Muß ein brisantes Kapitel bayerischer Geschichte neu geschrieben werden? - Professor Heinz Häfner publiziert bei der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Ludwig II. ist bis heute ein Mythos. So bizarr die Lebensverhältnisse des Bayernkönigs waren, so ungewöhnlich gestalteten sich die Umstände seines Todes. Seine zügellose Bauwut führte zu einer wachsenden Verschuldung der sogenannten Zivilliste, aus welcher Ludwig und der Hof ihren Unterhalt bestritten. Die Zahl seiner Gläubiger, vor allem von Handwerkern, die auf ihren Rechnungen sitzen blieben, wuchs ständig. Doch heute sind seine neoromantisch inspirierten Schlösser Weltkulturerbe, ein Magnet für Heerscharen an Touristen - und bescheren dem Freistaat mit schöner Regelmäßigkeit Einnahmen in Millionenhöhe. Galten seine homoerotischen Liebesverhältnisse, seine nächtlichen Schlittenfahrten und seine Trinkgelage mit Reitersoldaten in künstlichen Felsgrotten der Epoche als anstößig, so wird sein Andenken heute in manch bayerischem Wohnhaus mit einem Bildnis in Öl verewigt.
Doch wie verrückt war Ludwig II. nun? War der König wirklich wahnsinnig? War er ein krankhafter Egomane, litt er an Schizophrenie, gar an den Spätfolgen einer Syphilis? Oder war er nur ein unverstandener Unzeitgemäßer? Professor Heinz Häfner von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hat den "Fall Ludwig" nun noch einmal aus psychiatrischer und historischer Sicht neu aufgerollt - und dies mit überraschenden Ergebnissen. Zunächst trug Häfner, Gründer und langjähriger Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, aus veröffentlichten Quellen, Landtagsstenogrammen und Archiven Material zusammen. "Durch die freundliche Erlaubnis des Herzogs Franz von Bayern, mein Quellenstudium auf das 'Geheime Hausarchiv' der Familie auszudehnen, konnte ich auch bislang unveröffentlichte Dokumente einsehen. Nun erscheinen viele Vorkommnisse in einem neuen Licht", so Häfner.
Ludwig II., von 1864 bis 1886 König von Bayern und der Pfalz, wurde am 8. Juni 1886 in einem psychiatrischen Gutachten für unheilbar geisteskrank und dauerhaft regierungsunfähig erklärt. In einer Staatsaktion sollte er in der Nacht vom 9. auf den 10. Juni entmündigt, festgesetzt und in geschlossene Unterbringung mit psychiatrischer Aufsicht gebracht werden. Nachdem diese Aktion scheiterte, weil der König die Kommission verhaften und festsetzen ließ, wurde ein zweiter, nunmehr erfolgreicher Versuch in der Nacht vom 11. auf 12. Juni unter Leitung des Psychiaters Professor Bernhard von Gudden unternommen. Einen Tag später suchte der Monarch im Starnberger See den Freitod, wobei er zuvor seinen Psychiater, der ihn daran hindern wollte sich zu ertränken, ebenfalls mit in den Tod nahm.
Die Diagnose, welche zur Zwangsinternierung und schließlich zur Eskalation führte, lautete damals unheilbare "Paranoia" und Geistesschwäche. "Diese Schlußfolgerung ist heute nicht mehr zu halten. Ohne Beobachtung und Untersuchung des Königs durch die Gutachter dienten allein die Berichte der Regierung und die vorher eingeforderten teilweise grotesken Aussagen der Höflinge als Beurteilungsgrundlage. Die Leistungen und Fähigkeiten des Königs wurden nicht berücksichtigt. Das Ergebnis des Gutachtens hatte Professor von Gudden schon vor der Beauftragung sowohl dem Vorsitzenden, wie dem Finanzminister, als auch seinen Assistenten mitgeteilt. Nach dem Tode des Königs äußerte einer der drei überlebenden Gutachter Zweifel an der Diagnose, ein anderer an der Geistesschwäche des Königs", so Häfner. Häfner belegt aus zweifelsfreien Quellen, daß bei Ludwig II. keine Zeichen von Geistesschwäche und einer paranoiden Psychose vorlagen.
Häfner gelangt aus moderner Perspektive zu einer völlig anderen Beurteilung der problembelasteten Biographie und einer anderen psychiatrischen Diagnose, welche auch die herausragenden Fähigkeiten und Leistungen des Königs mitberücksichtigt. Um seinen inneren Konflikten zu entkommen, entwickelte der junge Bayer zunehmendes Suchtverhalten, wenn auch ein sehr ungewöhnliches! Er wurde "bausüchtig". Er zeigt in evidenter Weise alle Merkmale einer "nicht substanzgebundenen Sucht", wie sie auch für Glückspieler typisch sind. Sein Bezug zu Geld ging am Ende verloren, all sein Tun war schließlich nur noch darauf ausgerichtet, neue Mittel zu beschaffen. Überdies plagten ihn seit seiner Jugend Ängste vor Menschen. Er litt unter einer Sozialphobie, die sich mit den Jahren unter dem Einfluß der Schuld- und Schamgefühle wegen seiner homoerotischen Neigungen deutlich verschlechterte. Dieses Leiden führte zunehmend zum Rückzug aus Gesellschaft und Politik.
"Diese Erkenntnis ist gleichermaßen neu und unerwartet, läßt sich aber an vielen Details gut belegen. Tatsächlich erstaunt mich das rege öffentliche Interesse, welches diesem Thema entgegengebracht wird", so Häfner. Häfner wird seine Arbeit über Ludwig II. nun in der Schriftenreihe der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, der Landesakademie Baden-Württembergs, ausführlich publizieren.
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der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
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Prof. Dr. Heinz Häfner
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Zu völlig neuen Erkenntnissen über die psychischen Verfassung von Ludwig II. kam Professor Heinz Häf ...
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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