Das frühneuzeitliche Europa ist gekennzeichnet durch eine enorme Zunahme von Mobilität, auch, aber nicht allein bedingt durch bessere Verkehrswege und technische Neuerungen seit dem Ausgang des Mittelalters. Religion konnte sich einerseits hemmend auf solche Mobilitätsprozesse auswirken; für Angehörige bestimmter Glaubensrichtungen galten etwa vielerorts strikte Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen. Andererseits konnten religiöse Beweggründe raumbezogene Mobilität aber auch befördern, ja zum Teil überhaupt erst bewirken. So löste die konfessionelle Spaltung der lateinischen Christenheit und die nachfolgende Konfessionalisierung in den Territorien Migrationsprozesse bisher ungekannter Größenordnung aus, bis hin zur Auswanderung ganzer Glaubensgemeinschaften nach Übersee.
Daneben gab es jedoch auch noch ganz andere Motive für Mobilität und Migration im frühneuzeitlichen Europa: Wirtschaftliche Zwänge oder Interessenlagen, Kriege, Krisen und Hungersnöte, die Ausübung von Handel und bestimmten Gewerben, aber auch die akademische Ausbildung oder die adelige Standeserziehung konnten Menschen gleich welchen religiösen Bekenntnisses dazu veranlassen, dauerhaft oder zeitweilig ihren Aufenthaltsort zu wechseln.
Beide Phänomene, Religion und Mobilität, sind von der historischen Forschung bislang zumeist getrennt voneinander behandelt worden. Die Konfessionalisierungsforschung hat Religion bislang in erster Linie als Impulsgeber für Mobilität wahrgenommen und dabei den Zusammenhang mit anderen Formen von Mobilität zum Teil vernachlässigt. Bei dem für das konfessionelle Zeitalter charakteristischen Typus der "Konfessionsmigration" handelt es sich aber lediglich um einen "besonders prominenten Teil eines viel weiter gespannten alteuropäischen Migrationsgeschehens" (Heinz Schilling), ein Umstand, dem nicht immer Rechnung getragen wird. Allgemeine Beiträge zur historischen Migrationsforschung wiederum sind zeitlich zumeist später angesiedelt, obwohl Mobilität und Migration schon im Spätmittelalter ein Massenphänomen waren. Es mag auch mit dieser zeitlichen Verengung des Blickwinkels zu tun haben, dass die lange Zeit vornehmlich unter sozialgeschichtlichen Prämissen betriebene Migrationsforschung sich mit Religion eher am Rande bzw. wenn, dann als einem Faktor unter vielen beschäftigt hat. Jegliche Form von Mobilität innerhalb des seit der Mitte des 16. Jahrhunderts konfessionell gespaltenen und insbesondere an seinen Rändern schon seit dem Mittelalter multireligiösen Europa musste aber geradezu zwangsläufig Fragen des interkonfessionellen und interreligiösen Kontakts, des Neben-, Mit- oder Gegeneinanders von Religionen aufwerfen. Im Zuge der Konfessionalisierung und der Ausbildung frühmoderner Territorialstaaten, in denen die einheitliche Konfession der Untertanen vielfach als einzige Klammer für einen politisch-rechtlich, häufig auch ethnisch heterogenen Untertanenverband diente, mussten sich diese Fragen zuspitzen. Auch wenn die Flucht aus religiösen Gründen am Ausgang des 17. Jahrhunderts bereits an Bedeutung verloren haben mag, so bedeutet dies keineswegs, dass der Faktor Religion im Zusammenhang mit Mobilität und Migration fortan keine Rolle mehr gespielt hätte.
Die Tagung, deren Konzeption aus dem Forschungsbereich II "Kommunikation und Transformation in Religion und Gesellschaft" des Instituts für Europäische Geschichte hervorgegangen ist, möchte dazu beitragen, religions- und migrationsgeschichtliche Ansätze und Fragestellungen zusammenzuführen und enger miteinander zu verzahnen. Im Mittelpunkt steht dabei insbesondere die Frage nach dem Stellenwert von Mobilität für die Ausbildung oder Auflösung religiös-konfessioneller Identitäten im frühneuzeitlichen Europa.
Der öffentliche Abendvortrag findet in Kooperation mit dem Erbacher Hof, Akademie des Bistums Mainz, im Haus am Dom statt. Finanziell unterstützt wird die Durchführung der Tagung durch die Fritz Thyssen Stiftung.
Tagungsprogramm
Ort: Institut für Europäische Geschichte, Tagungsraum
Donnerstag, 12.2.2009
14:00 Uhr Irene Dingel (Mainz) Grußwort
14:15 Uhr Henning P. Jürgens / Thomas Weller (beide Mainz): Religion und Mobilität. Einführung in das Thema der Tagung
Religion als Movens für Mobilität
14:45 Uhr Vera von der Osten-Sacken (Bremen): Erzwungenes und selbstgewähltes Exil im Luthertum: Bartholomäus Gernhards Schrift "De exiliis" (1575).
15:30 Uhr Bettina Braun (Mainz): Katholische Konfessionsmigration in Europa
16:45 Uhr Henning P. Jürgens (Mainz): Die Vertreibung der reformierten Flüchtlingsgemeinden aus London: Jan Utenhoves "Simplex et fidelis narratio"
17:30 Uhr Susanne Lachenicht (Hamburg): Renaissance in der Diaspora? Hugenottische Migration und Identität(en) im europäischen und atlantischen Refuge
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Öffentlicher Abendvortrag
Haus am Dom, Mainz, 19:30 Uhr
Heinz Schilling (Berlin): Die frühneuzeitliche Konfessionsmigration - Sephardische Juden und Calvinisten im Vergleich
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Freitag, 13.2.2009
9:00 Uhr Matthias Morgenstern (Tübingen): Mobilität jüdischer Frauen in der frühen Neuzeit: Das Beispiel der Glikl von Hameln (1646-1724).
9:45 Uhr Gesine Carl (Hamburg): "Ich beschlos zu fliehen. Aber wohin? das wust ich nicht." - Konversionen vom Judentum zum Christentum und Mobilität im 17. und 18. Jahrhundert
11:00 Uhr Margit Kern (Berlin): Übersetzungsprozesse in der religiösen Kunst der Frühen Neuzeit: Die Mission in Neuspanien
11:45 Uhr Christian Windler (Bern): Katholische Mission und die Religiosität lateinischer Christen in Persien und im Osmanischen Reich (17. und 18. Jahrhundert)
14:00 Uhr Felix Konrad (Bern): Europäische Renegaten im frühneuzeitlichen Osmanischen Reich. Konversion als Instrument für soziale Mobilität?
14:45 Uhr Manuel Fernández Chaves (Sevilla): The Moriscos in Early Modern Spain
Mobilität und interreligiöse Kontakte
16:00 Uhr Thomas Weller (Mainz): Protestantische Kaufleute und Diplomaten im frühneuzeitlichen Spanien
16:45 Uhr Klaus Weber (Hamburg/London): Die Migration von sephardischen und hugenottischen Kaufleuten nach Hamburg
17:45 Uhr Almut Bues (Warschau): "Altter gelaube" gegen "newerdachtten glauben" oder: Wen bewahrt Gott? Martin Grunewegs interkonfessionelle Kontakte
Samstag, 14.2.2009
09:00 Uhr Marian Füssel (Göttingen): "Als Gefangener in ein ganz fremdes, abergläubisches Land gebracht zu werden, stimmte meine Seele trübe." Soldaten und Kriegsgefangene in fremdkonfessionellem Umfeld während des Siebenjährigen Krieges
09:45 Uhr Matthias Asche (Tübingen): Von Konfessionseiden und heterodoxen Gelehrten. Mobilitätsphänomene, Existenzbedingungen und Wirkungsmöglichkeiten konfessionell devianter Professoren zwischen obrigkeitlicher Duldung, Landesverweis und freiwilligem Abzug
11:00 Uhr Dorothea Nolde (Bremen): Habitus ohne Grenzen? - Religion und Repräsentation auf Adelsreisen im Europa der Frühen Neuzeit
11:45 Uhr Sabine Meine (Hannover): Musikalische Spuren konfessioneller Spannungen an den Höfen von Renée de Valois und Ercole II d'Este im Ferrara der Mitte des 16. Jahrhunderts
12:30 Uhr Peter Burschel (Rostock), Wolf-Friedrich Schäufele (Marburg):
Schlusskommentare
13:00 Uhr Abschlussdiskussion
Hinweise zur Teilnahme:
Termin:
12.02.2009 ab 14:00 - 14.02.2009 14:00
Veranstaltungsort:
Institut für Europäische Geschichte
Alte Universitätsstr. 19
Konferenzraum, 1. OG
55116 Mainz
Rheinland-Pfalz
Deutschland
Zielgruppe:
Studierende, Wissenschaftler
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
international
Sachgebiete:
Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Religion
Arten:
Eintrag:
19.12.2008
Absender:
Stefanie Wiehl
Abteilung:
Geschäftsführung / Öffentlichkeitsarbeit
Veranstaltung ist kostenlos:
ja
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event25742
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