Jugendliche, die sich in der Schule 'daneben' benehmen, können daraus sogar Nutzen ziehen. So ein Ergebnis aus der groß angelegten Schulleistungsstudie BIJU des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin.
Von Bettina Jahn.
Kinder und Jugendliche verbringen einen großen Teil Ihrer Zeit in der Schule. Mit der Studie BIJU (Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter) verfolgen Dr. Ulrich Trautwein und Prof. Dr. Jürgen Baumert vom MPIB sowie Prof. Dr. Olaf Köller (Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin), wie sich im Lauf der Jahre Selbstbewusstsein und die sozialen Fähigkeiten, aber auch Motivation und Leistungsbereitschaft entwickeln. Dabei wurden mehrere tausend Schülerinnen und Schüler von der 7. Klasse bis ins junge Erwachsenenalter begleitet.
Aus vielen Untersuchungen ist gut bekannt, dass Schüler, die von Mitschülern regelmäßig beleidigt oder angegriffen werden, darunter leiden. Weniger weiß man über die Täter, die gegenüber Mitschülern ausfällig werden, aber auch über Schüler, die im Unterricht stören. Profitieren sie in irgendeiner Form davon?
Problematische Verhaltensweisen können sich durchaus lohnen, zeigt nun eine Auswertung, von Schülerangaben aus der 7. und 10. Jahrgangsstufe . "Keiner ist ein Engel" lautete ein Absatz, in dem die Schüler zu ihrem Verhalten ehrlich Auskunft geben sollten. Die Schüler berichteten in der siebten Klasse, wie oft sie absichtlich den Unterricht störten oder körperliche Gewalt gegen Mitschüler und Gegenstände ausübten. Außerdem schätzten sie ihre eigene Durchsetzungsfähigkeit sowie ihre Anerkennung in der Klassengemeinschaft ein.
Die Wissenschaftler verglichen anschließend die Selbsteinschätzung der Zehntklässler mit den Angaben, die dieselben Schüler drei Jahre zuvor als Siebtklässler gemacht hatten. Das Ergebnis ist erstaunlich: Bei den aggressiven Schülern hatte sich im Mittel die Einschätzung der eigenen Durchsetzungsfähigkeit von der siebten zur zehnten Klasse etwas erhöht. In besonderer Weise profitierten dabei diejenigen Schüler von Problemverhalten, die sich in der siebten Klasse als nur wenig durchsetzungsfähig bezeichneten. Ähnlich verhielt es sich mit Störungen des Unterrichts: Schüler, die in Klasse 7 häufig den Unterricht störten, nahmen drei Jahre eine stärkere Akzeptanz bei den Klassenkameraden wahr. Die Befunde deuten an, dass sich Problemverhalten positiv auf Selbstbewertung sowie den Status in der Klassengemeinschaft auswirken kann. "In der Subkultur der Jugendlichen steigert die Missachtung des Lehrers oder das Stören eines langweiligen Unterrichtes das Prestige", meint Dr. Ulrich Trautwein.
Zu den Ergebnissen merkt Trautwein aber auch an, dass nur die "Erfolgreichen" unter den Schülern in die Untersuchungen mit einbezogen werden konnten. Schüler, die die zehnte Klasse nicht erreichten, weil sie sitzen geblieben sind oder von der Schule verwiesen wurden, fielen aus der Untersuchung heraus. Die nähere Untersuchung zeigte, dass sich darunter überproportional viele Schüler befanden, die durch Störung des Unterrichts aufgefallen waren. Spannend bleibt die Frage, wie Jugendliche, die durch ihr Verhalten negativ auffallen, sich langfristig entwickeln - ob sie zum Beispiel Anerkennung durch Angst erzwingen oder ein übersteigertes Selbstkonzept haben, welches dann irgendwann an der Realität zerschellt.
Auch wenn störendes Verhalten zunächst in manchen Fällen durchaus das Selbstbewusstsein und den Status stärken könne, so sei dies keineswegs der aussichtsreichste Weg für eine gute Entwicklung des Jugendlichen, betont Ulrich Trautwein, und verweist auf die insgesamt eher gering ausgeprägten Effekte. "Eltern und Lehrer sollten aber wissen, dass manche Schüler von ihrem Störverhalten auch profitieren".
Hinweis an die Redaktionen:
Sie können diesen Text bei Nennung der Autorin, Bettina Jahn, gerne kostenfrei verwenden.
Wir senden Ihnen auf Wunsch auch die Studie zu, die in der Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 18, (1), 2004, veröffentlicht wurde. Kontakt: roetger@mpib-berlin.mpg.de, Tel.: 030/ 82406-251.
Sie können sich mit weiteren Fragen an den Autor der Studie wenden.
Dr. Ulrich Trautwein, trautwein@mpib-berlin.mpg.de, Tel.: 030/ 82406-451,
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Lentzeallee 94
14195 Berlin
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Pädagogik / Bildung, Psychologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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