Sie besetzen Schlüsselpositionen in Kirche, Politik, Presse und Wirtschaft: katholische Akademiker wie Helmut Kohl, Kardinal Josef Ratzinger oder Ernst Elitz. Der Bochumer Theologe Christian Schmidtmann untersucht in seiner Dissertation erstmals, wie Menschen, die heute zur Elite der Gesellschaft gehören, in ihrer Studienzeit durch ihre katholische Identität geprägt wurden: Es gibt zwei gänzlich verschiedene Generationen von katholischen Studierenden zwischen 1945 und 1973 - während sich die Älteren noch kollektiv von der "Mittäterschaft" ihrer Eltern abgrenzten, zersplitterte sich die jüngere Generation in verschiedene Gruppen.
Bochum, 21.03.2005
Nr. 92
Zwei Generationen gelebten Glaubens
Preisgekrönte RUB-Studie über katholische Studierende
Prägende Studienzeiten - auf den Spuren katholischer Akademiker
Sie besetzen Schlüsselpositionen in Kirche, Politik, Presse und Wirtschaft: katholische Akademiker wie Helmut Kohl, Kardinal Josef Ratzinger oder Ernst Elitz. Der Bochumer Theologe Christian Schmidtmann untersucht in seiner Dissertation erstmals, wie Menschen, die heute zur Elite der Gesellschaft gehören, in ihrer Studienzeit durch ihre katholische Identität geprägt wurden: Es gibt zwei gänzlich verschiedene Generationen von katholischen Studierenden zwischen 1945 und 1973 - während sich die Älteren noch kollektiv von der "Mittäterschaft" ihrer Eltern abgrenzten, zersplitterte sich die jüngere Generation in verschiedene Gruppen. Für seine Forschungsarbeit erhielt Schmidtmann den Wilhelm-Hollenberg Preis.
Entscheidende Sozialisationsphase
Zum ersten Mal erforscht damit ein Wissenschaftler den Wandel einer bestimmten Personengruppe innerhalb des Katholizismus. Kaum einer wusste bisher, wie das katholische Umfeld an den Universitäten die Akademiker prägte. Schmidtmann nimmt damit eine entscheidende Phase in der Sozialisation eines Großteils der katholischen Eliten in den Blickpunkt.
Ausführliche Inhaltsanalysen
Dafür wertete der Theologe umfangreiche Materialien der katholischen Studentenverbände und Hochschulgemeinden von 1945 bis 1973 aus. Zudem untersuchte er Interviews und autobiographische Texte ehemaliger berühmter Studenten. "Damit wird ein Mentalitätskomplex beschrieben, der über die einzelnen Studenten hinaus auch auf andere Berühmtheiten zutrifft. Trotzdem wird das Individuelle dabei nicht verwischt", sagt Schmidtmann.
Veränderungen in Denk- und Handlungsorientierungen
Das Ergebnis der Studie: Die jüngere Generation der Studenten unterscheidet sich grundsätzlich in ihrer Denk- und Handlungsorientierung zu der Generation der um 1930 geborenen. Diese wesentlichen Veränderungen stehen symbolhaft für den Wandel in Kirche und Gesellschaft in der Bundesrepublik. Die katholischen Studenten eilten dem Rest der Gesellschaft voraus und übernahmen als Erste diesen Wandel. So belegt die kirchengeschichtliche Studie, dass das "revolutionäre" II. Vatikanische Konzil die intellektuellen deutschen Katholiken nicht unvorbereitet traf, sondern in deren Denken bereits verbreitet war.
Zwischen gemeinsamer Identität und Abgrenzung
Die erste Studentengeneration nach dem 2. Weltkrieg verband ein gemeinsames Selbstverständnis. Sie versuchten sich durch Betonung ihres Katholizismus nach Außen von der Mittäterschaft der Elterngeneration abzugrenzen. Dagegen bildeten sich ab den 60er-Jahren unterschiedliche Identitäten heraus. Christian Schmidtmann entdeckt eine Abgrenzung nach Innen zwischen einzelnen Gruppen von katholischen Studierenden. Besonders die Frage nach der richtigen Form von Religion und Christlichkeit stand im Mittelpunkt.
Veröffentlichung vs. Privatisierung
Einige Studierende suchten die Entkoppelung von traditioneller Frömmigkeit und lebten ihren Glauben völlig unabhängig von konventioneller kirchlicher Praxis. Für sie musste Religiosität gesellschaftliche Relevanz haben. "Andere wiederum lehnten politisches Engagement im Namen des Glaubens völlig ab und beschränkten sich auf das Leben in der Kirche", so Schmidtmann. Es entstanden zwei Extreme: Veröffentlichung versus Privatisierung der Religiosität.
Bunte Vielfalt
Schmidtmanns Fazit: Es gibt nicht die eine Geschichte der katholischen Studierenden seit dem Ende des Krieges bis Mitte der 70er-Jahre. Vielmehr lenkt der Autor den Blick des Lesers auf die Besonderheiten der Vielzahl kollektiver und individueller Identitäten. Damit lädt er bewusst zu einer Auseinandersetzung mit "unabgeschlossenen Geschichten der Menschen mit Gott" ein.
Titelaufnahme
Christian Schmidtmann: Katholische Studierende 1945-1973. Eine Studie zur Kultur- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Schöningh Verlag Paderborn. Erscheint voraussichtlich im Herbst 2005.
Weitere Informationen
Christian Schmidtmann, Tel. 02323/956611, E-Mail: Christian.Schmidtmann@rub.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Religion
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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