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09.12.1998 14:17

Greifswald als Wiege großer Gelehrter

Dr. Edmund von Pechmann Hochschulkommunikation
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

    Im letzten Jahrhundert: da war alles viel besser? Warum zog Greifswald damals so viele junge brillante Gelehrte an? Wie lebten und forschten sie? Eine Ehrung für Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff am 22. Dezember 1998.

    Noch immer keiner berühmter
    Vorweihnachtsymposion zu Ehren von »Greifswald und Wilamowitz«

    Von seiner Villa Mowitz nach Greifswald, das heißt von Illinois nach Pommern wird reisen: Prof. Dr. William M. Calder III. Die Tagung, die er mitanregte, endet am 22. Dezember, dem 150. Geburtstag seines verehrten und von ihm selbst meisterforschten Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff. William Calder ist einer der Pioniere, der die Altertumswissenschaftlergeschichte erforscht. An Wilamowitz kam er darum nicht vorbei. Niemand kommt an ihm vorbei. Und wenn jener seine Carrière auch in Berlin enden ließ, nachdem oft die Kaisersgemahlin ihm in Vorlesungen gelauscht hatte wie viele der Gesellschaft, so hatte er sie doch in Greifswald angefangen. Zumindest als Ordinarius ab 1876 bis zu seinem Wechsel nach Göttingen 1883.
    Auch UWM wollte alles wissen, nicht über sich, sondern über das Altertum. Alles, was es gab, sammelte er, schrieb er auf, begutachtete er, verwob er untereinander. Historisch-positivistisch nennt ihn Prof. Gregor Vogt-Spira, unser Latinist. In dem von ihm geleiteten Institut für Altertumswissenschaften finden sich die vier Disziplinen wieder, mit deren Hilfe Wilamowitz-Moellendorff die Antike erkannte: Archäologie, Alte Geschichte (die er zwei Jahre gleichzeitig zu seiner Professur als Klassischer Philologe in Greifswald vertrat), Graezistik, Latinistik. Wilamowitz fand den Weg vom leicht in's Romantisieren geratenden Klassizismus zum Historismus. Haltlose Spekulationen waren ihm ein Graus. Seinen vier Nachfolgern heute in Greifswald ebenso, die »kulturwissenschaftlich« forschen und das Altertum mit Phantasie beleben. Das »Totalitätsideal« der Kulturwissenschaft hatte auch Wilamowitz schon verwirklicht, das theorielastigen Literaturwissenschaftlern etwa noch bevorstehen mag. Der Horizont habe sich gegenüber der Zeit des Jubilars geweitet, sagt Prof. Vogt-Spira, neue Paradigmata weisen weit über das 19. Jahrhundert hinaus. Heute sieht man das Früher sozialgeschichtlich, kümmert sich um »Mündlichkeit« und »Schriftlichkeit« von Zeugnissen, den Einfluß und Einsatz von »Medien«, also Reden, Epitaphen, Schriften. Aber auch der Jubilar griff damals schon in diese Richtung.
    Wo »Herta Gefke« ihr Unwesen in Form einer Kinder(zwangs)aufbewahranstalt trieb und heute »Quarks« tobt, wohnte und las Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff - Karl(s)(Marx)-Platz/Ecke Lange Straße. Auch heute könne man ihn noch mit Gewinn und Genuß lesen, erzählt Markus Dubischar, der mit seinem dank Berufung nach München »entwichenen« Doktorvater Prof. Martin Hose die Konferenz im späten Advent vor Ort mitorganisiert (zusammen mit den Profs. Calder und Vogt-Spira). Vom 19. bis zum 22. 12. treten 32 Redner mit Beiträgen auf, die das Leben und Wirken von Wilamowitz in seinen acht Greifswalder Jahren beleuchten.
    Vor 17 Jahren, zu seinem 50. Todestag, faßte William Calder schon einmal den Forschungsstand vor allem des alten Altertumsforschers WM in einem Buch zusammen; nun, im Dezember, geht es den Organisatoren um den jungen: wie war es damals für einen jungen Professor in Greifswald, der Nursery of Great Scholars, der Wiege großer Geister, die weiterzogen und woanders richtig berühmt wurden wie Julius Wellhausen oder Otto Seeck, Hermann Usener, Robert Schöll, Edmund Hiller, Franz Bücheler oder Matthias Gelzer? Wie waren die wissenschaftspolitischen Bedingungen damals - lassen sich Strukturanregungen für heute ableiten? Wie half er sich selbst forschungspolitisch, da er leicht mit seinen vehement vorgetragenen Neuerungen bei Kollegen aneckte, etwa indem er als Philologe in der Alten Geschichte forschte. Half die Heirat mit Marie Mommsen, der Tochter des berühmtesten Historikers, überhaupt? Warum wurde er nicht nach Bonn, sondern Göttingen wegberufen? Lag das an Kollegenärger? Und warum wurde er dann doch später so berühmt, daß ihm Keiner gleichkommt? Weil er wohl die großen Freiheiten von Greifswald zu nutzen wußte, wie in einem Ideenlaboratorium wirkte und Verkrustungen, eine nach der anderen, abhob - die heutigen Altertumswissenschaftler in Greifswald stehen ihm da nicht nach. Als er 1922 emeritiert wurde, empfand er das als arge Beschneidung - und las bis 1929, zwei Jahre vor seinem Tod, immer noch Neues, so wie er auch in jedem seiner 900 Bücher und Aufsätze sich nie wiederholte. Darin mag er wohl jedem Vorbild sein.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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