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22.04.1999 10:38

Ovid-Illustrationen: Bestand hat nur der Wandel

Dr. Wolfgang Hirsch Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Unüberschaubar wie die Übersetzungen und Nachdichtungen von Ovids "Metamorphosen" sind auch ihre Illustrationen. In Handschriften und frühen Buchdrucken entwickelten sie sich zu einem eigenständigen Kunstgenre mit klar erkennbaren Traditionslinien und dienten sogar Malern und Kunsthandwerkern als Stoff- und Stilfibel.

    In jahrelanger Kleinarbeit hat die Jenaer Mittel- und Neulateinerin Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich zusammen mit ihrem Mannheimer Kollegen Prof. Dr. Hermann Walter diese Illustrationen in ganz Europa gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet. Nur einen kleinen, aber - buchstäblich - anschaulichen Teil ihrer Forschungsergebnisse stellt sie nun vom 9. Mai an im Jenaer Stadtmuseum "Göhre" aus: die Metamorphosen der "Metamorphosen".

    Ovids "Verwandlungen" bilden ein unvergleichliches Kompendium der antiken Mythologie: Die insgesamt 15 Bücher reportieren die gewaltige Zeitspanne von der Erschaffung der Welt bis zur Vergöttlichung des Julius Caesar, in feinste Hexameter-Verse faßte der Dichter die wechselvollen Zeitläufte seiner Helden und ihrer Geschicke: Orpheus und Eurydike, Pyramus und Thisbe, König Midas, Medea und Jason, den Raub der Proserpina durch den Fürsten der Unterwelt, ja den gesamten Trojanischen Krieg und die Flucht des Aeneas, des sagenhaften Gründers des römischen Reiches. Beständig, so seine Botschaft, ist allzeit nur der Wandel: die Mutation der Götter zu menschen-gleich fühlenden Wesen mit all ihren amourösen Verstrickungen, umgekehrt die Lösung der Menschen von göttlicher Führung, ihr autonomes Streben getrieben von Liebe, Sehnsucht und Machtgier, dialektisch gepaart mit Moral und Vernunft.

    Lange blieb dieses ovidianische Universum vergessen. Erst im 12. Jahrhundert brach das Goldene Zeitalter der Ovid-Rezeption, die aetas ovidiana, herein, und die "Verwandlungen" standen im Mittelpunkt des Interesses. Schon das Mittelalter kennt rund 150 Handschriften und Übersetzungen ins Deutsche und Griechische; im 15. Jahrhundert, nach der Erfindung des Buchdrucks, wuchs die Zahl ihrer Ausgaben und Bearbeitungen ins Unermeßliche. Verzichteten die frühen humanistischen Gelehrten noch auf bildliches Schmuckwerk, so folgten Verleger und Drucker schon bald dem Publikumswunsch nach reich illustrierten Ausgaben. Nicht nur der ursprünglich lateinische Text, sondern auch allegorisierende und moralisch ,erbauliche' Nachdichtungen und christliche Umdeutungen in Volkssprache überschwemmten den Buchmarkt. Auflagen von 300 bis 500 Exemplaren lassen nach damaligen Verhältnissen auf die Bestsellerqualitäten der Ovidiana schließen.

    "Gerade solche Ausgaben, weniger die rein philologischen, waren gern illustriert", berichtet Gerlinde Huber-Rebenich. Die älte-sten dieser Drucke entstanden in Brügge und datieren von 1484. Große Bedeutung erlangte die früheste italienische Holzschnittserie, die 1497 erstmals in Venedig erschien. Sie dominierte für die nächsten rund 150 Jahre die gesamte "Metamorphosen"-Illustration und wurde erst von den Kompositionen des französischen Künstlers Bernhard Salomon abgelöst.

    Der kunsthistorische Einfluß der "Metamorphosen"-Bilder reicht über Jahrhunderte und wirft einen Schatten bis in die Moderne. Denn zwar hielten sich die Buchillustratoren in ihrer kreativen Entfaltung zurück, technisch jedoch waren sie durchweg auf der Höhe ihrer Zeit. So stellte Gerlinde Huber-Rebenich fest, daß die Linienführung der frühen Holzschnitte zunehmend feiner ausfiel und der Übergang zum Kupferstich sich quasi organisch vollzog. Der Erfolg des ,Massenmediums' Buch bestimmte weitgehend auch die Ikonologie der übrigen Bildmedien. Die "Metamorphosen" gerieten so zu Stilfibel und Stoffreservoir für Generationen von Malern, Illustratoren und Kunsthandwerkern.

    "Es sind immer wieder dieselben Bilder, häufig kopiert oder variiert, manchmal auch aus verschiedenen Typen kontaminiert", erklärt die Wissenschaftlerin. "Die Illustratoren waren nicht besonders innovationsfreudig, aber gerade das hat das visuelle Gedächtnis des Publikums geprägt." So ist es nicht verwunderlich, daß zum Beispiel das Werkstatt-Team des römischen Freskenmalers Baldassarre Peruzzi auf Vorlagen aus diesen Ovid-Illustrationen zurückgriff, als 1516 ein Prunksaal im Stadtpalast des Agostino Chigi auszuschmücken war. Die ikonographischen Traditionslinien spiegeln sich auch im Kunsthandwerk, etwa in reich verziertem Majolika-Geschirr, wider. Erst im 19. Jahrhundert reißen sie für immer ab, der "Metamorphosen"-Zyklus Pablo Picassos etwa besitzt eine völlig eigenständige Bildersprache.

    Für Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich stellt die Ausstellung in der "Göhre" nur ein Teilergebnis einer aufwendigen Forschungsarbeit dar. Viel ausführlicher wird ein voluminöses Bildlexikon zu Ovids "Metamorphosen" sein, das das Team Huber-Rebenich/Walter nun vorbereitet. In jahrelanger Kleinarbeit haben die beiden Philologen Sammlungen in ganz Europa durchforscht, hat Bibliothekskataloge in London, Paris, Rom, München und Wolfenbüttel gewälzt. So gut wie alle illustrierten Ovid-Ausgaben, insgesamt rund 300 Editionen, stöberten sie auf - "zum Teil wahre Zimelien, manche auch in grauenhaftem Zustand" -, fertigte Kopien, katalogisierten und systematisierten ihre Funde. "Irgendwann findet man nur noch Doubletten, und dann hört man schließlich mit der Suche auf", berichtet Prof. Heber-Rebenich. Mehr als 30.000 Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen werteten die Wissenschaftler aus und fanden etwa 8.000 Archetypen heraus. "Interessant ist es, mit dem Material zu arbeiten, es zusammenzutragen eine Geduldsprobe." Dennoch hat sich die Mühe gelohnt. "Obwohl man sivh manchmal wie Sisyphos fühlt", schmunzelt sie, "aber Tantalos-Qualen wären schlimmer..."

    Ausstellung: "Metamorphosen der ,Metamorphosen'. Ovids Verwandlungssagen in der textbegleitenden Druckgraphik". Erarbeitet vom Institut für Altertumswissenschaften der Universität Jena in Zusammenarbeit mit der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. Vom 9. Mai bis 27. Juni 1999 im Stadtmuseum "Göhre", Markt 7, Jena. Dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, mittwochs bis 18 Uhr geöffnet. Ein reich illustrierter Katalog wurde von Gerlinde Huber-Rebenich im Hain-Verlag publiziert und ist in der Ausstellung oder über den Buchhandel erhältlich.

    Ansprechpartnerin:
    Prof. Dr. Gerlinde Huber-Rebenich
    Tel.: 03641/944835, Fax 944802

    Friedrich-Schiller-Universität
    Referat Öffentlichkeitsarbeit
    Dr. Wolfgang Hirsch
    Fürstengraben 1
    07743 Jena
    Tel.: 03641/931031
    Fax: 03641/931032
    e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Kunst / Design, Musik / Theater, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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