idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
29.11.2001 00:00

CFC revolutioniert Werkstückträger für Hochtemperaturprozesse

Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Axel Storz Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fraunhofer-Technologie-Entwicklungsgruppe

    Gestelle und Werkstückträger sind in der Wärmebehandlung geradezu "feindlichen" Bedingungen ausgesetzt. Hohe Temperaturen, große Gewichtsbelastungen und aggressive Medien führen häufig zu Maß- und Formänderungen sowie Versprödung des Materials. Die Fraunhofer-Technologie-Entwicklungsgruppe (TEG), Stuttgart, hat mit der Entwicklung neuartiger Leichtgestelle aus CFC und CSiC eine Möglichkeit gefunden, diese Defizite zu reduzieren und gleichzeitig das Automatisierungspotenzial in Hochtemperaturprozessen deutlich zu erhöhen.

    Gestelle werden nach DIN 6300 bezeichnet als "Fertigungshilfsmittel, die an Werkstücke gebunden sind und unmittelbar in Beziehung zum Arbeitsvorgang stehen. Sie dienen dazu, die Werkstücke zu positionieren und zu halten". Per definitionem haben sie somit einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Qualität der Arbeitsprozesse und der Endprodukte. Doch herkömmliche Gestelle aus hitzebeständigem Stahl oder Stahlguss sind den extremen Randbedingungen in Wärmebehandlungsprozessen wie hohen Temperaturen, ständigen Kalt-Heiß-Wechseln, aggressiven Medien und Reaktionsatmosphären oft nicht gewachsen.
    "Einer der großen Nachteile ist die starke Maß- und Formänderung, die bei der Erhitzung auftritt", erläutert Dipl.-Ing. Jörg Demmel, stellvertretender Leiter der Abteilung Produktionsprozesse bei der Fraunhofer TEG. Dafür verantwortlich ist die relativ niedrige Hochtemperaturfestigkeit des metallischen Materials verbunden mit der zusätzlichen Belastung durch das Gewicht der Werkstücke. Erfolgt im Rahmen der Wärmebehandlung eine rasche Abkühlung des Werkstoffs, zum Beispiel mit Öl als Abschreckmedium, werden die Verformungen quasi "eingefroren". Letztendlich kann das Gestell die Werkstücke nicht mehr positionsgerecht aufnehmen oder passt im Extremfall nicht mehr in den Hochtemperaturofen. Hinzu kommt eine rasche Versprödung herkömmlicher Gestellmaterialien durch Anreicherung mit Kohlenstoff und Stickstoff, Kriechvorgänge und die thermische Ausdehnung während der Wärmebehandlungsprozesse.
    "Ein weiteres Manko ist die hohe Dichte des Materials", so Demmel weiter, "denn dadurch weisen herkömmliche Chargen oft ein beträchtliches Gewicht auf." Dies erschwert nicht nur die Handhabung, sondern erhöht auch die Prozesszeiten sowie Energiekosten und schränkt die Möglichkeiten einer Automatisierung ein. Zudem erfolgt die Positionierung der Werkstücke durch Maßänderungen der Gestelle oft unpräzise oder ungleichmäßig, was wiederum Auswirkungen auf die Qualität des Arbeitsvorgangs und des Endprodukts hat.

    Hervorragende mechanische und thermische Eigenschaften

    Um diese Defizite zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren, beschäftigt sich die Fraunhofer TEG seit geraumer Zeit mit der Entwicklung neuartiger Leichtgestelle aus Faserverbundkeramiken wie CFC oder CSiC (kohlenstofffaserverstärkter Kohlenstoff oder Siliciumcarbid). Carbon Fibre reinforced Carbon, kurz CFC oder C/C, wurde ursprünglich als Bestandteil für Hitzeschutzschilder in der Luft- und Raumfahrt entwickelt. Wegen seiner hervorragenden mechanischen und thermischen Eigenschaften entdeckten die Fraunhofer-Ingenieure das Material auch für Werkstückträger und Gestelle in der Industrie. "Vor allem in Wärmebehandlungsprozessen können mit dem Einsatz von CFC erhebliche Verbesserungen etwa im Bereich der Prozessqualität oder der Automatisierung erzielt werden", ist Dipl.-Ing. Jörg Demmel überzeugt. Dies zeigte auch eines der ersten Praxis-Projekte der Fraunhofer TEG auf diesem Gebiet.
    "Wir erhielten den Auftrag, einen völlig neuartigen Chargenaufbau für das Vergüten von Sechskantwinkelschlüsseln zu entwickeln", erinnert sich Dipl.-Ing. Harald Lallinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraunhofer TEG. Auftraggeber war die Firma Wiha, einer der führenden Anbieter von Werkzeugen. Der Einsatz des CFC-Werkstoffs ermöglichte hier aufgrund seiner Eigenschaften erhebliche Verbesserungen in der Prozess- und Produktqualität. "CFC kann im Vakuum oder unter Schutzgasen wie Stickstoff bei Temperaturen bis zu 3000°C eingesetzt werden und hält dabei seine Form", nennt Lallinger einen der großen Vorzüge des Materials. Es verfügt über eine hohe Temperaturwechselbeständigkeit und weist im Gegensatz zu Stahl eine etwa 20fach bessere Hochtemperaturfestigkeit auf. Während sich Stahl bei einer Erwärmung von 20°C auf 1000°C etwa 10 bis 20 Millimeter pro Meter ausdehnt, ändert CFC seine Form in Faserrichtung um gerade mal einen Millimeter. Ein weiterer Vorteil liegt zudem in der hohen Schadenstoleranz des Faserverbundwerkstoffs. "Im Gegensatz zu monolithischer oder unverstärkter Keramik bricht das Material nicht sofort und spröde, sondern weist ein pseudoplastisches Bruchverhalten auf", so Lallinger weiter. Grund ist die Faserverstärkung, durch welche Spannungen besser aufgenommen werden können und die Bruchzähigkeit soweit erhöht wird, dass CFC sogar nagelbar ist. Außerdem besitzt der Werkstoff eine relativ geringe Dichte, im Vergleich zu Chrom-Nickel-Stahl bis zu fünfmal niedriger. Folge: Werkstückträger und Gestelle aus CFC sind wesentlich leichter und damit auch besser zu transportieren und zu handhaben.
    Für die Firma Wiha ergaben sich schließlich folgende Vorteile bzw. Ergebnisse aus der Verwendung des neuen Chargen-Werkstoffs:

    - Die Werkstückträger erlauben aufgrund ihres niedrigeren Gewichts eine Mehrbeladung um 70 Prozent. Dies führt, bedingt durch eine Verlängerung der Durchführungszeit um 20 Prozent, insgesamt zu einer um etwa 50 Prozent gesteigerten Prozessauslastung.
    - Die gerade und gleichmäßige Anordnung der Werkstücke gewährleistet eine stets gleichbleibende Qualität, weniger Verzug und bessere Werkstoffeigenschaften.
    - Durch die Anordnung der Werkstücke auf verzugsfreien Werkstückträgern ist eine automatische Be- und Entladung der Gestelle mittels Spezialgreifer möglich. Die zeitaufwendige manuelle Chargiertätigkeit wird reduziert.

    Hinzu kommt, dass CFC über eine weitaus bessere Wärmeleitfähigkeit als etwa Stahl verfügt. Das Material nimmt Wärme sehr schnell auf, gibt sie schnell wieder ab und beeinflusst das Werkstück beim Wärmebehandeln kaum. Demmel: "Fasst man all diese Aspekte zusammen, konnten wir mit Hilfe des neuen Werkstoffs eine enorme Qualitätsverbesserung erreichen."

    Modulares Werkstückträger-System

    In besonderem Maße kamen das Know-how und die Kompetenz der Fraunhofer TEG auf diesem Spezialgebiet auch der Firma Modine zugute, einem der weltweit führenden Zulieferer von Wärmetauscher-Systemen für Fahrzeuge, Gebäude sowie Gelände- und Industrieausrüstung. Das international tätige Unternehmen stellt im Werk Filderstadt-Bernhausen bei Stuttgart unter anderem Ölwärmetauscher für die Kühlung von LKW-Bremsen her. Während der Produktionsphase durchlaufen die Wärmetauscher einen Hochtemperaturofen, in dem sie unter Vakuum hartgelötet werden. "Aufgrund der hohen Temperaturen und der starken Gewichtsbelastung kam es hier immer wieder zu erheblichen Verformungen der alten Werkstückträger", erläutert Dipl.-Ing. Demmel. Die Experten der Fraunhofer TEG konzipierten daher einen völlig neuartigen modularen Gitter-Etagenrost aus CFC, der sich insbesondere für das Tragen hoher Lasten eignet.
    Das Gitter besteht aus einzelnen, mindestens 40 Millimeter hohen CFC-Stegen, die in Steck-Bauweise miteinander verbunden werden. Zwischen den Gittern befinden sich einteilige, verzugsarme Pfosten, die ebenfalls zusammengesteckt werden. "Mit diesem System konnten wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen", führt Demmel aus. Zum einen ist die Durchbiegung des Gitters aufgrund der hochkant stehenden Stege wesentlich geringer als beispielsweise bei einem einteiligen Führungsrost. Zum anderen erlaubt die modulare Bauweise ein einfacheres Handling beim Be- und Entladen und beschädigte Teile können jederzeit einfach und kostengünstig ausgetauscht werden. Weitere Vorteile sind:

    - Eine Gewichtsreduzierung des Gestells von etwa 600 auf 150 kg. Demmel: "Jeder Rost wiegt nur ca. fünf bis acht kg bei einer Tragfähigkeit von 400 kg. Ein Stahlrost, der mit der selben Menge an Gewicht beladen werden kann, würde dagegen rund 80 Kilogramm auf die Waage bringen."
    - Eine Erhöhung der Nettobeladung von 50 Prozent auf etwa 80 bis 90 Prozent des Gesamtgewichts.
    - Eine um 70 Prozent gesteigerte Prozessauslastung bei einer Verlängerung der Prozesszeit um ca. 20 bis 30 Prozent.
    - Eine geringere Wärmeaufnahme und -abgabe der Charge und daraus resultierend eine Reduzierung des Energieverbrauchs
    - Weniger Lotanhaftungen an den Gestellen

    "CFC-Gestelle können zudem unter Vakuum oder in Schutzgasatmosphären bis hin zu fünf Jahren bzw. etwa 10.000 Betriebsstunden verwendet werden", nennt Fraunhofer TEG-Mitarbeiter Lallinger einen weiteren Pluspunkt. Die Lebensdauer von Stahlgestellen liegt je nach Einsatz bei etwa 1000 bis 2000 Betriebsstunden. Allerdings ist auch dieser Werkstoff nicht in allen Fällen ohne weiteres einsetzbar.

    Anwendungsfelder von CSiC und Oxidkeramik

    "Problematisch kann es beispielsweise werden, wenn CFC bei Temperaturen um etwa 1100°C bis 1300°C mit Metallen wie Aluminium, Cobalt und Molybdän oder auch Stahl und Eisen in Kontakt kommt", weist Dipl.-Ing. Demmel hin. Dabei können so genannte Phasengrenzreaktionen auftreten, und es erfolgt ein Übertrag von Kohlenstoff auf das Werkstück, wodurch dieses hart und brüchig wird. "Um eine Diffusion sicher auszuschließen, verwenden wir Beschichtungen vor allem aus Oxidkeramik", erklärt der Experte. "Manchmal reicht aber auch schon eine Zwischenlage in Form eines Keramikplättchens oder einer -hülse zwischen Gestell und Werkstück." Da CFC aus Kohlenstoff besteht, kommt es zudem unter Sauerstoff oberhalb etwa 400°C zur Oxidation. Die Folge ist eine mechanische Schwächung des CFC-Werkstoffs. Den gleichen Effekt haben Wasser und CO2 bei etwa 700°C. Um eine Oxidation von CFC zu vermeiden, sollte also darauf geachtet werden, möglichst wenig Sauerstoff oder nur Reaktionsgase mit einem niedrigen Taupunkt von etwa 0°C zuzulassen.
    Doch auch für Prozesse, die unter Sauerstoff-Atmosphäre stattfinden, haben die Fraunhofer Experten bereits Alternativen entwickelt. So wurden mit der Verwendung der CSiC-Faserkeramik äußerst positive Ergebnisse erzielt. "Dieses Material ist weitaus oxidationsbeständiger als CFC, da sich der Werkstoff durch Verglasung selbst schützt", so TEG-Mitarbeiter Lallinger. Bei diesem Vorgang, der auch als passive Oxidation bezeichnet wird, bildet sich auf der Oberfläche eine SiO2-Schicht, die als Diffusionssperre wirkt und das Eindringen des Sauerstoffs verhindert. "Faserverbundkeramiken auf SiC- oder oxidkeramischer Basis eröffnen gerade bei Anwendungen, die bisher aufgrund oxidierender Atmosphären nicht unter Verwendung von CFC durchgeführt werden konnten, hervorragende Alternativen", ist sich Demmel sicher.

    Optimierungs- und Kostensenkungspotenziale

    Die Kompetenz der Fraunhofer TEG verbunden mit mehrjährigen Erfahrungen aus erfolgreichen Praxiseinsätzen gewährleisten, dass die Stuttgarter Entwickler für jede Anwendung den optimalen und kostengünstigsten Leicht-Werkstückträger konzipieren. Und auch, wenn CFC im Vergleich zu anderen Materialien sehr teuer erscheinen mag, "aufgrund der höheren Lebensdauer und der verbesserten Prozessqualität amortisieren sich die Mehrkosten für den Werkstoff sehr schnell", führt Dipl.-Ing. Demmel aus. Hohe Wirtschaftlichkeiten mit Amortisationszeiten unter zwei Jahren sind heute bereits in vielen Fällen erreichbar. So reduzierten sich die Kosten der Firma Wiha durch die höhere Beladung, das einfachere Chargieren und das leichtere Entnehmen der Werkstücke um rund 175.000 DM pro Jahr. Die Anschaffungskosten für zehn Chargenkörbe belaufen sich auf 200.000 DM. "Damit sind die Investitionskosten bereits nach 1,2 Jahren vollständig ausgeglichen", rechnet der Fraunhofer Experte vor. "Und die ersten Chargen sind bereits seit drei Jahren im Einsatz ohne Verschleißungserscheinungen thermischer oder mechanischer Art aufzuweisen."
    Daneben hat die Fraunhofer TEG mit dem Einsatz von Leichtgestellen aus CFC oder CSiC eine Möglichkeit für sichere, automatisierte Prozesse sowie für eine bessere materialflusstechnische Integration der Wärmebehandlung in die Fertigungskette gefunden. Damit eröffnen sich bisher ungenutzte Optimierungs- und Kostensenkungspotenziale. Denn durch den Einsatz der neuen Chargen kann der komplette Produktionsablauf von der Weichbearbeitung über die Wärmebehandlung in Vakuummehrkammeranlagen bis hin zur Hartbearbeitung automatisiert werden. Das Unternehmen spart dabei Zeit und Personal und kann die Wärmebehandlung geschickt in den Gesamtprozess integrieren.

    Marion Hiltl

    Ansprechpartner Fraunhofer TEG
    Dipl.-Ing. Jörg Demmel
    Nobelstraße 12
    70569 Stuttgart
    Tel.: +49 (0) 711/9 70-3621
    Fax: +49 (0) 711/9 70-3997
    http://www.teg.fhg.de
    e-mail: jrd@teg.fhg.de


    Bilder

    Pseudoplastisches Bruchverhalten von CFC
    Pseudoplastisches Bruchverhalten von CFC

    None

    Modulares CFC-Werkstückträgersystem für das Vakuumlöten von Wärmetauschern (Firma Modine)
    Modulares CFC-Werkstückträgersystem für das Vakuumlöten von Wärmetauschern (Firma Modine)

    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Maschinenbau, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Pseudoplastisches Bruchverhalten von CFC


    Zum Download

    x

    Modulares CFC-Werkstückträgersystem für das Vakuumlöten von Wärmetauschern (Firma Modine)


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).