Max-Planck-Forscher entschlüsseln die Duftbotschaft der Immungene von
Stichlingen
"Den kann ich nicht riechen", ist eine wichtige Entscheidung bei der
Partnerwahl von Menschen, Mäusen und Fischen. Am Geruch erkennt
Frau, Maus- oder Stichlingsweibchen die Immungene eines möglichen
Partners. Die richtige Mischung von Immungenen zu haben, ist für die
Nachkommen überlebenswichtig: Ein Stichlingsweibchen bevorzugt
geruchlich das Männchen, dessen Immungene zusammen mit ihren
eigenen dem Nachwuchs die optimale Immunabwehr gegen ständig
wechselnde Krankheitserreger bieten. Da sich zwei Menschen, Mäuse oder
Stichlinge stark in ihren Immungenen unterscheiden, muss das natürliche
Duftsignal Information über diese Individualität vermitteln können.
Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön haben
nun in Zusammenarbeit mit ihren Kollegen vom Max-Planck-Institut für
Immunbiologie in Freiburg experimentell den Nachweis erbracht, das
man mit kleinen Eiweißbruchstücken, die eine natürliche "Blaupause"
von Immungenen darstellen, die Attraktivität eines Stichlingsmännchens
für ein Weibchen Voraussage gemäss manipulieren kann (PNAS Online, 8.
März 2005).
Die ungeheure Anzahl von sich ständig verändernden Krankheitserregern scheint die meisten Tier- und
Pflanzenarten zu zwingen, für jede Generation die Immungene immer wieder neu zu mischen. Wie bei
den meisten Wirbeltieren können die T-Zellen unseres Immunsystems Krankheitserreger nur erkennen
und bekämpfen, wenn körpereigene so genannte MHC-Moleküle (Major Histocompatibility Complex)
ihnen fremde Eiweißbruchstücke (Peptide) zeigen. Die MHC-Moleküle unterscheiden sich in ihren
Bindungsstellen, mit denen sie nur Peptide greifen können, die an speziellen Ankerregionen ganz
bestimmte Aminosäuren tragen. Jedes MHC-Molekül kann also nur ganz bestimmte Peptide binden, und
es braucht verschiedene MHC-Moleküle, damit das Immunsystem verschiedene Krankheitserreger
erkennen und bekämpfen kann.
In jeder Wirbeltierpopulation gibt es Hunderte von MHC-Varianten, aber jeder Mensch oder Stichling hat
nur wenige davon, und zwei Menschen oder Stichlinge haben meist unterschiedliche Varianten. Diese
enorme Vielgestaltigkeit (Polymorphismus) des MHC-Systems ist einzigartig und bietet Weibchen eine
große Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Partner mit unterschiedlicher Ausstattung an
Immungenen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie diese Gene von außen "erkennen" können.
Tatsächlich ist schon länger bekannt, dass Mäuse, Menschen und Stichlinge die genetische Struktur der
MHC-Moleküle ihrer potenziellen Partner riechen können. Vor einigen Jahren hatten Wissenschaftler des
Max-Planck-Instituts für Limnologie gezeigt, dass Stichlinge in natürlichen Populationen meist über eine
mittlere Anzahl von etwa fünf MHC-Varianten je Fisch verfügen und dass Weibchen diese Anzahl durch
die geruchliche Auswahl des immungenetisch passenden Partners für ihre Nachkommen erreichen
(Reusch, Häberli, Aeschlimann & Milinski, Nature 414:300-302, 2001). In weiteren Versuchen lieferte
das Plöner Institut den experimentellen Nachweis, dass diese Anzahl von MHC-Varianten für das
Individuum ein immungenetisches Optimum darstellt, das maximale Immunabwehr erlaubt (Wegner,
Kalbe, Kurtz, Reusch & Milinski, Science 301:1343, 2003).Worin könnte das natürliche Duftbouquet
bestehen, mit dem Männchen (wie auch Weibchen bei Mäusen und Menschen) Information über ihre
MHC-Individualität signalisieren? Wenn es bestimmter MHC-Moleküle bedarf, um bestimmte Peptide
aus der Zelle zu transportieren, dann sollte das Spektrum von Peptiden, das nach "außen" gelangt, das
Spektrum von MHC-Molekülen eindeutig widerspiegeln - und damit das Spektrum der entsprechenden
genetischen Varianten eines Individuums. Das Bouquet der ausgeschiedenen Peptide könnte das
"natürliche Parfüm" sein, über das z.B. ein Weibchen den immungenetisch passenden Partner heraus
riecht.
Dass Peptide mit den passenden Aminosäuren als Anker für MHC-Moleküle - und zwar nur solche
Peptide - von speziellen Nervenzellen der Riechschleimhaut von Mäusen als Signalstoffe (Pheromone)
erkannt werden, hat gerade ein internationales Forscherteam um Thomas Boehm vom
Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg nachgewiesen (Leinders-Zufall, Brennan, Widmayer,
Chandramani, Maul-Pavicic, Jäger, Li, Breer, Zufall & Boehm, Science 306:1033-1037, 2004).
Wenn diese Peptide auch das "natürliche Parfüm" von Stichlingen darstellen, müsste man den Duft eines
Stichlingsmännchens durch Hinzufügen von verschiedenen synthetischen Peptiden manipulieren können.
Dabei sollte es nur von der MHC-Variantenzahl des Paares abhängen, ob die Zusatzparfümierung durch
die gleiche Mischung synthetischer Peptide das Männchen für ein bestimmtes Weibchen anziehend oder
abstoßend wirkt: So sollte ein Männchen, das für ein bestimmtes Weibchen zu wenige MHC-Varianten
bietet, um das Optimum zu erreichen, durch Hinzufügen synthetischer Peptiden attraktiver werden. Auf
der anderen Seite sollte der Duft eines von sich aus attraktiven Männchens, das schon die optimale
Ergänzung bietet, durch Hinzufügen derselben Peptidmischung abstoßend wirken.
Im Rahmen einer Kooperation zwischen dem nördlichsten und dem südlichsten Max-Planck-Institut ist es
den Evolutionsökologen aus Plön und den Immunbiologen aus Freiburg gelungen, diesen Nachweis zu
erbringen: Im Experiment konnte das laichbereite Weibchen das Männchen nicht sehen, sondern bekam
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lediglich das Wasser aus dem Aquarium des Männchens in einem Strömungskanal mit zwei parallel
geführten Zuläufen kontinuierlich geboten. In dem einen Zulauf wurde das Aquariumswasser mit einer
Peptidmischung, in dem anderen lediglich mit dem Lösemittel ohne Peptide versetzt. Unter
Videokontrolle konnte das Weibchen zwischen den beiden Zuläufen zehn Minuten lang frei wählen - und
entschied sich tatsächlich der Vorhersage entsprechend.
In einem weiteren Experiment konnten die Forscher zeigen, dass die gleiche Peptidmischung von
Stichlingsweibchen ignoriert wird, wenn die Ankerregionen der Peptide Aminosäuren tragen, die nicht an
MHC-Moleküle binden. Das muss man fordern, wenn Peptide nur die MHC-Individualität des Senders
übermitteln sollen.
Da offenbar von Mäusen und Stichlingen dieselben immungenetischen Signalmoleküle verstanden
werden, muss man annehmen, dass dieses Signalsystem, wie schon für das MHC-System gezeigt, bei
Wirbeltieren, den Menschen eingeschlossen, ähnlich ist.
"Die neuen Ergebnisse werfen die Frage auf, ob auch Menschen anhand von Peptiden Informationen über
MHC-Varianten ihres Gegenübers sammeln können", sagt Thomas Boehm. "Welche Rolle dabei Parfüms
spielen, die von Menschen schon seit Tausenden von Jahren verwendet werden und deren individuelle
Auswahl von den eigenen MHC-Genen beeinflusst wird, wird uns noch beschäftigen", erklärt sein
Kollege Manfred Milinski.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Informationstechnik
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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