Stoffe verboten wird, da Lösungsmittel gesundheitsschädliche Rückstände verursachen.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn sich die technische Kristallisation zu einem eigenständigen, komplexen Forschungsfeld entwickelt. In der Verfahrenstechnik als ein Wissensgebiet der Ingenieurwissenschaften wird unter Kristallisation der ganze Bereich der Anlagen und Apparate zur Erzeugung von Stoffen in der gewünschten kristallinen Form verstanden. Für Professor Dr. Joachim Ulrich ist dieses Gebiet zum Steckenpferd geworden. Er arbeitet seit einigen Jahren, zuerst in Bremen und jetzt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, an der Akzeptanz dieses Verfahrens in der Industrie und setzt sich für die Kooperation zwischen Forscher und potentiellem Anwender ein.
Das Verfahren der Kristallisation steht in einem harten Konkurrenzkampf zum Beispiel mit dem seit langem etablierten Verfahren der Destillation. Die Destillation findet aufgrund ihres geringeren Aufwandes breite Anwendung. Im Vergleich zur Kristallisation ist der Energieaufwand beim Verfahren der Destillation zumeist wesentlich höher, um zu demselben Ergebnis zu gelangen. Lange Zeit haben Energiepreise nur eine untergeordnete Rolle gespielt und es wurden vor allem flüssige und gasförmige Stoffe getrennt, da die Feststoffe zu große Risiken wie Verkrustungen bargen. Heute spielt der Energiepreis und damit die Reduzierung von Energie eine wichtige Rolle. Reinheitsanforderungen und Umweltrichtlinien gewinnen an Bedeutung. Das ist die Marktlücke für die Technische Kristallisation. "Mit ihrer Hilfe ist im Unterschied zu anderen Trenntechniken häufig eine selektivere Trennung der Stoffe, ein geringerer Energieverbrauch, eine kleinere Apparatur, eine höhere Reinheit und die Vermeidung von Lösungsmittelrückständen möglich", so Professor Ulrich.
Die neue Technologie muß natürlich weiter technisch optimiert werden und viele Testläufe mit unterschiedlichen Stoffen sind vonnöten. Zwei weitere wichtige Schritte auf dem Weg zu einer breiten Etablierung der Kristallisationstechnik sind die Bereitschaft zu Innovationen von seiten der anwendenden Ingenieure und die Investitionsbereitschaft der Auftraggeber. Deshalb muß es Möglichkeiten geben, wo sich Forschende, Ingenieure und Vertreter von Firmen als potentielle Auftraggeber zusammenfinden.
In der Bundesrepublik gibt es nun schon zum 7. Mal den Bremer International Workshop on Industrial Crystallization (BIWIC). Mit der Professur des Organisators Dr. Joachim Ulrich an der halleschen Universität findet dieser Kongreß am 6. und 7. September 1999 erstmalig an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg statt. Tagungsort ist das Melanchthonianum, Universitätsplatz 8/9, offiziell eröffnet wird der Workshop am 6. September, 8:45 Uhr, im Hörsaal B. "Der internationale Workshop für Industrielle Kristallisation hat zum Ziel, Ingenieure und Naturwissenschaftler aus der Industrie und der universitären Forschung zusammenzubringen, und einen Erfahrungsaustausch über die neuesten Entwicklungen zu ermöglichen", heißt es im Konzept von Professor Ulrich.
Die Teilnehmer werden wieder aus vielen Nationen anreisen (Japan, Korea, Brasilien, Finnland, Niederlande, Frankreich, Ungarn, Türkei, Schweiz, Jordanien, England und Deutschland) und unterschiedliche Industriezweige (Chemie, Nahrungsmittelindustrie, Pharmazie, Anlagenbau, Software-Hersteller, Messtechnik) und Hochschulen repräsentieren. Ein anregender und fruchtbarer Erfahrungsaustausch steht angesichts dieser Vielfalt ins Haus.
Bianca Bast
Das aktuelle und ausführlicheTagungsprogramm kann im Internet unter
http://project.vt.uni-halle.de/tvt-pg/tvt/biwic/ aufgerufen werden.
Nähere Informationen:
Professor Dr.-Ing. Joachim Ulrich
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Fachbereich Ingenieurwissenschaften
Institut für Verfahrenstechnik / TVT
06099 Halle / Saale
Tel.: (03461) 46-38 77
Fax: (03461) 46-28 77
e-mail:joachim.ulrich@iw.uni-halle.de
http://project.vt.uni-halle.de/tvt-pg/tvt/biwic/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Maschinenbau
regional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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