Die erste umfassende Grundlagenstudie über die Lebenssituationen und Zukunftsvorstellungen junger Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund belegt: Junge Migrantinnen sind überwiegend optimistisch, bildungs- und familienorientiert, suchen finanzielle Unabhängigkeit und partnerschaftliche Gleichberechtigung und sind am interreligiösen Austausch stark interessiert. Die Untersuchung der Professorinnen Yasemin Karakasoglu (Universität Bremen) und Ursula Boos-Nünning (Universität Duisburg-Essen), die jetzt als Buch "Viele Welten leben" im Waxmann-Verlag erschienen ist, wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt.
Sie tragen Kopftuch oder rosa Rüschenblusen. Vater und Brüder sagen ihnen, wo es lang geht. Im schlimmsten Falle werden sie Opfer von Familientraditionen mit Zwangsheirat und Ehrenmord. Die Rede ist von jungen Migrantinnen, die in Deutschland leben. Doch die Professorinnen Yasemin Karakasoglu (Universität Bremen) und Ursula Boos-Nünning (Universität Duisburg-Essen) sagen: Die Welten der Mädchen mit Migrationshintergrund sind ganz anders. In einer Zeit, in der Einzelschicksale das Bild von "der Migrantin" bestimmen, gibt die Studie mit überraschenden Prozentzahlen Einblicke in die vielfältigen, meist optimistischen Lebensentwürfe und Zukunftswünsche der Mehrheit der Mädchen mit türkischem, griechischem, italienischem, jugoslawischem und Aussiedlerhintergrund. 950 Mädchen und junge Frauen im Alter von 15 bis 21 Jahren wurden bundesweit befragt.
Die Lebensplanung gilt für Deutschland
Für die überwiegende Mehrheit von ihnen sind Familienbindung und finanzielle Unabhängigkeit, Bildungsaufstieg und Mutterschaft, Gleichberechtigung der Geschlechter und Religiosität kein Widerspruch. Drei Viertel der Mädchen mit jugoslawischem und türkischem Hintergrund fühlen sich in Deutschland wohl und ihre künftige Lebensplanung ist eindeutig auf Deutschland ausgerichtet. Aber nicht nur bei Ihnen, insbesondere auch bei den Mädchen mit griechischem Hintergrund besteht gleichzeitig eine starke Identifikation mit der eigenen ethnischen Gruppe. Die Mädchen und jungen Frauen sind überwiegend psychisch stark und bereit, Verantwortung für sich zu übernehmen. Auch wenn zwei Drittel der Befragten sich eine Partnerschaft nur im Rahmen einer Ehe vorstellen können, lehnt die überwiegende Mehrheit von ihnen traditionelle Geschlechterrollen ab. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass 83 Prozent der Meinung sind, Mann und Frau sollen gemeinsam zum Familieneinkommen beitragen und für 79 Prozent der Beruf das beste Mittel zur Unabhängigkeit darstellt.
Die Eltern werden überwiegend nicht als Hemmschuh für diese Zukunftsvorstellungen gesehen. 80 Prozent meinen, dass die Eltern große Hoffnungen in sie setzen. Vor allem an schulischen Leistungen zeigen die Eltern großes Interesse. Mädchen mit türkischem und jugoslawischem Hintergrund empfinden ihre Eltern als besonders leistungsorientiert. Drei Viertel fühlen sich in ihrer Familie als Mädchen genauso gut behandelt wie ein Junge, dies gilt auch für Mädchen mit türkisch-muslimischem Hintergrund. Eine arrangierte Ehe können sich immerhin 23 Prozent der Mädchen mit türkischem Migrationshintergrund unter Umständen vorstellen; für drei Viertel jedoch kommt dies eher nicht bzw. auf keinen Fall in Frage. Für Mädchen aller Herkünfte sind die Bildungseinrichtungen (zu gleichen Teilen Kindergarten und Schule) die vorrangigen Orte, an denen sie die deutsche Sprache gelernt haben. Nur ein Viertel der Befragten hat deutsch in der Familie erworben. Junge Musliminnen schotten sich nicht ab, im Gegenteil, sie sind am stärksten am interreligiösen Austausch interessiert und Religiosität gibt ihnen im Vergleich zu den anderen am meisten Selbstverstrauen.
Angesichts der aktuellen und mitunter emotionalisierten Debatte über die Lebenssituation von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund kommt nach Meining der Autorinnen der Studie der Migrationsforschung in besonderem Maße die Aufgabe zu, mit fundierten Studien zur Versachlichung der Debatte beizutragen. Professorin Yasemin Karakasoglu: "Bislang fehlte es jedoch an Grundlagenforschung, mit deren Hilfe es möglich ist, quantifizierbare Aussagen über dieses Thema zu machen. Diese sind aber notwendig, um mit wissenschaftlich fundierten Ergebnissen weiteren Forschungsbedarf offen zu legen und vor allem der Migrationspolitik gesicherte Handlungsgrundlagen und -empfehlungen zu geben. Unsere Untersuchung "Viele Welten leben" füllt hier eine wichtige Lücke."
Angaben zur Studie: Ursula Boos-Nünning, Yasemin, Karakasoglu: Viele Welten. Zur Lebenssituation von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund. Waxmann-Verlag, 2005, 580 Seiten, 29,90 €
Weitere Informationen:
Universität Bremen
Fachbereich Bildungs- und Erziehungswissenschaften
Fachgebiet Interkulturelle Bildung
Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu
Tel. 0421 218 2063
E-Mail: karakaso@uni-bremen.de
Universität Duisburg-Essen
Fachbereich Bildungswissenschaften
Fachgebiet Interkulturelle Pädagogik/Migrationspädagogik
Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning
Tel. 0201/183-2237
E-Mail: boos-nuenning@t-online.de
Die Bremer Migrationsforscherin Yasemin Karakasoglu
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Philosophie / Ethik, Psychologie, Religion
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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