idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
18.04.2005 16:33

Zwei-Klassen-Medizin - qualifizierte Schmerztherapie nur noch für Privatpatienten?

Meike Drießen Bundesgeschäftsstelle
Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS)

    GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG
    der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS)
    der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie (DGS)
    des Verbands Deutscher Ärzte für Algesiologe - Berufsverband Deutscher Schmerztherapeuten

    18. April 2005

    Zwei-Klassen-Medizin - qualifizierte Schmerztherapie nur noch für Privatpatienten?

    Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nimmt ihren gesetzlichen Auftrag zur Sicherstellung der Versorgung chronisch Schmerzkranker nicht wahr. Die neuen Regelungen werfen die Schmerztherapie auf den Stand vor 20 Jahren zurück. Die wenigen Schmerzpraxen werden eliminiert. Statt Versäumnisse zuzugeben und zu korrigieren, versucht die KBV der Öffentlichkeit weiszumachen, bundesweit Schmerztherapie eingeführt zu haben. Das Gegenteil ist der Fall. Aber Angriffe können Pflichterfüllung nicht ersetzen.

    Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt: Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen sind in Deutschland massiv unter- und fehlversorgt. Seit 1982 gibt es Spezialpraxen, in denen sich besonders ausgebildete Schmerzärzte ausschließlich um Schmerzkranke kümmern - mit nachgewiesenen Erfolgen und Einsparungen für die Kassen. Seit 20 Jahren besteht in den Fachgesellschaften Konsens über die notwendige Qualifikation von Schmerzärzten und die Struktur der schmerztherapeutischen Einrichtungen. Dennoch war die Behandlung von chronisch Schmerzkranken bisher nicht Bestandteil der für alle Versicherten geltenden Leistungsverzeichnisse. Dementsprechend niedrig ist der Versorgungsgrad: Nicht einmal 20 % von ihnen sind fachgerecht versorgt. Schmerzpraxen konnten nur durch spezielle Schmerztherapievereinbarungen existieren, die mit einzelnen Krankenkassen abgeschlossenen wurden, die seit Anfang der 90er Jahre eine an gesicherte Qualifikation und Versorgungsqualität gebundene bescheidene Kostenerstattung ermöglicht haben. Dennoch war die Existenz solcher Praxen nie gesichert, deren Zahl hat deshalb kaum zugenommen.

    Bei Schmerzkranken bestimmt der chronische Schmerz praktisch deren gesamtes Leben und hat somit massive psychosoziale Auswirkungen. Diese Kranken leiden, wenn sie zu Schmerzärzten kommen, im Durchschnitte länger als zehn Jahre unter den Schmerzen. Ihre bis dahin unzureichende Behandlung hat - neben erheblichen Kosten - nicht selten zusätzliche Schäden verursacht. Dementsprechend zuwendungs- und zeitaufwendig sind Untersuchung und Behandlung; Schmerzärzte können bei sachgerechter Versorgung und voller Auslastung kaum mehr als 300 Schmerzkranke pro Quartal angemessen versorgen. Ihr Honorar liegt weit unter dem der Hausärzte. Bei der letzten "Reform" der ärztlichen Vergütung im Jahr 1996 mussten sie schon eine Einbuße von um 20 % hinnehmen. Das hatte dazu geführt, dass sich einige Schmerzärzte wieder anderen Aufgaben zuwenden mussten, um ihre Praxiskosten und ihren Lebensunterhalt zu sichern.

    Die seit Jahren erhobenen Forderungen an die KBV und die Spitzenverbände der Krankenkassen zur längst fälligen Integration der Schmerztherapie in das Gesundheitswesen sind ohne Resonanz geblieben. Algesiologischer Sachverstand konnte in den neuen EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) nicht eingehen. Dementsprechend ist der EBM aus der Sicht der Schmerzärzte und Schmerzkranken katastrophal geworden: Er hat die ohnehin unbefriedigende Situation erneut massiv verschlechtert. Zwar sind in der "Qualitätssicherungsvereinbarung Schmerztherapie" die Anforderungen an Schmerzärzte und Schmerzpraxen weitgehend sinnvoll geregelt, aber der EBM macht deren Umsetzung unmöglich. Notwendige Untersuchungen, Behandlungen und Schmerzkonferenzen fehlen völlig. Die Bezahlung für die wenigen noch verbliebenen Leistungen ist so zusammengestrichen worden, dass das Honorar für Schmerzärzte um mindestens 30 % vermindert wird - unter die Praxiskosten.

    In ihren öffentlichen Stellungnahmen beschönigt die KBV diese Verschlechterung, die offenbar billigend in Kauf genommen wird. Die von der KBV selbst berechneten, existenzvernichtenden Einkommenseinbußen werden verschwiegen bzw. verharmlost.

    Damit aber nicht genug an Fehlern und Versäumnissen: Die KBV und die Kassen haben es nicht für nötig gehalten, die Basisschmerztherapie, die Ärzte sich zusätzlich zum Studium und zur Facharztweiterbildung aneignen müssen, in den EBM aufzunehmen. Die Chance der wichtigen Prävention der Chronifizierung wurde wieder vertan.

    Die KBV hat es nicht einmal fertiggebracht, die im EBM enthaltenen invasiven Verfahren zur Schmerztherapie an Qualitäts- und Qualifikationsanforderungen zu binden. Außerdem haben die Vertragspartner die Palliativmedizin ohne jegliche Qualifikations- und Qualitätsanforderung für Hausärzte monopolisiert und damit die Ärztinnen und Ärzte, die sich bisher nach entsprechender Ausbildung dieser Aufgabe gewidmet haben, von diesem immer wichtiger werdenden Versorgungsbereich völlig abgeschnitten. Auch dies gilt seit dem 1. April 2005. Die KBV hat auf Verhandlungsangebote bisher nicht reagiert, Sachargumente unbeachtet gelassen, eigene Berechnungen des Honorars ignoriert, Schmerzärzte diffamiert.
    Diese massiven Versäumnisse und Pflichtverletzungen der KBV, die sie durch Falschinformationen zu kaschieren sucht, lassen berechtige Zweifel an dieser Institution aufkommen. Ob die KBV angesichts dieser skandalösen Unterlassungen noch eine Zukunft haben darf oder ob die hierfür verantwortlichen Personen ersetzt werden müssen, wird die Selbstverwaltung zu entscheiden haben, wenn sie sich hierzu auf ihre ärztliche Verantwortung für alle Patientinnen und Patienten besinnt.

    Die Verantwortlichen - Gesundheitspolitik, Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen - sind aufgerufen, die massiven Fehler der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sofort nachhaltig und wirksam zu beheben. Schmerzärzte brauchen Planungssicherheit. Schmerzkranke brauchen Gewißheit, daß ihre Versorgung in Zukunft ernstgenommen und sichergestellt wird. Gemeinsam werden wir für unsere Patientinnen und Patienten weiter kämpfen.

    Pressekontakt

    Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V., Adenauerallee 18, 61440 Oberursel, Tel. 06171-286020, Fax 06171-286022
    Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e. V., Obere Rheingasse 3, 56154 Boppard, Tel. 06742-800121, Fax 06742-800122
    Verband Deutscher Ärzte für Algesiologie - Berufsverband Deutscher Schmerztherapeuten e. V.,
    Jakobikirchhof 9, 20095 Hamburg, Tel. 040-330909, Fax 040-335744


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).