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22.04.1999 00:00

Inseln fremden Arbeitsrechts auf deutschen Baustellen

Claudia Braczko Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Institut Arbeit und Technik

    Institut Arbeit und Technik: Illegale Beschäftigung und Lohndumping eingrenzen und im Übergang zur neuen Arbeitsteilung mit Mittel- und Osteuropa Innovationskraft der heimischen Bauwirtschaft steigern

    Auf vielen Baustellen in den Ballungsgebieten herrscht heute babylonisches Sprachgewirr, man trifft kaum noch heimische Arbeitskräfte an. Teilaufträge, besonders die einfachen Massenarbeiten des Rohbaus, werden an ausländische Subunternehmer weitergegeben, die ihre Bauarbeiter zu Billiglöhnen beschäftigen können und kaum oder gar nicht an soziale Standards gebunden sind. Auf der "Großbaustelle Berlin" stieg das Bauvolumen von 1992 bis 1997 um ca. 27 Prozent an, während die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Baustellenbeschäftigten um 32 Prozent zurückging. Einem geschätzten Personalbedarf auf den Berliner Baustellen von rund 95 000 Arbeitern standen lediglich 32 500 Berliner Beschäftigte gegenüber. Von den "restlichen" 62 500 kam nur ein geringer Anteil aus den umliegenden ostdeutschen Bundesländern, dafür aber schätzungsweise 45 000 bis 50 000 aus dem Ausland, vermutlich nahezu die Hälfte illegal.

    Diese Zahlen errechnete das Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) in einer Untersuchung über die Auswirkungen der Entsendung ausländischer Arbeitskräfte nach Deutschland. Durch die Billiglöhne ausländischer Subunternehmer werden hier zum einen die Tarifverträge ausgehöhlt, zum anderen gehen zahlreiche Arbeitsplätze für heimische Arbeitskräfte verloren. "Insbesondere größere und mittlere Betriebe bauen ihr Personal stark ab", stellen die IAT-Arbeitsmarktforscher Prof. Dr. Gerhard Bosch und Klaus Zühlke-Robinet fest.

    Die Mindestlohnbestimmungen werden in der Praxis kaum eingehalten und sind schwierig zu kontrollieren. Oft wird "brutto für netto" ausgezahlt und somit im Heimatland keine Sozialversicherungsbeiträge und keine Lohnsteuer entrichtet. Verstöße gegen die Mindestlohnregelung werden häufig verschleiert. In vielen Lohnunterlagen wird nur ein Pauschalbruttolohn - ohne Angabe der Arbeitsstunden - angegeben, von dem dann (überteuerte) Aufwendungen für Unterkunft, Verpflegung, Fahrkosten, Werkzeug usw. abgezogen werden. Von Januar bis einschließlich September 1998 wurden für 16 000 Ordnungswidrigkeiten Bußgelder in Höhe von insgesamt 48 Millionen DM verhängt, die allerdings zum großen Teil nicht eingetrieben werden können, da die betroffenen Firmen ihren Sitz im Ausland haben und dort von deutschen Behörden nicht belangt werden können.

    "Massiven sozialen Problemen durch den Einsatz kostengünstiger ausländischer Subunternehmer stehen nur geringe volkswirtschaftliche Gewinne, wie die Absenkung der Baupreise, gegenüber", stellen die Arbeitsmarktforscher fest. Für manche deutsche Baufirma rechnet sich der Subunternehmereinsatz nicht einmal, wenn wegen Qualitätsmängeln Preisabzüge gemacht werden oder die eigenen, teueren Arbeitskräfte nacharbeiten und nachbessern müssen.

    Die Entwicklung auf dem Bauarbeitsmarkt kann sich mit der geplanten Aufnahme von Polen, Tschechien, Ungarn, Slovenien und Estland in die EU noch verschärfen. Das Lohngefälle zwischen Deutschland und diesen Ländern liegt bei einer Relation von bis zu 1 zu 15 und ist noch ausgeprägter als zu den Billiglohnländern in der EU. Eine Strukturveränderung des Bauarbeitsmarktes infolge einer neuen Arbeitsteilung zwischen deutschen und ausländischen Betrieben wird nicht aufzuhalten sein. "Ohne Übergangsregelungen für die Zuwanderung und bei der Dienstleistungsfreiheit wird eine spannungsfreie Integration dieser Länder in den gemeinsamen Markt kaum möglich sein", warnen die Wissenschaftler.

    Langfristig werden mit der wirtschaftlichen Entwicklung Mittel-, Ost- und Südeuropas auch dort die Löhne steigen, so daß sich mancher Subunternehmereinsatz nicht mehr lohnt. Auch die Qualität kann ansteigen, so daß in 20 Jahren eine differenzierte internationale Arbeitsteilung denkbar wäre, in der deutsche Firmen auf ausländische Spezialisten zurückgreifen, wie etwa heute auf polnische Restaurateure, österreichische Tunnelbauer und Niederländer, die im kostengünstigen Wohnungsbau viel Erfahrung haben.

    Diese historische Übergangsperiode ist für die deutsche Bauwirtschaft allerdings risikoreich, dauert lange und bedarf politischer Flankierung. Durch eine Verbesserung der Berufsausbildung sowie die Förderung der Innovationskraft muß die auf Kompetenz beruhende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauunternehmen gestärkt werden. Dabei geht es u.a. um Kompetenzen beim ökologischen, kostengünstigen und flächenschonenden Bauen oder beim Einsatz neuer Technologien. Der Wirtschaftsraum der EU müßte zum gemeinsamen Rechtsraum werden, damit die Vollstreckung von Bußgeldern innerhalb aller EU-Länder möglich wird.

    Für weitere Fragen stehen
    Ihnen zur Verfügung:
    Prof. Dr.Gerhard Bosch
    Durchwahl: (0209) 1707-147
    Klaus Zühlke-Robinet
    Durchwahl: (0209)1707-248


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Wirtschaft
    überregional
    Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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