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08.06.1999 19:02

Über André Gide, Felix Paul Greve und die Globalisierung der Literatur

Dr. Manfred Leber Pressestelle der Universität des Saarlandes
Universität des Saarlandes

    Anläßlich der Saarbrücker Ausstellung und Buchvorstellung über André Gide und Felix Paul Greve ('Je vous écris, en hâte et fiévreusement': André Gide und Felix Paul Greve. Korresondenz und Dokumentation in der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek vom 10. Juni bis 16. Juli ein Gespräch mit Klaus Martens, Professor für Nordamerikanistik: Auf den Spuren literarischer Wechselbeziehungen zwischen Nordamerika und Frankreich, Deutschland und Nordamerika, Frankreich und Deutschland ...

    campus: Herr Professor Martens, Ihre neuesten Forschungsergebnisse zu Felix Paul Greve, der in seinem "zweiten Leben" als Frederick Philip Grove zu einem namhaften Vertreter der Kanadischen Literatur wurde, bringen mit der Darstellung der frühen Bekanntschaft mit André Gide nun noch einen wirklichen weiteren Schriftsteller ins Spiel - und nicht den Unbedeutendsten. Was hat der Anglist Martens der Gide-Forschung der Romanisten zu sagen?

    Prof. Martens: Lieber Herr Leber, was verstehen Sie unter einem wirklichen weiteren Schriftsteller? Mit den unwirklichen hat es noch Zeit, die virtuellen Autoren haben schon fast überwirklichen Status. Aber, Spaß beiseite, als die Doppelperson Felix Paul Greve (Deutschland) und Frederick Philip Grove (Kanada) ist FPG natürlich in der Interaktion mit jenen ebenfalls höchstwichtigen Autoren zu betrachten, die er als Essayist und Übersetzer vermittelt hat und damit zu internationalem Ansehen verhalf. Zu diesen Autoren zählt - neben H.G. Wells, George Meredith u.a. - vor allem André Gide. FPG und Gide standen zwischen 1903 und 1909 in enger persönlicher und beruflicher Beziehung zueinander. Die von Frau Dr. Ernst und mir zum ersten Mal vollständig (soweit erhalten und überprüfbar) und in französischer Sprache jetzt veröffentlichte Korrespondenz hilft allen Interessierten dabei, neue Einblicke in diese für beide Autoren entscheidende Phase zu gewinnen. Nicht nur der angesehene Kanadier blickte mehrfach auf die frühe Beziehung zu Gide zurück, sondern auch der weltberühmte französische Autor gedachte in seinen Schriften und Tagebuchaufzeichnungen seines frühen Korrespondenten. Ich vermute, daß Gide sich darüberhinaus die eindrucksvolle Gestalt Greves für seine literarische Produktion zunutze gemacht hat. Neben der Korrespondenz drucken wir auch zum ersten Mal den langen handschriftlichen Journaleintrag Gides über sein erstes Treffen mit FPG ab und geben unserem Buch weitere Dokumente sowie zwei Essays in deutscher und englischer Sprache bei. Wir bieten also ein dreisprachiges Buch an, wie es dem mehrkulturellen Thema angemessen ist.

    campus: Bei allem scheint mir die Frage nach Realität und Virtualität gerade bei der Doppelexistenz des FPG nicht ganz trivial zu sein. Wie dem auch sei, es scheint, daß Sie einem hintergründigen Netzwerk literarischer Wechselbeziehungen auf der Spur sind - anhand des Beispiels Gide/Greve zwischen Frankreich und Deutschland einerseits und anhand des Beispiels Greve/Grove zwischen Europa und Amerika andererseits?

    Prof. Martens: Die Mitarbeiter meiner Arbeitsstelle zu Fragen der "Vermittlung von Weltliteratur" und ich gehen seit 1990 den Spuren literarischer Wechselbeziehungen zwischen Europa und Nordamerika nach. Es geht uns also nicht allein um die Beziehungen Frankreich-Deutschland, sondern auch um jene zwischen Nordamerika und Frankreich, Deutschland und Nordamerika. Die institutionell und personal beschrittenen Vermittlungswege sind in der Tat oftmals verschlungen und führen beinahe immer über mehr als zwei Länder. Der Fall FPG-Gide ist allerdings ein besonders interessantes und bislang kaum erforschtes Beispiel. Wir stellen zunächst das Material zur weiteren Erforschung bereit, an der wir uns aber gewiß weiterhin nach Kräften beteiligen werden.

    campus: Globalisierung ist eines der großen Schlagworte unserer Zeit. Normalerweise versteht man darunter die zunehmende Verflechtung rund um den Globus auf dem Gebiet der Wirtschaft. Hat in der Literatur die Globalisierung schon eher begonnen?

    Prof. Martens: Ja. Wir kommen über national- und kanonisch beeinflußte Konzepte wie "Weltliteratur" ein Stück hinaus und verfahren auch nicht mehr klassisch komparatistisch, so wichtig dieser Ansatz bleibt. Vielmehr geht es uns darum, die Wirkungsweisen vorwiegend lokal "aufgeladener" Literatur und auch die Wege ihrer Vermittlung bzw. Ausstrahlung auf weitere, durchaus global angesiedelte, Rezipienten auszumachen. Natürlich sind solche Entgrenzungen besonders gut im englischsprachigen Bereich zu untersuchen, aber auch in der Wirkung dieses Bereichs auf anderssprachige Teile der Welt. Die Mehrsprachigkeit unsereres Standortes im Saarland ist uns dabei von Nutzen.

    campus: Im Herbst laden Sie zu einem Tag der internationalen Dichtung ein, bei dem auf einer Schiffahrt nach Saargemünd Dichter aus aller Welt aus ihren Werken vortragen werden. Eine neue Form der Literaturvermittlung made in Saarbrücken?

    Prof. Martens: Unser "Tag der internationalen Dichtung", der am 24. Oktober 1999 von einer Bootsfahrt mit vielen Lesungen und Musik nach Sarreguemines eingenommen werden wird, ist der Schluß einer hoffentlich interessanten Woche, die der Dichtung gewidmet sein wird. Die Woche beginnt mit Lesungen einiger der etwa 12 international angesehenen Poeten (auch aus Deutschland), die vom 18. bis 22. Oktober 1999 an verschiedenen Orten der Stadt und in einer Schule (Gymnasium am Schloß). Wir möchten damit - wie auch mit dem "Tag" - unsere Verbundenheit und unser Bemühen um die ja bereits anläßlich des Walcott-Besuches im letzten Jahr begonnene Zusammenarbeit zwischen Stadt, Land und Universität weiterführen und intensivieren. Zwischen beiden Veranstaltungen liegt unser international ausgeschriebenes und mit bislang 34 Vorträgen und Lesungen von hervorragenden Teilnehmern aus vielen Ländern schon sehr gut besuchte Symposium vom 22. bis 23. Oktober 1999 mit dem Titel "A World of Local Voices: Poetry in English Today". Ich glaube, daß mit der einwöchigen Gesamtveranstaltung vielen die Gelegenheit gegeben wird, sich integrativ und interaktiv mit der Theorie und Praxis und der Rolle von Dichtung in unserer Zeit zu beschäftigen. Wir werden zugleich ausgewählte Texte von Mitwirkenden in zwei angesehenen Zeitschriften und in der ersten Ausgabe unseres Internet-Literaturmagazins Stimmen veröffentlichen. Sie sehen, wir meinen es weiterhin ernst mit der Literatur als Kultur, und wir werden versuchen, solche Veranstaltungen - auch in Zusammenarbeit mit Partnern in Hannover, München und anderswo - in Saarbrücken weiterzuführen. Weitere Partner sind uns willkommen.

    campus: Kulturwissenschaft gilt derzeit sowohl allgemein als auch insbesondere hier an unserer Universität als Schlüsselbegriff für eine Erneuerung der Geisteswissenschaften. Wie sehen Sie diese Entwicklung und wie die Rolle Ihrer eigenen Forschung und Lehre darin?

    Prof. Martens: Literaturwissenschaft ist ein - und vielleicht der bedeutendste - Teil der Kulturwissenschaft. Sie bezieht bei uns in Saarbrücken seit Jahren die neuen Medien, die Texte abbilden und verfügbar machen, mit ein. Ich hoffe dennoch, daß mit der Betonung des kulturellen der philologische Aspekt nicht geschwächt wird. Die Nordamerikanistik hat mit der Vielseitigkeit ihrer Gegenstände und der von ihr betrachteten Kulturen schon von jeher einen äußerst breit gefächerten Themenkatalog zu bearbeiten, der geradezu unvermeidlich kulturvergleichend orientiert ist. Die Nordamerikanistik ist eines der vergleichweise "jungen" Fächer", die schon von ihrer Auslegung her kulturwissenschaftlich arbeiteten. Wir werden dies ausbauen, wenn man uns läßt. Bis jetzt haben sich Universität, Stadt und Ministerium, aber auch unsere internationalen Freunde, besonders in Kanada, als zuverlässige Partner erwiesen. Wir wollen das auch für sie sein.

    Interview: Dr. Manfred Leber


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-sb.de/philfak/fb8/fr83/aktuell.htm


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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