So umfassend wurde die Rolle der Medizin im Nationalsozialismus noch nie untersucht: für die renommierte Zeitschrift The Lancet hat eine Kommission einen detaillierten und vielschichtigen Bericht verfasst, der viele bisherige historische Deutungen in Frage stellt. Dazu zählt die Annahme, dass Medizinverbrechen nur durch einige wenige fanatische Nazi-Ärzte durchgeführt wurden, oder dass die verantwortlichen Mediziner unter Zwang handelten. Der Bericht analysiert, unter welchen Bedingungen eine erhebliche Anzahl von Medizinern in einer führenden Wissenschaftsnation bereit war, Patienten und Versuchspersonen zu schaden oder sogar zu töten.
Im Beisein von zahlreichen deutschen und internationalen Medizinorganisationen wird der Lancet-Bericht am 14. November 2023 in Berlin vorgestellt. „Uns interessiert die Frage, welche Lehren die moderne Medizin aus unseren Erkenntnissen zieht – sowohl für die ethischen Rahmenbedingungen ihres Fachs als auch für die Ausbildung künftiger Ärztinnen und Ärzte, und der von Angehörigen aller Heilberufe“, betont Prof. Dr. Volker Roelcke vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Prof. Roelcke ist Mitglied und Gründungs- Co-Chair der Lancet Commission on Medicine, Nazism, and the Holocaust: Historical Evidence, Implications for Today, Teaching for Tomorrow. Die gegenwärtige Leitung der Kommission haben Prof. Herwig Czech (Medizinische Universität Wien), Dr. Sabine Hildebrandt (Boston Children’s Hospital/Harvard Medical School) und Prof. Shmuel Reis (Hebrew University Jerusalem).
Die Spitzen der Bundesärztekammer, der American Medical Association, der Israel Medical Association, des Robert Koch-Instituts, der Max-Planck-Gesellschaft, des Deutschen Ethikrats und anderer medizinischer Organisationen werden an der Veranstaltung in Berlin teilnehmen und sich dort zu den Fragen der Kommission äußern. Was bedeutet die Zeit des Nationalsozialismus für die Medizin, Biowissenschaften und Gesundheitsversorgung heute? Und was können die jeweiligen Organisationen dazu beitragen, die Erinnerung wachzuhalten, weitere Forschung zu unterstützen und die systematische Selbstreflexion zu den zugrundeliegenden ethischen Fragen zu fördern?
Der Bericht beschreibt auch die Auswirkungen der Medizinverbrechen während des Nationalsozialismus auf die Medizin und Bioethik der Nachkriegszeit, wie etwa die Gründung der World Medical Association (Weltärztebund) und die Formulierung grundsätzlicher ethischer Regelwerke. Die Beschäftigung mit dieser Geschichte in Aus- und Weiterbildung wird, so die im Bericht geäußerte Erwartung, Ärztinnen und Ärzte und alle Heilfberufe besser auf ethische Herausforderungen vorbereiten. Zudem sollen die Erkenntnisse zu einem tieferen Verständnis für die Bedeutung von Menschenrechten für ärztliches Handeln, Gesundheitsversorgung und Forschung führen.
Die Medien sind zu der Veranstaltung in Berlin herzlich eingeladen und werden gebeten, sich vorab zu registrieren.
Kontakt
Prof. Dr. Volker Roelcke, Mitglied und Gründungs-Co-Chair der Lancet Commission
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)
E-Mail: volker.roelcke@histor.med.uni-giessen.de
Hinweise zur Teilnahme:
Registrierung für Online- oder Vor-Ort-Teilnahme
Termin:
14.11.2023 14:00 - 16:30
Veranstaltungsort:
Berlin, Medizinhistorisches Museum der Charité
Berlin
Berlin
Deutschland
Zielgruppe:
Journalisten, Wissenschaftler
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
überregional
Sachgebiete:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medizin, Philosophie / Ethik
Arten:
Pressetermine
Eintrag:
09.11.2023
Absender:
Lisa Dittrich
Abteilung:
Presse, Kommunikation und Marketing
Veranstaltung ist kostenlos:
nein
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event75672
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