Institut Arbeit und Technik zu den Beschlüssen der Bundesregierung zur Bekämpfung des Missbrauchs der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit
Die Bundesregierung hat der Task Force Dienstleistungsmissbrauchsbekämpfung einen doppelten Auftrag erteilt: zum einen Maßnahmen für ein entschlosseneres Vorgehen gegen "schwarze Schafe" zu entwickeln und zum anderen die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf weitere Branchen zu prüfen. Beide Schritte sind nach Einschätzung des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) dringend notwendig. Allerdings bestehen höchst unterschiedliche Durchsetzungschancen.
Ohne große rechtliche Änderungen kann die Rechtmäßigkeit bei der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen sichergestellt werden. Dazu muss die Einhaltung bestehender Regelungen bei der Beauftragung von Subunternehmen und bei der Niederlassungsfreiheit konsequenter überprüft und kontrolliert werden. Legal ist eine Vergabe z.B. von Schlachtaufträgen an osteuropäische Anbieter nach geltendem Recht dann, wenn die Firma im Heimatland einen Schlachtbetrieb unterhält und den Auftrag unter eigener Anleitung und mit eigenem Werkzeug betreibt; nicht aber, wenn billige Arbeitskräfte in die Betriebsorganisation eines deutschen Unternehmens integriert werden. Dies wäre nämlich illegale Arbeitnehmerüberlassung. Auch bei Gewerbeanmeldungen muss konsequenter geprüft werden, ob hierfür die erforderlichen Voraussetzungen (z.B. die Existenz einer Betriebsstätte) vorliegen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit sind etwa geboten, wenn ein Vermittler Gewerbe für eine ganze Gruppe von Personen unter derselben Adresse anmeldet. Geldbußen gegen ausländische Unternehmen wegen illegaler Arbeit können allerdings in den meisten EU-Ländern außer Österreich nicht vollstreckt werden. IAT-Vizepräsident Prof. Dr. Gerhard Bosch: "Die EU ist ein großer Wirtschaftsraum, aber noch kein gemeinsamer Rechtsraum, was grenzüberschreitende illegale Arbeit erleichtert".
Hingegen sind die Voraussetzungen, Sozialdumping durch eine Erweiterung des Entsendegesetzes über die Baubranche hinaus zu bekämpfen, deutlich schlechter. Zwar bietet das Entsendegesetz grundsätzlich die Möglichkeit, ausländische Arbeitgeber, die Arbeitskräfte nach Deutschland entsenden, zu verpflichten, diesen den "deutschen Mindestlohn" zu zahlen. "Genau da jedoch liegt der Knackpunkt, der in der aktuellen Debatte häufig übersehen wird." - so die IAT-Forschungsdirektorin Dr. Claudia Weinkopf. "Zwar liegen die Löhne in deutschen Schlachthöfen zweifellos über den Löhnen von 3 bis 5 €, die die osteuropäischen Arbeitskräfte Presseberichten zufolge i.d.R. erhalten, aber einen verbindlichen Mindeststandard wie in der Bauindustrie gibt es in der deutschen Fleischindustrie für die Beschäftigten keineswegs. Die Lohnsituation ist zersplittert; der Arbeitgeberverband agiert seit Jahren nicht mehr als Tarifpartner."
Die aktuelle Debatte, wie Lohndumping in besonders betroffenen Branchen unterbunden werden kann, verkennt, dass Deutschland bei der Durchsetzung von Mindeststandards am Arbeitsmarkt inzwischen gegenüber anderen Ländern erheblich ins Hintertreffen geraten ist. Während 18 von den insgesamt 25 Mitgliedsländern der EU einen gesetzlichen Mindestlohn haben, der in keiner Branche unterschritten werden kann, wurde in Deutschland bislang auf die Verhinderung von Lohndumping durch tarifliche Regelungen gesetzt.
Diese Regulierung weist aber zunehmend Lücken auf: So ist der Anteil tarifgebundener Beschäftigung in Deutschland allein zwischen 1998 und 2003 deutlich gesunken: von 76 % auf 70 % in Westdeutschland und von 63 % auf 54 % in Ostdeutschland. In einigen Dienstleistungsbereichen wie z.B. haushaltsbezogene Dienste gibt es darüber hinaus traditionell ohnehin kaum tarifliche Vereinbarungen. Und selbst Tarifbindung schützt keineswegs automatisch vor Niedrigstlöhnen: Wie eine vom Bundeswirtschaftsministerium Ende 2003 vorgelegte Übersicht tariflicher Lohngruppen zeigt, gibt es in Deutschland nicht wenige Tariflöhne mit Stundenlöhnen von (teils deutlich) unter 6 € brutto. Hingegen liegen die gesetzlichen Mindestlöhne z.B. in Frankreich, den Niederlanden und sogar in Großbritannien deutlich über 7 € pro Stunde.
In Deutschland wird gegen die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne oft angeführt, dies untergrabe die Tarifautonomie und schade dem Arbeitsmarkt. Das IAT empfiehlt, diese ablehnende Haltung aufzugeben. Gesetzliche Mindestlöhne erscheinen nicht nur geboten, um die aktuellen Fälle von Lohndumping zu unterbinden. Vielmehr sind sie auch aus sozialpolitischen Gründen dringend erforderlich, um Niedrigstlöhne zu verhindern.
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Prof. Dr. Gerhard Bosch
Durchwahl: 0209/1707-147
Dr. Claudia Weinkopf
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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