"Fernsehen ist eine soziale Emission. Wir müssen als Gesellschaft die Grenzwerte definieren!", fordert Professor Dr. Peter Winterhoff-Spurk. Der Saarbrücker Medien- und Organisationspsychologe erforscht seit zwanzig Jahren die emotionalen Auswirkungen der Medien auf den Zuschauer, unter anderem auch die Wirkungen von Gewalt. Mit seinem neuen Buch "Kalte Herzen - Wie das Fernsehen den Charakter formt" gibt er Einblick in neueste Erkenntnisse auf diesem Gebiet und kommt zu alarmierenden Ergebnissen.
Jeden Tag schaut der normale Bundesbürger im Durchschnitt etwa dreieinhalb Stunden fern. Winterhoff-Spurks These: Das Fernsehen habe sich in Zeiten der totalen Flexibilität und Mobilität, in denen Bindungen in allen Bereichen zunehmend unsicher werden, zum geheimen Erzieher entwickelt und einen neuen Sozialcharakter hervorgebracht. Die Gefühlskultur sei dabei, sich zu wandeln: hin zum Oberflächlichen, Theatralischen, Sexualisierten, zur Selbstinszenierung mit ständigem Drang nach Aufregung. Gefühle würden lediglich dargestellt, aber nicht wirklich empfunden; der Trend gehe hin zum "kalten Herz" - der Begriff ist aus dem gleichnamigen Märchen von Wilhelm Hauff entlehnt. "Emotionen brauchen Zeit - und die nimmt man sich nicht mehr angesichts der Flut von Informationen und emotionalen Eindrücken, der man schon bei einer Nachrichtensendung ausgesetzt ist", erklärt Winterhoff-Spurk.
Die Folgen beträfen die Gesellschaft als Ganzes. "Der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält, ist brüchig geworden", so der Psychologieprofessor. Das Fernsehen sei ein Verstärker für individuelle und gesellschaftliche Fehlentwicklungen. "Die Diesseitigkeitsreligion Fernsehen bietet Halt. Wenn also beispielsweise die Eltern, Verwandten oder Lehrer nicht mehr als Vorbilder taugen, bieten sich die Medienfiguren als parasozialer Ersatz an." So käme es, dass Kinder und Jugendliche ihre Vorbilder nicht wie früher im Nahbereich suchen, sondern in den Medien. Die Stars seien auswechselbar, es fände keine Auseinandersetzung statt, die "Beziehung" habe keine Reibungspunkte.
"Ein politisch desinteressierter, gesellschaftlich nicht engagierter, an seinen Arbeitgeber emotional nicht gebundener, psychisch labiler, egoistischer, vor allem mit seiner Inszenierung beschäftigter und an Events interessierter Single als Bürger der Zukunft. Weder die Familie, noch die Firma noch die Nation als soziale Verbände interessieren ihn sonderlich. Das kann einer Gesellschaft nicht gut tun, ihre Wir-Ich-Balance geht aus den Fugen".
Um entgegenzusteuern, müsse vor allem auch bei den Ursachen, bei den individuellen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen angesetzt werden: Mehr Bindungssicherheit in allen Bereichen vom familiären, nachbarschaftlichen, beruflichen bis hin zum politischen Bereich.
Peter Winterhoff-Spurk:
"Kalte Herzen
Wie das Fernsehen unseren Charakter formt"
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2005
2005, gebunden mit Schutzumschlag
271 Seiten
ISBN: 3-608-94102-9
http://www.uni-saarland.de/fak5/orga/
Sie haben Fragen? Dann setzen Sie sich bitte in Verbindung mit Peter Winterhoff-Spurk: Tel. 0681/302-3638, Email: p.winterhoff@mx.uni-saarland.de
http://www.uni-saarland.de/fak5/orga/ - Homepage der Arbeitseinheit Medien- und Organisationspsychologie
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Pädagogik / Bildung, Psychologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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