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08.04.1999 00:00

Zweihundert Überstunden auf dem Arbeitszeitkonto und dann Konkurs?

Claudia Braczko Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut Arbeit und Technik

    Unternehmen leben auf Kredit ihrer Beschäftigten - Prof. Dr. Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik, zur Notwendigkeit einer Absicherung von Arbeitszeitkonten

    Mit der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitszeiten richten immer mehr Betriebe Arbeitszeitkonten ein. Die Beschäftigten können ihre Überstunden ansparen und nach eigenen Vorstellungen mit Freizeiten, Langzeiturlauben oder sogar einem frühzeitigen Ruhestand "abfeiern"; die Arbeitgeber können den Personaleinsatz je nach Auftragslage bemessen und sparen die teuren Überstundenzuschläge. Geht das Unternehmen in Konkurs, verlieren die Beschäftigten nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern häufig auch ihr Arbeitszeitguthaben. "Arbeitszeitkonten müssen deshalb dringend besser abgesichert werden, durch die Einzahlung der Wertguthaben in Fonds oder gemeinsame Kassen der Sozialpartner, durch Bankbürgschaften oder Versicherungen" fordert der Arbeitsmarktforscher Prof. Dr. Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen).

    Flexible Jahres- oder Mehrjahresarbeitszeiten können leicht zu Plusbeständen von mehreren hundert Arbeitsstunden führen. Bei Arbeitszeitmodellen, in denen Freistellungen im Alter oder Sabbaticals aus Arbeitszeitkonten bestritten werden, können die Kontenbestände sogar ein Mehrfaches der Jahresarbeitszeit ausmachen. Es geht also um Guthaben der Beschäftigten zwischen einigen tausend Mark bis in Einzelfällen über 200 000 DM. In vielen Betrieben wurden in den letzten Jahren beim Wiederanziehen der Konjunktur große Bestände aufgebaut, eine ganze Reihe von Unternehmen lebt auf Kredit ihrer Beschäftigten und würde bei Auszahlung jetzt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten oder müßte sogar Konkurs anmelden. Besonders virulent ist dieses Problem bei mittleren und kleineren Betrieben.

    Nach gegenwärtigem Konkursrecht besteht im Insolvenzfall keine gesetzliche Absicherung von Gehaltsansprüchen aus positiven Arbeitszeitkonten. Es gibt lediglich eine allerdings sehr weiche Regelung zum Insolvenzschutz, nach der die Vertragsparteien "Vorkehrungen" treffen sollen, damit bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die Wertguthaben einschließlich des Arbeitgeberanteils an der Sozialversicherung ausgezahlt werden können. Diese Verpflichtung greift allerdings nur bei Arbeitszeitguthaben bis zu drei Monaten, für die eine Frist zum zeitlichen Ausgleich von bis zu 27 Monaten vereinbart wurde. Höhere Arbeitszeitguthaben, die innerhalb von 27 Kalendermonaten ausgeglichen werden sollen, brauchen damit nicht abgesichert werden.

    "Wenn es zu einer größeren Anzahl von Insolvenzfällen käme, bei denen Beschäftigte nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch noch ihren Arbeitszeitkredit an das Unternehmen verlören, wäre die Flexibilisierung der Arbeitszeit sehr schnell diskreditiert" warnt Bosch. Dies wäre für die Unternehmen negativ, da schwankende Arbeitszeiten für sie wieder teurer würden. Die Beschäftigten hätten weniger Möglichkeiten, Arbeitszeitguthaben zu attraktiven Freizeitblöcken zu bündeln. "Schließlich hängt die Akzeptanz von Lebensarbeitszeitmodellen davon ab, daß die Beschäftigten sich darauf verlassen können, daß ihre über Jahre aufgebauten Ansprüche auch sicher sind", so Bosch.

    In einer Reihe von Branchen und Unternehmen hat man Lösungen zur Absicherung von Arbeitszeitguthaben gefunden: Hewlett-Packard hat bereits in den siebziger Jahren als eines der ersten Unternehmen in Deutschland flexible Jahres- und Lebensarbeitszeiten eingeführt. Die Zeitguthaben der Mitarbeiter werden in externe Fonds ausgelagert, die treuhänderisch verwaltet werden und für den Insolvenzfall vor einem Zugriff Dritter gesichert sind. Gegenwärtig haben die HP-Beschäftigten im Durchschnitt ein Guthaben von drei Monatsgehältern. Im Bauhauptgewerbe wurde tarifvertraglich vereinbart, daß Arbeitszeitkonten durch Bankbürgschaften, Sperrkonten mit treuhänderischen Pfandrechten oder Hinterlegung bei der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft abgesichert werden müssen. Eine weitere Möglichkeit ist der Abschluß von Versicherungen, wobei die Versicherungsgesellschaft individuell das Risiko abschätzt und danach die Prämien bemessen kann.

    "Auf "freiwillige Selbstverpflichtungen" zur Absicherung der Arbeitszeitkonten gegen Insolvenz darf man hier nicht warten", so Bosch. Bei größeren Unternehmen, die häufig Vorreiter bei der Flexibilisierung auch über sehr lange Zeiträume sind, ist das Insolvenzrisiko zwar zu vernachlässigen und auch die normalen Gleitzeitregelungen, bei denen die Konten kurzfristig ausgeglichen werden müssen, stellen kein Problem dar. Aber gerade Klein- und Mittelbetriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten können dazu neigen, die Vorteile der Arbeitszeitkonten zu nutzen und die mit "kostenloser Mehrarbeit" dann doch nicht gelösten Probleme nach dem Konkurs auf den Rücken der Beschäftigten abzuwälzen. "Die Absicherung von Arbeitszeitkonten muß deshalb gesetzlich oder tarifvertraglich geregelt werden. Welche Lösung gewählt wird muß von der Einfachheit des Verfahrens abhängen. Nur so kann gewährleistet werden, daß die Betriebe diese Regelungen auch anwenden," so Bosch.

    Für weitere Fragen steht
    Ihnen zur Verfügung:
    Prof. Dr. Gerhard Bosch:
    Durchwahl: (02 09) 1707-147


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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