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29.03.1999 08:15

Faszinierende Vorstellungen vom Weltuntergang

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Geschichte und Religionswissenschaften

    Einige Anhänger von Endzeitsekten erwarten zur Jahrtausendwende den Weltuntergang. Obwohl auch aus der Zeit um das Jahr 1000 vereinzelt Ängste vor dem Weltende überliefert sind, gab es damals viele Menschen, die mit verstärkter Frömmigkeit optimistisch in die Zukunft aufbrachen. Die Tübinger Wissenschaftler Prof. Wilfried Hartmann und Prof. Burkhard Gladigow zeichnen ein Stimmungsbild zur vergangenen und bevorstehenden Jahrtausendwende.


    Faszinierende Vorstellungen vom Weltuntergang

    Wie Jahrtausendwenden die Phantasie der Menschen beflügeln

    Wenn das Jahrtausend sich wendet, wird nach dem Glauben einiger Sekten die Welt untergehen. Nur die auserwählten Sektenanhänger werden erlöst. Die Vorstellung von der Rettung im Schweif eines Kometen oder durch Entrückung von einem Berggipfel bringt viele Menschen eher zum Schmunzeln, dennoch üben die Endzeitszenarien eine große Faszination aus. "Die Sekten sind vor allem in den USA angesiedelt und verbreiten ihre Untergangsvorstellungen einschließlich Anleitung zur Rettung immer häufiger im Internet, sie finden auch in Deutschland Resonanz", erklärt der Tübinger Religionswissenschaftler Prof. Burkhard Gladigow. Die Gruppen folgen mit der Vorstellung von Weltuntergang und Erlösung Auserwählter einem uralten Schema, auch die Deutung von Katastrophen als Vorzeichen dieses Ereignisses hat es schon mehr als tausend Jahre früher gegeben. "Hinter der Orientierung an den Tausenderzahlen steckt die Apokalypse des Johannis, wonach das Reich derer, die um Christi willen gelitten haben, tausend Jahre währen sollte", erklärt Gladigow. Später sei die Vorstellung von einer durch die Sünde mitalternden Erde ('die Ruinentheorie der Welt') hinzugekommen.

    Dennoch war bei der letzten Jahrtausendwende, als die tausend Jahre der Offenbarung vergangen waren, von Endzeitstimmung wenig zu merken. "Die Menschen waren nicht auf das Jahr 1000 fixiert, weil nicht sicher war, ob ab der Geburt oder dem Tod Christi gezählt werden sollte", erklärt der Mittelalter-Historiker Prof. Wilfried Hartmann von der Universität Tübingen.
    Außerdem überlagert sich diese Jahreszählung mit anderen Vorstellungen, wonach die Erde nur 6000 oder 7000 Jahre alt würde, von denen um das Jahr 800 schon 6000 Jahre abgelaufen waren. Seit dem achten Jahrhundert beschäftigten sich viele Mönche mit der Chronologie, schon wegen der Berechnung des Ostertermins, der jedes Jahr schwankt. Ob auch einfache Bauern die Jahre in gleicher Weise zählten, ist dagegen fraglich. "Gerade um das Jahr 1000 gab es kaum Vorzeichen wie Hungersnöte oder Pestausbrüche, die als Signal für den Weltuntergang gedeutet wurden. Im Gegenteil, es herrschte eine positive Aufbruchstimmung, es gab einen Aufschwung der Frömmigkeit", sagt Hartmann.

    Die Klöster hatten damals großen Zulauf. Aus allen Schichten gingen die Menschen auf Wallfahrt nach Jerusalem ins Heilige Land oder nach Rom. Vorstellungen vom Weltuntergang tauchten nur vereinzelt auf etwa mit der Prophetin Thiota um das Jahr 848, die auch unter den einfachen Bauern im deutschen Südwesten predigte und großen Eindruck hinterließ. Von einem "Endzeitfieber", das chiliastisch, das heißt an den Tausenderzahlen orientiert ist, sind eigentlich nur christlich geprägte Kulturen betroffen. "Es ist aber kurios, daß der erwartete Computercrash und die christliche Endzeitvorstellung zusammentreffen. Die christlichen Missionare haben es nicht geschafft, ihren Kalender überall zu verbreiten, nun schaltet ein veralteter Computerchip auch die anderen Kulturen zeitgleich", sagt Gladigow. (2992 Zeichen)

    Der Weltuntergang findet im Internet statt

    Die vergangene und bevorstehende Jahrtausendwende im Licht der Wissenschaft

    Zur Jahrtausendwende erwarten einige Sektenanhänger den Untergang der Menschheit und ihre Erlösung als Auserwählte. Sie verbreiten ihre Vorstellung vom Ende der Welt und die Anleitung zur Rettung der eigenen Gruppe vor allem im Internet. Das wirkt ganz modern, doch das Muster der Untergangsängste und Erwartungen ist alles andere als neu. Ähnliche Vorstellungen sind auch aus der Zeit um das Jahr 1000 bekannt. Zur vergangenen und bevorstehenden Jahrtausendwende äußern sich der Mittelalter-Historiker Prof. Wilfried Hartmann und der Religionswissenschaftler Prof. Burkhard Gladigow.

    Das neue Jahrtausend beginnt genau genommen am ersten Januar 2001. Für moderne Menschen im Computerzeitalter wird es schon ein Jahr früher spannend, zum magischen Datum 1.1.2000. Dann könnten die inneren Computeruhren mit den Nullen durcheinander kommen. Die Jahrtausendwende nennen auch verschiedene Sekten als Termin für den Weltuntergang, doch warum sind eigentlich die Tausendersprünge so aufregend? "Dahinter steckt die Apokalypse des Johannis, wonach das Reich derer, die um Christi willen gelitten haben, tausend Jahre währen sollte", erklärt Gladigow. Die mit dem neu anbrechenden Jahrtausend verbundenen Untergangsängste tauchen daher vor allem in christlich ausgerichteten Kulturen auf. "Kurios ist allerdings, daß der erwartete Computercrash und die christliche Endzeitvorstellung zusammentreffen. Die christlichen Missionare haben es nicht geschafft, den julianisch-gregorianischen Kalender überall zu verbreiten, nun schaltet zumindest ein veralteter Computerchip alle zeitgleich", sagt Gladigow. Auch die Endzeitsekten, die ihrem Kult im Internet nachgehen, haben einen christlichen Hintergrund. "Wie der Weltuntergang beim apokalyptischen Ende aussieht, wird nicht genau beschrieben. Die Rettung Auserwählter soll zum Beispiel von einem bestimmten Berggipfel aus erfolgen oder im Schweif eines Kometen", beschreibt Gladigow.

    Die Endzeitsekten sind vor allem in den USA zu finden. "Aber es gibt eine Resonanz weltweiter Erwartung. Diese Sekten verwandeln allgemeine Lebensangst in eine Art Weltangst", erklärt Gladigow. Die Anhänger werden durch die Vorstellung mobilisiert, daß nur errettet wird, wer zu der auserwählten Gruppe gehört. Als Vorzeichen für den Untergang können alle aktuellen Katastrophen gewertet werden, wie das Auftreten von Aids oder der Reaktorunfall in Tschernobyl. Sonnenfinsternis, Hungersnöte oder Pestausbrüche galten auch vor tausend Jahren schon als Vorzeichen des Weltuntergangs. "Doch gerade vor dem Jahr 1000 hat es kaum Zeichen gegeben, die sich als Ankündigung des Untergangs deuten ließen", sagt Hartmann. Die außenpolitische Lage war um das Jahr 1000 auffallend stabil: Die Ungarn, die von 850 bis 955 Landstriche in Lothringen und Oberitalien verwüstet hatten, waren besiegt und stellten keine Gefahr mehr dar. Die muslimischen Sarazenen waren seit Mitte des zehnten Jahrhunderts zurückgedrängt und das Byzantinische Reich hatte sich gefestigt.

    Dagegen gab es in den 790er Jahren mehrere schwere Hungersnöte, die als Vorzeichen des nahenden Weltendes interpretiert wurden. Denn in einer Vorstellung ging man davon aus, daß die Erde 6000 bis 7000 Jahre alt würde und um das Jahr 800 bereits ein Erdalter von 6000 Jahren erreicht sei. Diese Zeitrechnung beruhte auf dem Psalmenwort 90,4, nach dem 1000 Jahre einem Tag entsprachen, die Schöpfung dauerte sechs Tage und einen Ruhetag. Damit überlagerte sich die Zeitrechnung nach dem Leben Christi. Doch auch bei dieser Zählung waren sich die Chronologen nicht einig. "Man fand heraus, daß Christus nicht im Jahre 1, sondern früher geboren ist. Die tausend Jahre der Johannis-Offenbarung wären zum Beispiel nach Berechnungen des Mönches Abbo von Fleury, der im zehnten Jahrhundert an der Loire lebte, bereits 979 zu Ende gewesen", berichtet Hartmann. Andere, wie der Geschichtsschreiber Radolf Glaber, ein Mönch aus Burgund, nahmen an, daß die 1000 Jahre vom Tod Christi an zu zählen seien, also bis 1033. "Eine Fixierung auf das Jahr 1000 gab es nicht", faßt der Historiker zusammen. Die Zeitangabe von tausend Jahren könnte auch symbolisch gemeint sein, und überhaupt war den Christen die Erwartung der Endzeit wegen des Bibelwortes Matthäus 24,36, daß niemand Tag und Stunde des Weltendes wisse, immer präsent.

    "Um das Jahr 1000 herrschte keineswegs das Gefühl von Untergang und Ende vor. Im Gegenteil, es gab eher einen neuen Aufbruch, einen Aufschwung der Frömmigkeit. Der Zustrom zu den Klöstern war groß, viele Menschen aus allen Schichten reisten als Pilger nach Jerusalem ins Heilige Land, nach Rom oder Santiago. Die Gesellschaft war durch das Wallfahrtswesen und die recht offenen Strukturen nicht so statisch", beschreibt Hartmann die Zeit um die Jahrtausendwende. Großen Eindruck machte dagegen lange vor dem Jahr 1000 die Prophetin Thiota auf die Menschen im deutschen Südwesten. Nach einem Bericht aus den Fuldaer Annalen 848 verließen viele Bauern ihre Felder, um ihrer Predigt vom Weltende zuzuhören. "Die Prophetin wurde allerdings ausgepeitscht und durfte nicht mehr predigen", sagt Hartmann.

    In der Gesellschaft bestand damals ein tiefer Graben zwischen den Adligen einerseits und den unfreien, abhängigen Bauern andererseits. Die Verhältnisse waren jedoch noch nicht so starr wie im späteren Mittelalter. Über die kirchliche Laufbahn konnte beispielsweise ein Unfreier im elften Jahrhundert noch ins hohe Amt eines Bischofs aufsteigen. Es ist kaum anzunehmen, daß die Bauern damals mit dem Kalender lebten. Dagegen war den Mönchen durchaus bewußt, wo sie sich in der Zeitrechnung befanden. "Seit dem achten Jahrhundert hat man sich in den Klöstern eingehend mit der Chronologie beschäftigt, schon wegen der Festlegung des jährlichen Ostertermins. Dabei mußte berücksichtigt werden, daß der Jahresanfang nicht unbedingt auf den ersten Januar, sondern nach unterschiedlichen Zählungen auch auf den 25. Dezember oder den Monat März gelegt wurde", erklärt der Historiker.

    Ein einzelnes Zeugnis von Untergangsangst ist aus den 1020er Jahren überliefert. Damals soll es einen "Blutregen" in Frankreich gegeben haben, der sich von Holz abwaschen ließ, auf Stein aber haftete. Damals bat der französische König Robert der Fromme den Bischof von Chartres um Aufklärung. Bischof Fulbert sah jedoch keine besondere Gefahr, denn solche Blutregen habe es im ausgehenden sechsten Jahrhundert schon einmal gegeben. Es handele sich zwar um ein Zeichen, aber man wisse es nicht zu deuten. Heute wird das seltene Phänomen des Blutregens mit der Verwehung rötlichen Sands aus der Sahara erklärt.

    Die meisten Menschen sehen auch heutzutage die möglichen Vorzeichen eines Weltuntergangs so gelassen wie damals der Bischof von Chartres. "Wir kennen keine genauen Zahlen, aber es sind sicherlich nur sehr wenige Menschen, die ernsthaft an den Untergang glauben. Nach einer amerikanischen Untersuchung fühlen sich von den Endzeitsekten vor allem Menschen aus der unteren Mittelschicht angesprochen, die sich in einer schwierigen sozialen Lage befinden. Im Muster der jüdisch-christlichen Apokalyptik setzen ihre Anhänger dann für die Auserwählten nach der Katastrophe auf ideale soziale Bedingungen wie Brüderlichkeit und Gerechtigkeit", beschreibt Gladigow. Doch die Resonanz der Endzeitsekten reicht zugleich viel weiter. Die Faszination schlage sich vor allem auch in den Medien, in einer explosiven Zahl von Veröffentlichungen zu dem Thema nieder. "Viele Menschen sind fasziniert von der Vorstellung, was wäre, wenn die Untergangspropheten doch Recht hätten", meint Gladigow. (7562 Zeichen)

    Nähere Informationen:

    Prof. Wilfried Hartmann
    Historisches Seminar, Abteilung für mittelalterliche Geschichte
    Wilhelmstraße 36 (Hegelbau)
    72074 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 23 85
    Fax 0 70 71/29 59 05

    Prof. Burkhard Gladigow
    Seminar für Indologie und Verlgeichende Religionswissenschaft,
    Abteilung für Vergleichende Religionswissenschaft
    Corrensstraße 12
    72076 Tübingen
    Tel. 0 70 71/2 97 53 03
    Fax 0 70 71/60 02 95

    Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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