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15.02.2005 11:38

Geschichte(n aus) der Chemie: Vom alten China bis zur NS-Zeit

Dr. Renate Hoer Abteilung Öffentlichkeitsarbeit
Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V.

    Einen weiten chemiehistorischen Bogen spannt die Tagung der Fachgruppe Geschichte der Chemie der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) vom 10. bis 12. März in Regensburg. Es wird beispielsweise erläutert, wie fortschrittlich die Chinesen bis ins 17. Jahrhundert hinein auf den Gebiet der chemischen Technologie waren oder wie in der NS-Zeit eine chemische Innovation für die Massenvernichtung missbraucht wurde. Die Verleihung des Paul-Bunge-Preises an Professor Dr. Myles W. Jackson, USA, und des Bettina-Haupt-Förderpreises an Dr. Dirk Hackenholz, Halle, und PD Dr. R. Stefan Roß, Essen, sind Glanzpunkte der Tagung.

    Bis ins 17. Jahrhundert waren die Chinesen den Europäern auf technologischem Gebiet durchaus ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Eine chinesische Technologie-Enzyklopädie aus dem Jahr 1637 belegt das auch für chemische Prozesse wie die Verarbeitung von Bodenschätzen, z.B. die Metallgewinnung. Beschrieben wird in "Tian gong kai wu" (Erschließung der himmlischen Schätze) auch die Herstellung von Textilfarben aus pflanzlichen Rohstoffen oder von fermentierten Nahrungsmitteln.

    Ab dem 18. Jahrhundert entwickelte sich dann in Europa die Chemie rasant weiter, wie es einige Beiträge in Regensburg belegen. Aus der Pflanzen- und Tierchemie des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts ging die organische Chemie, die Chemie der Kohlenstoffverbindungen, hervor. Die Experimentalchemie brachte die Entwicklung voran. Bedeutsam für den Fortschritt in der Chemie war auch die Einführung einer neuen chemischen Nomenklatur durch Jacob Berzelius. Die sich herausbildenden Formeln und die Nomenklatur in der Chemie versperrten aber fortan vielen Leuten den Zugang zur Chemie.

    Das änderte sich auch kaum, als Mitte des 19. Jahrhunderts sich eine eigenständige Schulbuchliteratur für das Fach Chemie entwickelte, die der neuen Stoffsystematik folgte. Das Fach Chemie konnte sich an den Gymnasien nur schwer etablieren; es gewann hingegen an den Realschulen zunehmend an Bedeutung. Die Bücher waren inhaltlich auf die technische Chemie ausgerichtet.

    Bei den Chemikern fand im 19. Jahrhundert die Erforschung organischer Verbindungen zunehmendes Interesse. Man untersuchte intensiv die Klasse der Eiweißstoffe, denen man bereits 1838 den Namen Proteine gab. In dieser Zeit wurden auch erste Konzepte für die Stoffwechselvorgänge in lebenden Organismen entworfen. Das Gebiet der Physiologischen Chemie entwickelte sich. Der Begriff Biochemie wurde schon 1858 geprägt, er wurde aber erst im 20. Jahrhundert gebräuchlich. Auch eine Pathologische Chemie, die sich mit den chemischen Vorgängen bei Krankheiten befasste, entwickelte sich. Später wurde daraus die Klinische Chemie.

    Schließlich begann sich auch die Nahrungsmittelchemie zu etablieren. Die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts verbessernden chemischen Analysenmethoden konnten Licht ins Dunkel dieses Gebietes bringen. Immer besser konnten Inhaltsstoffe charakterisiert und Nahrungsmittelverfälschungen aufgedeckt werden.

    Viele Beiträge in Regensburg beschäftigen sich mit wichtigen Chemiker-Persönlichkeiten, z.B. Glauber, Beilstein, Ruzicka, Perutz, Schwabe und auch Stock, dessen Haltung zum NS-Regime kritisch beleuchtet wird.

    Mit Zyklon B gelangte in der Zeit der Nazidiktatur eine Chemikalie zu trauriger Berühmtheit. Das Schädlingsbekämpfungsmittel, das ab 1928, wie in Regensburg zu hören, durch eine innovative Entwicklung sicher hergestellt werden konnte, wurde ab 1941 als furchtbare Mordwaffe in den Konzentrationslagern missbraucht.

    Mit der jüngeren Geschichte befasst sich auch einer der diesjährigen Preisträger des Bettina-Haupt-Förderpreises, Dirk Hackenholz. Er beschreibt in seiner ausgezeichneten Dissertationsschrift die elektrochemischen Werke in Bitterfeld von 1914 bis 1945. Der zweite Preisträger, R. Stefan Roß, befasst sich mit einem Liebig-Schüler, dem Dorpater Chemiker Carl Schmidt, der die Physiologische Chemie im 19. Jahrhundert voranbrachte.

    Der Wissenschaftshistoriker Myles W. Jackson erhält in Regensburg den diesjährigen Paul-Bunge-Preis der Hans R. Jenemann-Stiftung zur Geschichte wissenschaftlicher Instrumente für sein Buch "Spectrum: Joseph von Fraunhofer an the Craft of Precision Optics". Mit seiner Beschreibung und Analyse des Spannungsfeldes von (Kunst)Handwerker und Naturphilosoph im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert am Beispiel von Fraunhofer berührt Jackson ein wichtiges Thema im Umfeld der Geschichte wissenschaftlicher Geräte. Die von Fraunhofer entwickelten optischen Gläser und Techniken hatten einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Naturwissenschaften. Jackson ist an der Willamette University, Salem, Oregon, Director of Humanities and Chair of Science Studies.

    Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) gehört mit rund 27000 Mitgliedern zu den größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Sie hat 25 Fachgruppen und Sektionen, darunter die Fachgruppe Geschichte der Chemie mit fast 300 Mitgliedern. In einem zweijährigen Turnus finden jeweils im März die Vortragstagungen der Fachgruppe statt. Ziel der Fachgruppe ist es, das Verständnis für die geschichtliche Betrachtung der Chemie zu wecken, chemiehistorische Untersuchungen anzuregen, das Fach Geschichte der Chemie an den Hochschulen zu fördern, über die Veröffentlichung chemiehistorischer Werke und über andere Aktivitäten auf dem Gebiet der Geschichte der Chemie zu informieren und Bemühungen zur Archivierung von chemiehistorisch relevanten Nachlässen zu unterstützen.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Geschichte / Archäologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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